
Gefahr durch Bakterien auf dem Teller: Die Dynamik des EHEC-Ausbruchsgeschehens vom August 2025 hat nach drei Todesfällen durch HUS (hämolytisch-urämisches Syndrom) abgenommen. Der Ausbruch ist sehr wahrscheinlich lebensmittelbedingt. Die konkreten Ansteckungsquellen sind noch nicht identifiziert. Foto: imaginando/stock.adobe.com
EHEC-Ausbruch 2025: Warum jetzt vor allem Kinder gefährdet sind und was Experten bei gastrointestinalen Infektionen alarmiert
Plötzlich wurde in diesem Sommer überall von EHEC und HUS geredet. Kaum jemand hatte sich davor mit dieser gastrointestinalen Infektion beschäftigt. Täglich stiegen Ende August die Fallzahlen zuerst in Mecklenburg-Vorpommern, dann auch in Nordrhein-Westfalen. Etwa zeitgleich liefen Meldungen von mehreren HUS-Todesfällen in belgischen Altenheimen ein. Die Besorgnis war nicht übertrieben: Bei EHEC handelt es sich um enterohämorrhagische Escherichia coli, also um Bakterien, die im Menschen ein besonders starkes Gift produzieren.
Im 2025er-Ausbruch entwickelten fast nur Kinder das gefährliche HUS
Dieses Shiga-Toxin sorgt nicht nur für blutige Durchfälle, sondern schädigt in schweren Fällen auch die Nieren und löst lebensgefährliche Komplikationen aus. Während in Belgien vor allem ältere Menschen schwere Gesundheitsprobleme hatten, waren beim aktuellen EHEC-Ausbruch in Nordostdeutschland auffällig viele Kinder unter 10 Jahren in recht kurzer Zeit mit EHEC infiziert. In Folge der Infektion entwickelten in Deutschland fast ausschließlich Kinder das hämolytisch-urämische Syndrom (HUS), das sich in 5 % bis 10 % aller Fälle (in allen Altersgruppen) mit akutem Nierenversagen, Blutarmut, Blutplättchenmangel zeigt. Manchmal mit fatalem Ausgang.
Im Zuge des aktuellen Ausbruchs starb ein Junge im Alter von 5 bis 10 Jahren und eine Frau im Alter von 70 bis 80 Jahren. Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes machte das Robert Koch‑Institut (RKI) keine genaueren Angaben zu Alter, Todeszeitpunkt oder Wohnort. Darüber hinaus wurde jüngst ein dritter Todesfall gemeldet – eine über 90-jährige Frau, wahrscheinlich ebenfalls im Zusammenhang mit dem Ausbruch.
Sehr viele der vom August-Ausbruch betroffenen Kindern wurden wegen HUS (oft mit Blutgerinnungsstörungen und Funktionsstörungen der Nieren) intensivmedizinisch versorgt. Eine große Anzahl der kleinen Patienten musste eine Dialyse über sich ergehen lassen. In besonders schweren Fällen kann die Infektion erst nach einigen Wochen ausgeheilt sein.
Keine wirklich schlagkräftige Therapie
Die HUS-Therapie nach EHEC-Infektion erfolgt in der Anfangsphase eher symptomatisch: Der Verlust an Wasser und Elektrolyten wird durch Infusionen ausgeglichen. Die Durchfallerscheinungen durch die Darmbewegung lähmende Arzneistoffe einzudämmen, ist wenig hilfreich, da sonst die Ausschwemmung der toxinproduzierenden Bakterien unterdrückt wird.
Sind Antibiotika sonst das wichtigste Mittel gegen Bakterien, ist das bei einer EHEC-Erkrankung nicht der Fall. Sie wirken nicht gegen das Bakteriengift, scheinen im Gegenteil eher eine erhöhte Freisetzung des Giftes zu provozieren und die HUS-Entwicklung zu fördern. Am Ende eines schweren Verlaufs könnte eine Nierentransplantation oder eine lebenslange Dialyse stehen.
EHEC-Zahlen der vergangenen Jahre bereits deutlich übertroffen
Der Ausbruchserreger vom Sommer 2025 wurde als EHEC des Serotyps O45:H2 mit den Typisierungen Shigatoxin-Gen stx2a, Intimin-Gen eaeA und Enterohämolysin-Gen ehxA identifiziert. Mit Stand 17. November 2025 werden dem Ausbruch 199 bestätigte Erkrankungsfälle zugerechnet, davon 53 HUS-Fälle und 145 EHEC-Fälle (bei einem Fall ist dies unbekannt). Zusätzlich zu den bestätigten Fällen werden 9 wahrscheinliche Ausbruchsfälle und 220 mögliche Ausbruchsfälle gezählt. Bei denen ist aber unklar, ob sie Teil des Ausbruchs sind, etwa weil das Laborergebnis der Spezialdiagnostik noch aussteht oder die Proben nicht näher untersucht werden konnten. Insgesamt werden somit 428 EHEC/HUS-Fälle mit dem Ausbruchsgeschehen in Zusammenhang gebracht.
EHEC-Ansteckungen gibt es regelmäßig: Nach Daten des RKI wurden 2023 bundesweit mehr als 3440 Erkrankungen erfasst, 2024 rund 4570. In diesem Jahr wurden bis zur 46. Kalenderwoche allerdings schon 5814 Fälle dem RKI übermittelt. Ebenfalls in diesem Zeitraum wurden 399 EHEC-Fälle in Baden-Württemberg gemeldet.
Die Todesfallrate schwankt. Generell gilt: Die HUS-Sterblichkeit liegt laut RKI bei ungefähr 2 Prozent. 2023 gab es 5 Todesfälle bei vergleichsweise deutlich weniger Erkrankungen als im Jahr 2024, im dem aber nur 3 HUS-bedingte Todesfälle gemeldet wurden.
Warum sind beim 2025-Ausbruch fast ausschließlich Kinder betroffen?
Der Grund, warum beim aktuellen Ausbruch vor allem Kinder HUS entwickeln, ist vermutlich eine Kombination aus kindlicher Vulnerabilität, Ausbruchsszenario und Erregereigenschaften – nicht eine universelle Regel, aber eine typische Beobachtung.
Mehrere Faktoren spielen hier eine Rolle:
- Immunsystem und physiologische Besonderheiten von Kindern
Kinder, insbesondere unter 10 Jahren, verfügen über ein noch nicht vollständig etabliertes Immunsystem und eine veränderte Zusammensetzung der Nieren- und Endothelzellen, die bei der Entwicklung des HUS mitwirken können. Zum Beispiel weisen gewisse Rezeptortypen (etwa Gb3-Rezeptoren) bei Kindern eine höhere Dichte auf, über welche das Shiga-Toxin in die Zelle eindringen kann. Das wäre ein Erklärungsansatz für erhöhte HUS-Risiken bei Kindern. - Erregertyp und Expositionsszenario
Beim aktuellen Ausbruch handelt es sich um den Serotyp O45:H2, der zumindest nach vorliegenden Daten überwiegend Kinder als HUS-Patienten hervorbringt. Laut dem RKI-Bulletin sind „größtenteils Kinder unter 10 Jahren betroffen“. Möglich ist, dass das Infektionsgeschehen primär Kinder-Settings betrifft (etwa Kindertagesstätten, Betreuungseinrichtungen, Gemeinschaftsverpflegung) oder dass die Exposition bei Kindern stärker war (zum Beispiel durch kleine Portionen, Spiel-/Kontaktverhalten, geringere Hygiene-Minderung). - Frühzeitige Meldung/besondere Aufmerksamkeit
Kinder mit HUS ziehen schneller medizinische Aufmerksamkeit auf sich. Es besteht daher eine gewisse Melde- beziehungsweise Erfassungs-Selektion: Wenn Kinder massiv betroffen sind, wird ein Ausbruch schneller erkannt und als solcher gemeldet. - Nicht zwangsläufig immer so, aber typisch
Obwohl Kinder häufig stärker betroffen sind, insbesondere bei klassischen EHEC-Infektionen, ist das nicht zwingend immer so. Beim Ausbruch von 2011 beispielsweise waren Erwachsene deutlich überrepräsentiert. Faktoren wie Serotyp, virulente Gene (etwa Stx2a vs. Stx1), Expositionshäufigkeit, Lebensmittelart, Hygienestatus und Alters- und Gesundheitsstruktur der Betroffenen spielen mit hinein.
Suche nach der Ansteckungsquelle geht weiter
Die am stärksten betroffenen Bundesländer sind weiterhin Mecklenburg‑Vorpommern und Nordrhein‑Westfalen. Insgesamt haben 9 von 16 Bundesländern 4 oder mehr Ausbruchsfälle mit Exposition in dem jeweiligen Bundesland. Die Dynamik des Ausbruchsgeschehens hat inzwischen aber deutlich abgenommen. Der Ausbruch ist sehr wahrscheinlich lebensmittelbedingt. Die konkreten Ansteckungsquellen konnten aber bisher trotz umfangreicher Untersuchungen noch nicht identifiziert werden. Die Ursachenermittlungen laufen weiterhin.
Rückblick: Der große Ausbruch 2011
Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass das Ausbruchsgeschehen seit 2012 zu einer extremen Infektionsanzahl mit einem traurigen Höhepunkt in 2025 geführt hat, jedoch der großflächige EHEC-Ausbruch in Deutschland von Mai bis Juli 2011 zahlenmäßig nicht erreicht wurde. In dieser Zeit wurden laut dem RKI und weiteren Analysen insgesamt 2987 Fälle mit blutiger Diarrhö und 855 HUS-Fälle dokumentiert. Ferner wurden 53 Todesfälle verzeichnet.
Besonders markant war, dass in dieser Welle mehrheitlich Erwachsene betroffen waren – anders als bei vielen anderen EHEC-Geschehen, bei denen Kinder dominieren. Die Ursache konnte schließlich auf importierte Bockshornklee-/Fenugreeksamen aus Ägypten zurückgeführt werden, die zur Sprossenzucht verwendet wurden. Somit war der Ausbruch von 2011 nicht nur zahlenmäßig extrem, sondern auch hinsichtlich Altersverteilung und Erregertyp ungewöhnlich.
| Merkmal | EHEC-Ausbruch 2025 (O45:H2) | EHEH-Ausbruch 2011 (O104:H4) |
|---|---|---|
| Serotyp | O45:H2 (Stx2a, eaeA, ehxA) | O104:H4 (EAggEC/EHEC-Hybrid) |
| Zeit- und Region | ab Ende August 2025, schwerpunktmäßig Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen | Mai–Juli 2011, Nord- und Westdeutschland |
| Anzahl bestätigter Fälle | 199 (Stand 17.11.2025) + weitere wahrscheinliche, mögliche Fälle → insgesamt ~428 Ausbruchsfälle zugeordnet | ~2987 + 855 HUS-Fälle (~3800 insgesamt) |
| Altersverteilung der HUS | fast ausschließlich Kinder unter 10 Jahren (Median Alter HUS 4 Jahre) | überwiegend Erwachsene (Median Alter HUS 42 Jahre) |
| Todesfälle | mindestens drei mit Ausbruchbezug (Kind, Frau 70-80 J, Frau >90 J) | 53 Todesfälle |
| Ursache / Lebensmittelquelle | noch nicht identifiziert, lebensmittelbedingt sehr wahrscheinlich | Kontaminierte Sprossen aus importierten Fenugreek-/Bockshornklee-Samen als wahrscheinlichste Quelle |
| Besonderheit des Erregers | Genomisches Cluster mit größerer Variabilität innerhalb des Clusters als üblich | Hybrid-Erreger mit EAggEC-Eigenschaften → neuartige hohe Virulenz |
Diese Gegenüberstellung zeigt: Der Ausbruch 2025 ist in vielerlei Hinsicht anders gelagert als der große Ausbruch von 2011: bezüglich Altersverteilung, Erregertyp, Anzahl und Quelle. Dennoch ist er in seiner Größenordnung und Schwere das größte EHEC/HUS-Geschehen in Deutschland seit 2011.
Welche Lehren lassen sich ziehen?
- Schnelle Erkennung und Meldeketten: Der aktuelle Ausbruch zeigt, wie wichtig das Meldewesen (Infektionsschutzgesetz, IfSG) und eine gute mikrobiologische Typisierung sind, um Cluster zu identifizieren, zu analysieren und Gegenmaßnahmen einzuleiten.
- Lebensmittelkette im Blick behalten: Obwohl die genaue Quelle im Jahr 2025 noch nicht gefunden ist, bleibt klar: Viele EHEC-Infektionen haben ihre Ursache im Lebensmittelbereich oder in Schmierinfektionen/Kontaminationsketten. Die Analyse von 2011 zeigt die Komplexität solcher Ermittlungen.
- Besondere Aufmerksamkeit bei Kindern: Kindertagesstätten, Schulen und Gemeinschaftsverpflegung sollten besondere Hygiene- und Kontrollmaßnahmen beachten – sowohl beim Ausbruch als auch zur Prävention.
- Prävention durch Hygiene und Aufklärung: Händewaschen, getrennte Küchenutensilien bei Roh- und Kochware, ausreichendes Erhitzen, sowie Vermeidung von Kreuzkontamination sind weiterhin zentrale Maßnahmen.
- Fortlaufende Forschung und Typisierung: Virulenzfaktoren, Serotypen und Resistenzprofile ändern sich – wie 2011 der Hybrid-Erreger und 2025 der Serotyp O45:H2 zeigen. Hier braucht es eine konsequente Überwachung.
- Transparenz und Kommunikation: Rückrufe (zum Beispiel von Produkten mit EHEC-Nachweis) und schnelle Information der Bevölkerung sind wichtig.
Gastrointestinale Infektionen steigen in Deutschland deutlich an
Die Ermittlungen zur Identifizierung der konkreten Infektionsquelle des Ausbruchs 2025 laufen weiter. Es bleibt zu hoffen, dass durch eine gezielte Lebensmittel- und Produktionskettenanalyse bald Klarheit geschaffen wird. Gleichzeitig gilt es, das Bewusstsein für EHEC-Infektionen auch nach der akuten Phase hoch zu halten, denn die Wahrscheinlichkeit weiterer EHEC-Fälle bleibt bestehen. Werden Hygienevorschriften strikt eingehalten, ist das nicht nur eine EHEC-Prophylaxe, sondern auch eine zentrale Präventionsmaßnahme, mit der andere gastrointestinale Infektion in Schach gehalten werden können.
Auffällig ist, dass 2025 im Zeitraum von Kalenderwoche 1 bis 46 die Fallzahlen für solche Infektion teilweise stark angestiegen sind. Einzige Ausnahme: Die Infektionen durch Salmonellen. Die gingen bis zum 16. November 2025 von 11.454 gemeldeten Fällen in 2024 auf 9708 Infektionen in 2025 zurück. Dafür stiegen die Zahlen von Norivirus-Gastroenteritis leicht an (68.657 Fälle in 2025 gegenüber 67.018 Fällen in 2024). Deutlicher fiel der verhältnismäßige Anstieg bei Campylobakter-Enteritis aus (44.678 Fälle in 2025, 42.190 in 2024).
Ganz besonders krass im Zeitraum von KW 1 bis 46: Die Infektionen mit dem Rotavirus stiegen um 77 % gegenüber dem Vorjahr (34.778 gemeldete Rotavirus-Infektionen in 2025 gegenüber 19.683 in 2024). Diese fast schon explosionsartige Zunahme der Fälle von Rotavirus-Gastroenteritis wirft Fragen auf, denn die Krankheit hielten viele längst für beherrschbar. „Besonders auffällig ist der Anstieg bei Kindern unter fünf Jahren sowie die parallele Zunahme in mehreren Bundesländern“, erklärte das Robert Koch-Institut (RKI) im Epidemiologisches Bulletin Nr. 45 / 2025.
Die meisten Betroffenen genesen zwar vollständig, aber schwere Verläufe sind keine Seltenheit. Dehydrierung ist die größte Gefahr. Sie kann besonders bei kleinen Kindern in wenigen Stunden kritische Ausmaße annehmen. In seltenen Fällen sind neurologische Komplikationen beschrieben, etwa Krampfanfälle oder eine sogenannte postinfektiöse Enzephalopathie. Manche Kinder leiden nach einer schweren Infektion länger an einer Laktose- oder Milchzuckerunverträglichkeit, weil die Darmschleimhaut vorübergehend geschädigt ist. Diese sogenannte „sekundäre Laktoseintoleranz“ verschwindet meist nach einigen Wochen, kann aber belastend sein. tok