Beim Medikamentenübergebrauchskopfschmerz handelt es sich nicht um eine Nebenwirkung, sondern um eine eigene Kopfschmerz-Dorm. Diese entsteht, wenn Schmerz- oder Migränemittel zu lange zu häufig genommen werden. Foto: Gautam – KI-generiert/stock.adobe.com

Zu oft Tabletten gegen Kopfweh geschluckt? Wenn Schmerzmittel selbst zur Ursache werden

Kopfschmerzen treten als gesundheitliches Problem vergleichsweise häufig auf. Viele Menschen greifen bei einem akuten Anfall rasch zu frei verkäuflichen Schmerzmitteln aus der Apotheke. Wer aber zu häufig Schmerzmittel schluckt, kann dadurch sogar neue Kopfschmerzen bekommen. Dieses Phänomen ist als Medikamentenübergebrauchskopfschmerz (MÜK) bekannt.

Dieser Ratgeber erläutert, wie dieser schmerzhafte Teufelskreis entsteht, wer besonders gefährdet ist und was sich dagegen tun lässt.

MÜK ist keine bloße Nebenwirkung

„Bei einem Medikamentenübergebrauchskopfschmerz handelt es sich nicht um eine ‚gewöhnliche‘ Nebenwirkung, sondern um eigenständige Form des Kopfschmerzes“, erläutert Dr. André Breddemann, Arzneimittel-Experte bei der BARMER. Solche Schmerzen entstehen nach seinen Angaben, wenn Schmerzmittel oder bestimmte Migränemittel über einen längeren Zeitraum zu häufig genommen werden.

Durch den ständigen Medikamenteneinfluss verändert sich die Schmerzverarbeitung im Gehirn. Nervenzellen werden empfindlicher, die Schmerzschwelle sinkt und Kopfschmerzen treten immer häufiger in immer kürzeren Abständen auf. Schließlich wirkt das Medikament nicht mehr richtig, und Betroffene greifen noch öfter zu Pillen.

Wann gilt die Einnahme von Schmerzmitteln als „zu häufig“?

Die Grenze, ab der ein MÜK droht, hängt nach Angaben von Breddemann immer von der Art der Medikamente ab.

  • Einfache Schmerzmittel wie Paracetamol, Ibuprofen, Naproxen oder Acetylsalicylsäure: Ein Übergebrauch liegt bei solchen Präparaten vor, wenn sie an mehr als 15 Tagen pro Monat genommen werden und das über mindestens drei Monate hinweg.
  • Triptane und Kombinationspräparate, also Schmerzmittel in Kombination mit Koffein oder Codein: Hier genügen bereits mehr als zehn Tage pro Monat über drei Monate hinweg, um das Risiko von MÜK deutlich zu erhöhen.

Wer ist besonders gefährdet?

Am häufigsten betroffen von MÜK sind Patienten, die ohnehin an chronischen Kopfschmerzformen leiden – vor allem Migräne oder Spannungskopfschmerz – und mehr als 10 Kopfschmerztage im Monat haben. „Die häufigen Attacken und Medikamenteneinnahmen fördern das Risiko, in den Übergebrauch zu geraten“, sagt Breddemann. Insbesondere Frauen seien gefährdet. Als weitere Risikofaktoren gelten Stress, Schlafmangel, Bewegungsmangel, Übergewicht, Rauchen, psychische Erkrankungen wie Depressionen und Angsterkrankungen.

Wie äußert sich ein MÜK?

Typisch ist ein täglicher oder fast täglicher Kopfschmerz, der dann über Wochen oder Monate anhält. Er kann dumpf, drückend oder pulsierend sein und sich im ganzen Kopf ausbreiten. Viele Betroffene berichten, dass die gewohnten Medikamente kaum noch helfen oder die Schmerzen sogar rasch zurückkehren. „Häufig kommen Begleitsymptome hinzu wie Übelkeit, Konzentrationsprobleme, Reizbarkeit oder Schlafstörungen“, erläutert Breddemann.

Wie wird die Diagnose gestellt?

Die konkrete Diagnose wird in der Regel in der Hausarztpraxis oder in einer Praxis für Neurologie gestellt. „Wichtig ist ein genaues Gespräch über die Schmerz- und Medikamentengewohnheiten“, sagt Breddemann. Ein Kopfschmerzkalender, in dem Betroffene notieren, an welchen Tagen sie Kopfschmerzen haben und welche Medikamente sie einnehmen, könne ebenso hilfreich sein.

„Manchmal werden auch neurologische Untersuchungen oder eine Bildgebung des Kopfes in Form einer Magnetresonanztomographie durchgeführt, um andere Ursachen für die Schmerzen auszuschließen.“

Wie lässt sich MÜK behandeln?

Der wichtigste Schritt der Behandlung ist es, zunächst den übermäßigen Medikamentengebrauch zu beenden. „Nur so kann sich das Nervensystem erholen“, sagt Breddemann.

  • Absetzen der Schmerzmittel. Die für den Kopfschmerz ursächlichen Medikamente werden entweder in Form eines „kalten Entzuges“ sofort abgesetzt oder schrittweise reduziert. „Das hängt immer von dem jeweiligen Medikament ab, das eingenommen wurde und von der individuellen Situation der betroffenen Patientin oder des betroffenen Patienten“, erläutert Breddemann. In leichteren Fällen könne das Absetzen ambulant erfolgen. „Bei starkem Übergebrauch ist manchmal allerdings auch eine stationäre Behandlung in einer Schmerzklinik sinnvoll“, so der Experte.
  • Begleitbehandlung. Während der Entzugsphase können auftretende Beschwerden medikamentös gelindert werden. Wichtig ist nach Angaben von Breddemann auch Geduld: „In den ersten Tagen nach dem Absetzen können die Kopfschmerzen sogar vorübergehend stärker werden, bessern sich aber meist nach wenigen Wochen deutlich.“

Vorbeugung und langfristige Strategien

Nach der Entzugsphase gilt es laut Breddemann, ein Rückfallrisiko zu vermeiden. Das lasse sich wie folgt erreichen:

  • Bewusster Umgang mit Schmerzmitteln. Medikamente sollten nur bei Bedarf und in der geringstmöglichen Dosis eingenommen werden, maximal an zehn bei Triptanen acht Tagen pro Monat. Kopfschmerzkalender führen, um den Überblick zu behalten.
  • Nicht-medikamentöse Maßnahmen. Dazu zählen Entspannungstechniken wie progressive Muskelentspannung nach Jacobson, Yoga und Atemübungen. Regelmäßiger Schlaf, ausreichende Flüssigkeitszufuhr und Bewegung sind ebenfalls hilfreich.
  • Vorbeugende Medikamente. Bei häufigen Migränekopfschmerzen kann eine ärztlich verordnete Prophylaxe helfen, die Häufigkeit und Schwere der Attacken zu verringern.
  • Psychologische Unterstützung. Auch verhaltenstherapeutische Ansätze können nützlich sein, um besser mit Stress und Schmerz umzugehen.

Wann sollte ärztliche Hilfe gesucht werden?

Dr. André Breddemann rät dazu, ärztliche Unterstützung in Anspruch zu nehmen, wenn bei Patienten die Kopfschmerzen mehr als 10 bis 15 Tage im Monat auftreten, obwohl regelmäßig Schmerzmittel eingenommen werden. Der Besuch in der Arztpraxis ist zudem angezeigt, wenn eingenommene Tabletten nicht mehr richtig wirken oder die Schmerzen nach dem Absetzen stärker werden. „Eine frühzeitige Beratung kann möglicherweise verhindern, dass sich ein Medikamentenübergebrauchskopfschmerz verfestigt“, sagt Breddemann.

Dieser sei eine ernstzunehmende, aber gut behandelbare Folge eines zu häufigen Schmerzmittelgebrauchs. „Entscheidend ist, das Problem zu erkennen und gemeinsam mit Ärztinnen und Ärzten einen individuellen Ausweg zu finden“. Mit der richtigen Therapie, Geduld und unterstützenden Maßnahmen lasse sich der Teufelskreis durchbrechen und der Weg zu einem Leben ohne oder zumindest mit weniger Kopfschmerzen sei wieder offen.    pm