
Peter Emmrich, Pforzheimer Biologe und Allgemeinmediziner, ist neuer Präsident des Zentralverbands der Ärztinnen und Ärzte für Naturheilverfahren e. V. (ZAEN). Foto: Moritz
Neuer ZAEN-Präsident Peter Emmrich: Für die Naturheilkunde in der Politik „ziemlich dicke Bretter bohren“
Die Naturheilkunde scheint zwar mit alter Pflanzenmedizin und esoterisch anmutenden Therapien aus der Zeit gefallen zu sein, erfreut sich jedoch gerade mit ihrer ganzheitlichen Sichtweise wachsender Popularität. Als Biologe und Allgemeinmediziner mit einem großen homöopathischen Wissen kennt der Pforzheimer Peter Emmrich beide Welten: die Integrative und Regulationsmedizin sowie die sich rasant weiterentwickelnde wissenschaftlich-akademische Medizin. Beides vereint er in seinem Wirken und beides verbindet er auch in seinem neuen Amt als frisch gewählter Präsident des Zentralverbands der Ärztinnen und Ärzte für Naturheilverfahren e. V. (ZAEN).
Im Interview mit PZ-Redakteur Thomas Kurtz spricht Emmrich über Aufgaben und Vorhaben und seine Pläne, der Naturheilkunde in Gesellschaft und Politik neuen Auftrieb zu geben.
Wen vertreten Sie als neuer Präsident des Zentralverbands der Ärztinnen und Ärzte für Naturheilverfahren e. V. (ZAEN)?
Peter Emmrich: Als ZAEN-Präsident vertrete ich 2700 Ärztinnen und Ärzte im gesamten Bundesgebiet. Das ist mir eine große Ehre, denn dieser Berufsverband feiert im kommenden Jahr das 75-jährige Bestehen und den 150. ZAEN-Kongress, der in Freudenstadt mit einem besonderen Veranstaltungsformat auch für Patienten und Interessierte geöffnet werden soll. Zugleich ist das auch eine große Aufgabe, denn trotz aller herausragenden aktuellen wissenschaftlichen Entdeckungen und Entwicklungen begeistern sich immer Menschen für die Naturheilkunde, für traditionelle Medizin und Therapien aus anderen Kulturen. Diese Begeisterung in die weitere Gesellschaft und insbesondere in die Politik zu übertragen, ist allerdings ein Prozess, der intensive und langfristig denkende Überzeugungsarbeit erfordert.
Die Landesärztekammer Baden-Württemberg hat die Weiterbildung Homöopathie aus der Weiterbildungsordnung gestrichen. Der ehemalige Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach wollte — vergeblich — die Erstattung von homöopathischen Arzneimitteln durch die Gesetzliche Krankenversicherung streichen. Was will die neue Bundesregierung?
Peter Emmrich: Im Koalitionsvertrag wurde festgehalten, dass die Bundesregierung „Forschung und Versorgung zu Naturheilkunde und Integrativer Medizin zur Präventionsförderung“ unterstützen will. Da müssen wir als Ärzteverband erst einmal genauer prüfen, wie und wann unsere Verbandsanliegen unterstützt werden. Auch auf internationaler Ebene sind wir gefordert. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat Ende Mai die neue Strategie der Koalition für Traditionelle, Komplementäre und Integrative Gesundheit (TCIHC) für die Jahre bis 2034 verabschiedet. Eventuell war das ja nur der Umstellungs- und Einarbeitungsphase der neuen Bundesregierung geschuldet, aber diese Strategieverabschiedung fand leider ohne offizielle gesundheitspolitische Beteiligung aus Deutschland statt. Als Zentralverband hatten wir zwar mehrfach darauf hingewiesen, aber da gilt es offenbar noch mehr zu informieren und auch öffentlich deutlicher darzustellen.
Unsere Vorstellungen von einer ganzheitlichen Medizin, von einer Wertschätzung traditioneller und dabei auch Grenzen und Kulturen übergreifenden medizinischen Therapien stehen ja nicht in einem krassen Gegensatz zu einer rein wissenschaftlichen, akademischen Medizin. Hier gibt es — und dafür stehen auch unsere Verbandsmitglieder und befreundete Organisationen — schon lange eine wirkungsvolle Partnerschaft. Für diese Erkenntnis müssen wir im politischen Diskurs Freiräume finden. Da müssen wir als ZAEN präsent sein und wohl auch ziemlich dicke Bretter bohren.
Wie steht es denn um die internationale Akzeptanz der Naturheilkunde?
Peter Emmrich: Dass die Weltgesundheitsorganisation WHO eine neue Strategie der Koalition für Traditionelle, Komplementäre und Integrative Gesundheit beschlossen hat, spricht ja eigentlich schon für sich. Der Schweizer Dr. Tido von Schoen-Angerer, Präsident einer weltweiten Koalition aus 330 Partnerorganisationen von praktizierenden Gesundheitsanbietern, Patienten und Wissenschaftlern hat es im Kontext der WHO-Strategie so formuliert: „Traditionelle und komplementäre Medizin findet zunehmend ihren Platz neben der konventionellen Versorgung – nicht als Alternative, sondern als Partner bei der Heilung.“ Das müssen wir in Deutschland immer wieder herausstellen und den Menschen in Gesellschaft, Gesundheitswirtschaft und Politik so klar formulieren, dass Naturheilkunde eben kein bloßer Modetrend, keine reine esoterische Spielerei ist.
Unsere Patienten wissen das, weil sie das oft genug am eigenen Leib erfahren haben. Aber in allen medizinischen Organisationen und Versorgungsbereichen muss diese Erkenntnis von der Partnerschaft bei der Heilung als eine ganz natürliche, selbstverständliche und entsprechend positiv gewertete Verbindung gesehen werden. Naturheilkunde und Homöopathie sind ja in Deutschland schon traditionell fest im Bewusstsein der Patienten verankert, aber wir können als Ärzte für Naturheilverfahren noch mehr für unser Anliegen tun, wenn wir es schaffen, dass wir auf breiter und professioneller Basis als „Partner der Heilung“ verstanden und anerkannt werden.
Dabei öffnen sich uns in der Medizin ja weite Felder, in denen wir unsere ureigenen Stärken vorbeugend oder unterstützend einbringen können. Zum Beispiel auch mit indigener Medizin oder fernöstlichen Therapien. Wir müssen wegkommen von unserer lokal und kulturell begrenzten Sichtweise. Die ganze Welt könnte unsere Apotheke und unser Therapiezentrum sein. So bringen wir Vielfalt und Flexibilität in unsere Partnerschaft bei der Heilung. Dr. Natalia Sofia Aldana Martinez vom Traditional, Complementary and Integrative Medicine Network for the Americas, hat es in Verbindung mit der WHO-Strategie so erklärt: „Pflanzenheilkunde und Akupunktur sind nur einige der traditionellen, ergänzenden Ansätze zur Vorbeugung und Behandlung chronischer, lebensstilbedingter Gesundheitsprobleme wie Fettleibigkeit, Herzkrankheiten, Stress und chronischen Schmerzen. Sie können auch dazu beitragen, den unnötigen Einsatz von Antibiotika zu reduzieren.“
Was können Sie als neuer ZAEN-Präsident bewirken?
Peter Emmrich: Die Arbeit und die Ideen des ZAEN zu präsentieren ist zunächst einmal ein Teamsport. Nach außen in die Gesellschaft und in die Politik wirken können wir als Ärzteverband vor allem durch informieren und überzeugen. Nur ein Beispiel: Hier gilt es vielleicht alte Strukturen zu straffen und neue zu schaffen. Konkreter: Wir sollten vielleicht unsere Onlineaktivitäten gerade in den Sozialen Medien vorantreiben. Unsere Patienten überzeugen wir ja bereits durch unser Handeln in der Praxis, in der Therapie. Wir wollen aber noch mehr Menschen für unser Anliegen erreichen — und die finden wir in dieser Zeit eben da, wo sie sich den ganzen Tag über aufhalten: in der Onlinewelt.
Haben Sie dafür ein konkretes Beispiel?
Peter Emmrich: In meiner Heimatstadt Pforzheim wurde auf dem PZ-Gesundheitsportal Vital-Region.de eine Petition gegen den geplanten Lauterbach-Kahlschlag in der Naturheilkunde veröffentlicht. Der wurde in den Sozialen Medien gepostet und geteilt und im Nu sind die Teilnehmerzahlen an der Petition in die Höhe geschossen — mit der erhofften Wirkung. Solche Effekte müssen wir nutzen, um in der Politik mehr Gehör zu finden. Natürlich gibt es auch noch weitere Handlungsfelder, aber an denen arbeiten ja der ganze Vorstand und engagierte Verbandsmitglieder mit. Gemeinsam wollen wir den ZAEN stark machen. tok