
Autismus ist angeboren und damit genetisch bedingt. Ein „plötzlich erworbener“ Autismus nach einer Impfung oder einem anderen Ereignis ist medizinisch ausgeschlossen. Mit Verhaltenstherapie, Sprachförderung, Ergotherapie und sozialen Kompetenztrainings kann man die Levensqualität der Betroffenen verbessern. Foto: Pixel-Shot/stock.adobe.com
Autismus-Lüge: MMR-Impfung rettet Leben, ohne Autismus zu verursachen
Was wäre, wenn eine einzige, betrügerische Gesundheitsstudie von 1998 einen Mythos erzeugt hätte, der jahrzehntelang Menschenleben gekostet hat? Was wäre, wenn ein irrlichternder US-amerikanischer Gesundheitsminister diese seit vielen Jahren widerlegte Fake-News-Studie allen wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Trotz 2025 noch einmal prüfen lassen will? Die Autismus-Lüge, dass die MMR-Impfung (Masern, Mumps, Röteln) Autismus verursachen kann, hält sich leider weiter in der Welt und war dieses Jahr in den USA mitverantwortlich für eine Masernepidemie mit mindestens drei Todesfällen.
Die Autismus-Lüge: Wakefields betrügerische Studie
Im Februar 1998 veröffentlichte der britische Arzt Andrew Wakefield mit zwölf Co-Autoren in „The Lancet“, einer der ältesten, einflussreichsten und renommiertesten medizinischen Fachzeitschriften der Welt, eine Studie mit dem Titel „Ileal-lymphoid-nodular hyperplasia, non-specific colitis, and pervasive developmental disorder in children“. Darin wurde ein Zusammenhang zwischen der MMR-Impfung (Masern, Mumps, Röteln), einer angeblichen Darmerkrankung und Autismus postuliert.
Was Wakefield verschwiegen oder manipuliert hatte: finanzielle Interessenkonflikte. Er hatte finanzielle Verbindungen zu einem Anwalt, der Eltern bei Impf-Klagen unterstützte. Zudem plante er, über 43 Millionen US-Dollar pro Jahr durch Diagnosetests für eine neu erfundene Erkrankung („autistische Enterokolitis“) zu verdienen.
Die Studie war Ergebnis von Datenmanipulation (veränderte Ergebnisse) und gezielter Patientenauswahl, um mit den passenden Patienten seine These zu stützen. Die Untersuchungen an den Kindern erfolgten ohne ethische Freigabe und beinhalteten invasive Tests wie Darmspiegelungen und Lumbalpunktionen, obwohl diese medizinisch nicht gerechtfertigt waren.
2004 fliegt der Betrug auf – doch zunächst tut sich nichts
Der Journalist Brian Deer deckte 2004 in „The Sunday Times“ diese Manipulationen und Lügen auf. Wakefield hatte zur Finanzierung des Projekts im Vorfeld Gelder erhalten, die nicht offengelegt wurden. In derselben Zeit zogen zehn der Co-Autoren ihre Interpretation des Zusammenhangs von Autismus und der MMR-Impfung zurück. 2009/2010 folgten umfangreiche Enthüllungen Deers in „The BMJ“, die belegen, dass Daten absichtlich verfälscht worden waren und Pathologiebefunde manipuliert wurden. 2010 zog „The Lancet“ die Studie vollständig zurück. Chefredakteur Richard Horton bezeichnete sie damals als „utterly false“ („völlig falsch“).
Zwischen 2007 und 2010 lief ein Disziplinarverfahren des GMC (General Medical Council) gegen Wakefield wegen schwerer ethischer und fachlicher Verfehlungen. Er wurde im Januar 2010 für „unehrlich und verantwortungslos“ befunden, weshalb ihm im Mai 2010 die medizinische Zulassung entzogen wurde.
Doch der in Großbritannien mit einem Berufsverbot belegte Arzt Wakefield wanderte in die USA aus, gründete dort ein impfskeptisches Zentrum und produzierte 2016 den Anti-Impf-Film „Vaxxed: From Cover-Up to Catastrophe“. Im gleichen Jahr traf er Donald Trump, der in einem verschwörerisch klingenden Post auf die von Wakefield erfundenen Autismus-Gefahren durch Impfungen einging.
Warum hält sich dieser sinnbefreite Impfung-Autismus-Mythos?
Das liegt unter anderem am Medienphänomen „Science by press conference“ („Wissenschaft per Pressekonferenz“): Die Wakefield-Studie wurde exzessiv medial beworben – ohne eine kritische Prüfung, ohne medizinisch-fachliche Expertise. Während später massive wissenschaftliche Widerlegungen erfolgten (zum Beispiel durch Centers for Disease Control and Prevention (CDC) in den USA, National Health Service (NHS) in Großbritannien oder das internationale Forschungsnetzwerk Cochrane), war die anfängliche Falschmeldung in der öffentlichen und durch schnell konsumierbare Medien geprägte Wahrnehmung bereits prägend.
Anti-Impf-Bewegungen instrumentalisierten die Falschinformationen: Selbst nach der Retraktion der Wakefield-Studie, also dem wissenschaftlichen Widerruf aufgrund schwerwiegender Fehler, Datenmanipulation und fehlender Reproduzierbarkeit, dienten die Lügen weiterhin als Grundlage für Impfverweigerungen. Mit fatalen Konsequenzen, denn wiederkehrende Ausbrüche von Masern, Mumps, Röteln hinterließen bleibende Schäden und unnötige Todesfälle vor allem bei Kindern und Jugendlichen, aber auch bei umgeimpften Erwachsenen.
Der Schaden: Vermeidbare Krankheiten und Todesfälle weltweit
Die durch die Autismus-Lüge steigende Zahl von Impfverweigerungen führte zu einem erneuten Anstieg der zuvor fast schon eliminierten Krankheiten: In Europa stiegen die Masernfälle drastisch an – von knapp 1000 Fällen in 2022 auf über 30.000 Fälle zwischen Januar und Oktober 2023. Dabei kam es in zwei Ländern zu fünf Todesfällen und rund 21.000 Hospitalisierungen. Masern-Ausbrüche sind in Deutschland trotz hoher Impfquoten nicht völlig verschwunden. Laut einem Bericht der Nationalen Verifizierungskommission wurden etwa 23 Masernfälle in Baden-Württemberg gemeldet – das war etwa 30 % der Gesamtzahl auf Bundesebene. Dies zeigt, dass sporadische Ausbrüche auch in gut abgedeckten Regionen möglich sind.
Die globale Rückkehr der Masern: 2023 wurden weltweit rund 10 Millionen Infektionen verzeichnet, die zu über 100.000 Todesfällen führten. In Industrienationen sterben pro Fall im Schnitt 1 bis 3 Menschen von 1000 an Masern Erkrankten. 2024 verdoppelten sich die Ausbrüche auf 60 Länder – viele davon in Europa und den USA.
Nach Angaben der CDC wurden bis 2. September 2025 in den USA 1431 bestätigte Masernfälle verzeichnet, davon sind 35 Ausbrüche (mit mehr als 3 zusammenhängenden Fällen) gemeldet worden. Von diesen Erkrankungen wurden bereits 3 Todesfälle bestätigt. Besonders alarmierend: Die Zahl der Ausbrüche stieg in den USA deutlich – von 16 im Jahr 2024 (mit 285 Fällen) auf nun 35 im Jahr 2025, was den Rückgang der MMR-Impfquoten (bei Schulanfängern unter 95 %) deutlich macht.
Krasser Unterschied der Fall- und Todeszahlen
Deutlich wird der krasse Unterschied von Masernfällen zwischen den Jahren ohne Impfung und den Jahren mit hoher Impfquote. Vor Einführung der Masernimpfung (vor 1963) gab es jährlich rund 3 bis 4 Millionen Fälle, mit 48.000 Krankenhausaufenthalten, etwa 1000 Enzephalitis-Fällen und 400 bis 500 Todesfällen pro Jahr. Die Einführung der Impfung leitete einen dramatischen Rückgang bei den Masernfällen ein, der quasi mit einer Eliminierung der endemischen Masern bis zum Jahr 2000 andauerte.
Eigentlich sprechen die Zahlen, die „Our World in Data“, eine Onlinepublikation der sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Oxford gesammelt hat, für sich: Die MMR-Impfung schützt nicht nur vor Masern, Mumps und Röteln, sie rettet effektiv Millionen Menschenleben. Seit Einführung der Masernimpfung wurden schätzungsweise 94 Millionen Leben gerettet – fast 2 Millionen pro Jahr.
Die MMR-Impfung: Wirkweise, Nutzen, Erfolge
Die MMR-Impfung ist eine Kombinationsimpfung gegen Masern, Mumps und Röteln, komponiert aus abgeschwächten Viren, die aktive Immunität schaffen. Die Schutzwirkung: Zwei Dosen gelten als zuverlässig schützend. Die Impfstrategie: Deutschland verfolgt eine Eliminierungsstrategie bei Impfquoten von über 95 %.
Trotz Fortschritten bei der Steigerung der Impfquote treten sporadische Masernausbrüche auf. Die vollständige Eliminierung nach WHO-Standards (unter 1 Fall pro 1 Million Einwohner jährlich) wurde bislang nicht erreicht. Das ist leider auch eine Folge des Wakefield-Mythos, dem selbst ein US-Präsident und dessen Gesundheitsminister blind vertrauen, obwohl Fachleute verschiedenster wissenschaftlicher Prägung und diverse medizinische Fachgesellschaften immer wieder darüber aufklären und davor warnen.
Aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse zu Autismus
Die Autismus-Spektrum-Störung (ASS) ist eine angeborene neurologische Entwicklungsstörung, die sich durch tiefgreifende Unterschiede in der sozialen Kommunikation, eingeschränkte Interessen und stereotype Verhaltensweisen äußert. Die Abweichungen im Gehirn entstehen schon vor der Geburt – nachträglich erworbener Autismus im Kindesalter ist ausgeschlossen.
Die Genetik spielt die dominierende Rolle: Studien zeigen eine Heritabilität (Vereinbarkeit) von 50 % bis 90 %, was bedeutet, dass genetische Faktoren maßgeblich für das Risiko verantwortlich sind. Besonders bedeutsam sind Genduplikationen und -deletion, sogenannte Copy Number Variants (CNVs) – etwa 10 % bis 20 % der Autismusfälle lassen sich auf solche strukturellen Veränderungen zurückführen. Spezifische genetische Syndrome wie etwa Dup15q-Syndrom (1 % bis 3 % aller Fälle), oder das ADNP-Syndrom – verursacht durch eine de-novo Mutation – gehören eindeutig zu den genetischen Ursachen.
Obwohl Autismus genetisch angelegt ist, können Umweltfaktoren das Risiko zusätzlich beeinflussen, vor allem während der Schwangerschaft in der pränatalen und perinatalen Phase.
Zu den untersuchten Einflüssen zählen etwa Infektionen der Mutter, bestimmte Medikamente, Pestizide oder Giftstoffe sowie Umweltverschmutzung wie Stickoxide aus Autoverkehr, die bei genetisch prädisponierten Kindern neurobiologische Entwicklung stören können.
Autismus entsteht also durch ein komplexes Zusammenspiel von starker genetischer Prädisposition und modulierenden Umweltfaktoren, die jedoch allein keinen Autismus verursachen können.
Heilbar und Stigma
Heilbar ist Autismus nicht. Therapien umfassen Frühförderung, Verhaltenstherapie und unterstützende Interventionen. Medikamente helfen nur bei Begleiterkrankungen, wenn Autisten zum Beispiel auch noch mit ADHS oder Angststörungen kämpfen müssen. Letztlich wird mit den Therapien versucht, die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern, ihnen ein hohes Maß an Selbstständigkeit zu verleihen und ihnen die Teilhabe am öffentlichen Leben, am sozialen Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen.
Für Betroffene und Angehörige stellt die Autismus-Lüge eine zusätzliche Belastung dar. Sie fühlen sich dadurch stigmatisiert. Dabei benötigen sie eine wirksame Unterstützung im Alltag und keine völlig irrealen Falschmeldungen über Ursachen und Impfungen. tok
FAQ: Fragen und Antworten zum Thema Autismus
Was ist Autismus?
Autismus – oder Autismus-Spektrum-Störung (ASS) – ist eine neurologische Entwicklungsstörung, die bereits in der frühen Kindheit auftritt. Sie äußert sich durch Unterschiede in der sozialen Interaktion, Kommunikation sowie durch besondere Interessen und wiederholte Verhaltensweisen. Da das Spektrum sehr breit ist, spricht man heute vom „Autismus-Spektrum“.
Ist Autismus angeboren oder erworben?
Autismus ist angeboren. Er entwickelt sich während der Schwangerschaft im Zusammenspiel von genetischen Faktoren und Umwelteinflüssen. Ein „plötzlich erworbener“ Autismus nach einer Impfung oder einem Ereignis ist medizinisch ausgeschlossen.
Welche Ursachen sind wissenschaftlich gesichert?
- Genetische Faktoren: spielen die größte Rolle. Zwillings- und Familienstudien zeigen eine sehr hohe Erblichkeit (bis zu 90 %).
- Umwelteinflüsse: können das Risiko leicht erhöhen, zum Beispiel Infektionen der Mutter in der Schwangerschaft oder bestimmte Schadstoffe. Aber: Sie allein verursachen keinen Autismus.
- Impfungen sind keine Ursache: Alle großen Studien weltweit bestätigen, dass Impfstoffe keinen Autismus auslösen.
Wie häufig ist Autismus?
Die Schätzungen liegen bei etwa 1 von 100 Kindern weltweit. In den USA liegt die Quote bei rund 1 von 36 Kindern, in Europa etwas niedriger. Der Anstieg der Diagnosen ist vor allem auf bessere Diagnostik und gesteigertes Bewusstsein zurückzuführen – nicht auf eine „neue Krankheit“.
Welche Symptome treten typischerweise auf?
- Schwierigkeiten im sozialen Kontakt (zum Beispiel Blickkontakt, nonverbale Signale)
- Unterschiede in der Kommunikation (verzögerte Sprache, wörtliches Verständnis)
- Starke, spezifische Interessen oder Routinen
- Teilweise Über- oder Unterempfindlichkeit gegenüber Reizen (Geräusche, Licht, Berührung)
Welche Stärken können Menschen mit Autismus haben?
Viele Autisten zeigen besondere Talente – etwa hohe Detailgenauigkeit, exzellentes Gedächtnis, mathematische oder kreative Begabungen. Autismus bedeutet nicht automatisch Einschränkung, sondern oft auch besondere Perspektiven.
Wie wird Autismus diagnostiziert?
In Deutschland geschieht die Diagnose meist durch Kinder- und Jugendpsychiater oder spezialisierte Zentren. Die Grundlagen für die Diagnose sind eine ausführliche Entwicklungsanamnese, Beobachtungen und Tests (zum Beispiel ADOS, ADI-R). Eine Frühdiagnose ist wichtig und schon ab dem 2. bis 3. Lebensjahr möglich.
Gibt es Therapien oder Heilung?
Autismus ist nicht heilbar – und er muss auch nicht geheilt werden. Therapien setzen an der Unterstützung und Förderung an. Dazu zählen Verhaltenstherapie, Sprachförderung, Ergotherapie, soziale Kompetenztrainings. Die Ziele: Lebensqualität, Selbstständigkeit und Teilhabe. Medikamente helfen nur bei Begleiterkrankungen (zum Beispiel ADHS, Angststörungen).
Welche Mythen sollte man ignorieren?
- „Autismus entsteht durch Impfungen.“ – widerlegt.
- „Autismus ist eine Folge von schlechter Erziehung.“ – falsch.
- „Autisten fühlen nichts.“ – falsch; sie empfinden Gefühle, zeigen sie oft nur anders.
Warum ist Aufklärung so wichtig?
Weil Mythen wie die Autismus-Lüge von Wakefield bis heute schaden:
- Sie fördern Impfangst und gefährden Leben.
- Sie stigmatisieren Menschen mit Autismus, statt Verständnis zu schaffen.
- Sie lenken von den echten Ursachen und Hilfen ab.
Wo finden Betroffene und Angehörige Hilfe?
Deutschland: Autismus Deutschland e.V. (autismus.de)
Medizinische Fragen: Robert Koch-Institut/RKI, Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung/BZgA, Paul-Ehrlich-Institut (PEI)/Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel International: Autism Science Foundation, Weltgesundheitsorganisation WHO, National Institute of Mental Health NIMH. tok