Drei von vier Jugendlichen kennen das Phänomen rezidivierender (wiederkehrender) Kopfschmerzen. Ungefähr jedes zweite Kind mit wiederkehrenden Kopfschmerzen wird im späteren Leben noch immer darunter leiden. Foto: OlgaKhorkova/stock.adobe.com
Kopfschmerzursachen in der Jugend: Lange Bildschirmzeiten und zu spätes Zubettgehen
Eine aktuelle bevölkerungsbasierte Studie aus Kanada zeigte, dass Lebensstilfaktoren die Häufigkeit von Kopfschmerzen bei Kindern und Jugendlichen beeinflussen. Das Risiko stieg mit einem späten Zubettgehen, langen Bildschirmzeiten und unregelmäßigen Mahlzeiten sowie auch durch Alkohol sowie den Konsum von Zigaretten oder Cannabis.
Richtige Diagnose ist entscheidend
Drei von vier Jugendlichen kennen das Phänomen rezidivierender (wiederkehrender) Kopfschmerzen. Die Gesamtprävalenz wird für das Kindes- und Jugendalter heute mit bis zu 60 % angegeben. Schon im Kindesalter gehören Kopfschmerzen zu den häufigsten Schmerzen – mit Eintritt in die Schule verfünffacht sich die Häufigkeit. Bei den primären Kopfschmerzen stehen mit 41 % Spannungskopfschmerzen an erster Stelle, aber auch Migräne kommt vor (9,4 %). Bei 32,5 % der Betroffenen besteht ein Mischtyp beider Formen.
Für die Behandlung ist die richtige Diagnose essenziell. Ungewöhnlich ist, wenn bereits Kleinkinder (unter 3 Jahren) über Kopfschmerzen klagen. Hier (aber grundsätzlich natürlich in jedem Alter) dürfen ernste Erkrankungen, die zu sekundären Kopfschmerzen führen, wie Meningitis, Hirntumoren oder Blutungen nicht übersehen werden. Bei der kinderärztlichen Anamnese und Untersuchung wird nach bestimmten Hinweisen („red flags“) gesucht (zum Beispiel Trauma, plötzlich neu aufgetretene oder im Verlauf zunehmende Kopfschmerzen, zusätzlich bestehende Übelkeit/Erbrechen, Fieber, nächtliches schmerzbedingtes Erwachen, Wesensveränderung oder weitere neurologische Symptome).
Die einzige primäre Kopfschmerzdiagnose, bei der ein Einsatz schmerzstillender Medikamente wie Paracetamol, Ibuprofen und Triptane (letztere ab zwölf Jahren) gerechtfertigt sind, ist eine nachgewiesene Migräne. Dennoch nehmen etwa 80 % der Jugendlichen mit wiederkehrenden Kopfschmerzen regelmäßig Schmerztabletten. Hier besteht längerfristig wie bei Erwachsenen die Gefahr, dass sich sekundär ein sogenannter Medikamentenübergebrauchskopfschmerz („medication-overuse headache“, MOH) entwickelt.
Viele Faktoren für Kopfschmerzen, die oft chronisch werden
Kopfschmerzen bei Kindern und Jugendlichen sind oft eine komplexe, multifaktorielle Erkrankung, die nicht selten chronisch wird. Ungefähr jedes zweite Kind mit wiederkehrenden Kopfschmerzen wird im späteren Leben noch immer darunter leiden. Daher ist es besser, möglichst frühzeitig nach den Ursachen zu suchen, statt unbedacht Schmerzmedikamente einzunehmen. Wie bei Erwachsenen auch, werden bei Kindern und Jugendlichen bestimmte „moderne“ Lebensstilfaktoren beziehungsweise Verhaltensweisen mit wiederkehrenden Kopfschmerzen in Verbindung gebracht. Darüber hinaus besteht eine Assoziation mit dem Auftreten von Depression und Angststörungen.
Auch wenn kausale Zusammenhänge schwer zu ermitteln sind, so ist klar, dass Kinder mit Kopfschmerzerkrankungen oft im Alltag (Schule, Familie, Freunde, Hobbies) stark beeinträchtigt sind – wobei der Schmerz das Sozialleben beeinflusst und umgekehrt. Eine gründliche Suche nach möglichen Kopfschmerzursachen führt oft bereits zu hilfreichen Behandlungsansätzen. Neben klassischen innerfamiliären Belastungssituationen spielen sowohl eine Überorganisation des kindlichen Alltags, eine Reizüberflutung mit fehlenden Ruhepausen, aber auch Langeweile und daraus entstehende Gewohnheiten eine Rolle.
Risikotyp: „Nachteulen“, die mit Alkohol zu lange vor Bildschirmen sitzen und rauchen
Eine aktuelle bevölkerungsbasierte Studie aus Kanada untersuchte in einer Querschnittsbefragung Kopfschmerzauslöser im Alter von 5-17 Jahren (Durchschnittsalter 10,9 Jahre; 48,8 % weiblich). Die Kopfschmerzhäufigkeit wurde dichotomisiert erfragt als „höchstens 1x/Woche“ oder „mehr als 1x/Woche“ (definiert als häufige Kopfschmerzen). Insgesamt 6,1 % hatten häufige Kopfschmerzen. Die Wahrscheinlichkeit für häufige Kopfschmerzen stieg signifikant mit dem Alter an und war beim weiblichen Geschlecht höher.
Im für Alter/Geschlecht bereinigten Rechenmodell stieg das Risiko signifikant mit einem späten Chronotyp („Nachteulen“) sowie langen Bildschirmzeiten (≥21 Stunden gegenüber 0,0 in der letzten Woche) an. Bei 12- bis 17-Jährigen spielte auch Substanzkonsum eine Rolle (Alkohol, Rauchen von Zigaretten oder E-Zigaretten, Cannabiskonsum). In der gesamten Kohorte war eine tägliche häusliche Rauchexposition mit häufigen Kopfschmerzen assoziiert. Die Wahrscheinlichkeit häufiger Kopfschmerzen sank mit der Regelmäßigkeit der Mahlzeiten. Es gab dagegen keinen Zusammenhang mit der angegebenen körperlichen Aktivität.
„Die Ergebnisse zeigen, dass Lebensstilfaktoren die Häufigkeit von Kopfschmerzen bei Kindern und Jugendlichen beeinflussen. Als sogenannte potenziell modifizierbare Risikofaktoren sollten sie in der Praxis angesprochen werden, denn hier gilt es gegenzusteuern“, so DGN-Kopfschmerzexperte Prof. Dr. Hans-Christoph Diener aus Essen.
Kopfschmerzen und neurologische Erkrankungen durch den Lebensstil
Es gibt verschiedene Projekte zum (Selbst-)Management beziehungswies zur Prophylaxe von Kopfschmerzen bei Kindern und Jugendlichen, da Haus- und Kinderarztpraxen oft nicht die Zeit haben, der Komplexität der Erkrankung gerecht zu werden. Ein Beispiel ist das Projekt DreKiP) am Universitätsklinikum Dresden, ein multimodales Kinderkopfschmerztherapieprogramm. Nach dem Assessment in der Kinderkopfschmerzambulanz läuft das Programm schulbegleitend über zwei bis drei Monate. Es beinhaltet acht Module (Kopfschmerzedukation, Stressbewältigung, Entspannungstechniken, körperliche Aktivierung/Fitness, Klettertherapie/Selbstwirksamkeit, Kunsttherapie/Defokussierung, Yoga und Riechtraining), zusätzlich finden edukative Eltern-Workshops statt.
„Wir wissen heute, dass viele neurologische Erkrankungen, die seit Jahren zunehmen, zu einem großen Teil auch lebensstilbedingt sind“, so Prof. Dr. Peter Berlit, Generalsekretär der DGN. „Natürlich beweisen nicht alle statistischen Assoziationen eine Kausalität, aber Programme wie das aus Dresden, die an der Modifikation möglicher Auslöser ansetzen, zeigen gute Erfolge. In der aktuellen Studie war auch Cannabis ein relevanter Risikofaktor. Auch unter diesem Aspekt ist die Freigabe dieser Droge in Deutschland kritisch zu sehen.“ pm
Info
Die 1907 in Dresden gegründete in Berlin angesiedelte Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN) sieht sich als wissenschaftliche Fachgesellschaft in der gesellschaftlichen Verantwortung, mit ihren mehr als 12.300 Mitgliedern die neurologische Krankenversorgung in Deutschland zu sichern und zu verbessern. Dafür fördert die DGN Wissenschaft und Forschung sowie Lehre, Fort- und Weiterbildung in der Neurologie. Mehr unter www.dgn.org