
Treten die Kardinalsymptome Muskelsteifheit, Ruhe-Zittern, Feinmotorik-Störung, leise Stimme, Masken-Gesicht aus, liegt eine Parkinson-Diagnose nahe. Heilbar ist Parkinson nicht. Foto: Alessandro Grandini/stock.adobe.com
Neurologie-Experte: „Parkinson ist die am schnellsten zunehmende neurodegenerative Erkrankung weltweit“
In Österreich sind rund 25.000 Menschen von Morbus Parkinson betroffen, in Deutschland mehr als 400.000. Die Zahl der jährlichen Neuerkrankungen steigt weltweit steil an. Bis heute ist Parkinson nicht heilbar, symptomatisch jedoch gut behandelbar. Mit medikamentösen und nicht-medikamentösen Therapien gelingt es, die Lebensqualität der Patienten zu verbessern. Trotzdem ist der Alltag für Betroffene – und damit sind auch betreuende Angehörige gemeint – herausfordernd.
Parkinson: Viele mögliche Ursachen und unheilbar
Was ist der neueste Stand der Parkinson-Forschung, welche Therapiemöglichkeiten und Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensqualität gibt es? Die Antworten darauf gibt Priv.Doz. Dr. Atbin Djamshidian-Tehrani PhD, Parkinson-Experte und Leiter der Arbeitsgruppe Bewegungsstörungen sowie der Gedächtnisambulanz an der Universitätsklinik für Neurologie in Innsbruck. Er ist Facharzt für Neurologie und seit 2015 an der Medizinischen Universität Innsbruck tätig. Die Forschungsschwerpunkte von Atbin Djamshidian liegen auf dem Gebiet der neurokognitiven Störungen bei Personen mit neurologischen, insbesondere neurodegenerativen Erkrankungen. Dabei steht die Entwicklung zur Früherkennung, aber auch die Detektion von kognitiven Veränderungen mittels digitaler Methoden im Mittelpunkt.
„Wichtig ist uns auch, der Krankheit das Stigma zu nehmen.“
Priv.Doz. Dr. Atbin Djamshidian-Tehrani PhD, Facharzt für Neurologie und Parkinson-Experte

Herr Djamshidian, mit Medikamenten wie Levodopa lassen sich die Symptome von Parkinson gut behandeln. Warum ist Parkinson bis heute nicht heilbar?
Atbin Djamshidian: „Neurodegenerative Erkrankungen, wie Morbus Parkinson sind komplexe Erkrankungen. Das heißt, es gibt nicht nur eine einzelne Ursache. Warum manche Menschen Parkinson bekommen und andere eben nicht, hängt von verschiedenen Faktoren ab, deren Zusammenspiel noch nicht geklärt ist. Neben einer genetischen Komponente dürften wohl auch Umweltfaktoren eine große Rolle spielen. Wir wissen zum Beispiel, dass Pestizide, etwa das Herbizid Paraquat, Parkinson-ähnliche Symptome hervorrufen können. Wir wissen auch, dass sekundäre Faktoren, wie etwa Schlafmangel oder Schichtarbeit schlecht sind für das Gehirn und neurodegenerative Erkrankungen insgesamt fördern. Erst wenn wir die Ursachen besser verstehen, könnte eine heilende Therapie entwickelt werden.“
Wenn externe Faktoren eine Rolle spielen, könnte man dann daraus schließen, dass es auch vorbeugende Maßnahmen gibt?
Djamshidian: „Ein gesunder Lebensstil ist zur Vorbeugung neurodegenerativer Krankheiten grundsätzlich wichtig. Vor allem bei der Alzheimererkrankung wirken sich präventive Maßnahmen positiv aus – bei den über 80-Jährigen nimmt die Inzidenz ab, Alzheimer tritt ab diesem Alter inzwischen also seltener auf. Seit wenigen Jahren sehen wir aber auch, dass Parkinson die am schnellsten steigende neurodegenerative Erkrankung weltweit ist, und wir wissen nicht, warum. Wir sehen auch, dass all jene Parkinson-Erkrankten, die fit sind, die Muskelkraft haben, die eine Physiotherapie machen, die ein Ausdauer-, Koordinations- oder Feinmotorik-Training machen, die eine Logopädie oder ein Stimmtraining machen, einen positiven Effekt auf ihren Krankheitsverlauf erzielen.
Auch eine frühe Diagnose kann den Krankheitsverlauf günstig beeinflussen. Ein besonderer Fokus der Forschung liegt deshalb auf der Identifikation von blutbasierten Biomarkern, die schon viele Jahre vor den ersten Symptomen das Risiko, an Parkinson zu erkranken, anzeigen können. Eine frühzeitige medikamentöse Intervention könnte idealerweise den Ausbruch der Erkrankung verzögern oder gar verhindern.“
Die Riechstörung und die REM-Schlaf-Verhaltensstörung haben sich bereits als frühe Anzeichen von Parkinson etabliert. Kennen wir auch andere Vorboten oder Tests?
Djamshidian: „Wir wissen, dass oft viele Jahre vor Ausbruch der Parkinson-Erkrankung unspezifische, nicht-motorische Symptome auftreten können, etwa Verstopfungen oder Depressionen. Es gibt tatsächlich auch Marker in der Bildgebung, etwa im strukturellen MRI, wo man Basalganglien, also bestimmte Hirnfunktionen, untersuchen und dann berechnen kann, ob diese Person ein erhöhtes Risiko hat. Und mit der sogenannten DaTSCAN-Technologie – die Abkürzung steht für das nuklearmedizinische Untersuchungsverfahren Dopamintransporter-Szintigraphie – kann gemessen werden, wie viel Dopamin im Gehirn ausgeschüttet wird.
Es werden derzeit auch neue Methoden, wie RT-QuIC (Real-Time Quaking-Induced Conversion), erprobt. Dieses Verfahren zur Diagnostik von Prionenerkrankungen könnte geeignet sein, in geringen Mengen von Gehirnflüssigkeit, vielleicht sogar über einen Nasen- oder Hautabstrich, nachzuweisen, ob eine Veranlagung für Parkinson besteht oder nicht. Diese Tests könnten bald auf den Markt kommen.“
Sie forschen an der Innsbrucker Univ.-Klinik für Neurologie und sind auch klinisch tätig. Wie gehen Sie bei Diagnose und Behandlung vor?
Djamshidian: „Nach detaillierter Anamneseerhebung, dem Vorfinden der Kardinalsymptome – zum Beispiel Muskelsteifheit, Ruhe-Zittern, Feinmotorik-Störung, einer leisen Stimme, einem sogenannten Masken-Gesicht –, der anschließenden Labordiagnostik und einer zerebralen Bildgebung zum Ausschluss sekundärer Ursachen, wird die Diagnose erstellt. Sprechen all diese Befunde für Parkinson, dann ist die wichtigste Frage für die Lebensqualität der Betroffenen: Stören Sie diese Symptome? Möchten Sie ein Präparat einnehmen?
Wenn ja, dann klären wir auf, dass Levodopa, der Goldstandard in der medikamentösen Therapie, dreimal am Tag eingenommen werden muss, dass andere Präparate nur einmal täglich genommen werden müssen, dafür aber schwächer wirken. Wir stellen auch nicht-pharmakologische Maßnahmen vor sowie die Möglichkeit, an einer Studie teilzunehmen. Je nach den individuellen Wünschen, machen wir einen Therapievorschlag. Die Zustimmung der Patientinnen und Patienten ist das Wichtigste.“
Kommt es tatsächlich vor, dass sich Patienten gegen Medikamente entscheiden?
Djamshidian: „Ja, es gibt Menschen, deren Krankheitsgefühl sich mit der täglichen Einnahme von Tabletten verschlechtert. Der Fokus der Behandlung muss auf der Lebensqualität der Patientinnen und Patienten liegen. Parkinson ist eine langsam voranschreitende Erkrankung. Wer sich gegen Medikamente, aber für sportliche Aktivität, Physiotherapie oder andere nicht-pharmakologische Maßnahmen entscheidet, kann mitunter das Fortschreiten der Erkrankung ebenso verlangsamen.“
Wie sehr trifft die Diagnose Parkinson die Angehörigen der Erkrankten?
Djamshidian: „Wir binden Angehörige jedenfalls eng in das Management der Erkrankung ein, sie spielen auch eine zentrale Rolle bei der Wahrnehmung von Symptomen und Veränderungen bei den Erkrankten. Auch seelische Begleiterscheinungen wie Depressionen und Angstzustände verschlechtern die Lebensqualität von Erkrankten wie von Angehörigen, gerade auch im fortgeschrittenen Krankheitsstadium. Deshalb ist es wichtig, dass sich Angehörige rechtzeitig Hilfe holen, um entlastet zu werden. In Österreich und in Tirol ist das soziale Angebot dafür sehr gut.“ pm
Parkinson in Deutschland
„Parkinson breitet sich weltweit zunehmend aus – aktuelle Schätzungen gehen von etwa 6 Mio. Betroffenen weltweit aus. In Deutschland sind hiervon mehr als 400.000 Menschen betroffen, Tendenz steigend“, schreibt die Deutsche Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen e.V. (DPG) auf ihrer Webseite. Damit ist Morbus Parkinson eine der häufigsten neurodegenerativen Erkrankungen nach Alzheimer. Die Prävalenzrate liegt bei rund 0,63 % der Bevölkerung ab 40 Jahren.
Zwischen 2013 und 2019 verzeichnete Deutschland einen Rückgang der jährlichen Neuerkrankungen um bis zu 30 %. Die Inzidenz sank von etwa 168 auf 122 Fälle pro 100.000 gesetzlich Versicherte ab 50 Jahren. Dieser Rückgang wird jedoch von Fachgesellschaften wie der DPG kritisch betrachtet, da er möglicherweise auf veränderte Diagnose- oder Kodierpraktiken zurückzuführen ist.
Prognosen zufolge könnte die Zahl der Parkinson-Erkrankten in Deutschland bis 2050 auf etwa 574.000 ansteigen, bedingt durch die alternde Bevölkerung. Trotz des beobachteten Rückgangs der Inzidenz bleibt die Gesamtzahl der Betroffenen hoch, was auf die zunehmende Lebenserwartung und die damit verbundene längere Krankheitsdauer zurückzuführen ist. Langfristig wird ein weiterer Anstieg der Betroffenen erwartet, was eine kontinuierliche Anpassung der medizinischen Versorgung erforderlich macht. tok