1892 starben in Deutschland mehr als 50.000 meist junge Menschen an Diphtherie. Erst mit Einführung der Impfung ab 1913 änderte sich das – heute ist die Erkrankung fast verschwunden. Aber: Ohne vollständige und aufgefrischte Diphterie-Impfung kann es für Kinder und Erwachsene immer noch gefährlich werden. Foto: Dan Race/stock.adobe.com

Diphterie-Todesfall in Brandenburg: Ungeimpfte Kinder schweben unnötig in Lebensgefahr

„Zehnjähriger in Deutschland an Diphtherie gestorben“, titelten die Medien im Januar. „Erstmals seit zehn Jahren Masern-Todesfall in den USA“, war nur kurze Zeit später zu lesen. Inzwischen ist ein weiteres Kind in Texas dieser Infektionskrankheit erlegen. Diese Fälle haben eines gemeinsam: Die Betroffenen waren nicht geimpft, obwohl Vakzine für sie verfügbar gewesen wären. Da kapituliert selbst ein weltweit bekannter Impfskeptiker.

Monatelanger Todeskampf wegen einer verhinderbaren Krankheit

Monatelang hatte der Brandenburger Junge gekämpft – doch am Ende gegen die Diphtherie verloren. Nur ein Einzelfall und somit kein Grund sich impfen zu lassen? Ganz im Gegenteil: Noch 1892 starben in Deutschland mehr als 50.000 meist junge Menschen an Diphtherie. Erst mit Einführung der Impfung ab 1913 änderte sich das – heute ist die Erkrankung fast verschwunden. „Die Leute unterschätzen die Krankheit, weil sie nie ihren Schrecken miterlebt haben“, so Dr. Benedikt Brixius, Sprecher der Kinder- und Jugendärzte im Saarland.

Diphtherie wird auch als „Würgeengel“ bezeichnet – denn im Verlauf können sich die Atemwege so sehr verengen, dass Betroffene letztlich ersticken. Dass das heute in der Bundesrepublik nur noch selten passiert, liegt nicht daran, dass die Krankheit besonders exotisch wäre – sondern daran, dass es gelungen ist, sie mit Hilfe von Vakzinen zurückzudrängen.

Anders gesagt: „Nur durch gute Impfquoten lässt sich verhindern, dass sich die Diphtherie verbreitet“, erklärt das Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit. Doch in Deutschland sind Menschen in allen Altersgruppen nur unzureichend gegen diverse Infektionskrankheiten geschützt. Mehr als ein Drittel aller Kinder hat im empfohlenen Alter von 15 Monaten laut Robert Koch-Institut keine dritte Dosis der Diphtherie-Tetanus-Pertussis-Impfung (DTP) erhalten. Auch mit 24 Monaten fehlte zuletzt bei 23 Prozent ein ausreichender Schutz.

Zu spät oder auch gar nicht: Vielen Kindern in Deutschland fehlt „der vollständige Impfschutz vor Erkrankungen wie Poliomyelitis (Kinderlähmung), Pertussis (Keuchhusten) oder Masern. Quelle: RKI, Epidemiologisches Bulletin 50/2024/Grafik: Pharma-Fakten.de

Masern auf dem Vormarsch: Selbst US-Gesundheitsminister rudert zurück

Bei den Masern ist die Lage ähnlich: Mehr als jedem fünften Zwei-Jährigen fehlt hierzulande die zweite Dosis. „Das Masernvirus ruht nie – und wir dürfen das auch nicht“, warnt Dr. Hans Henri P. Kluge, Regionaldirektor für Europa der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Für das Jahr 2024 wurden in der Europäischen Region 127.350 Masernfälle gemeldet – doppelt so viele wie 2023 und die höchste Zahl seit 1997.

Und auch in den Vereinigten Staaten sind die Masern zurück – dabei „galten sie in den USA als ausgerottet“, schreibt Medizinerin Dr. Elena Terhalle auf dem Fachportal DocCheck. Demnach ist die große Mehrheit der Erkrankten nicht geimpft. Im Staat Texas sind zwei Kinder verstorben. Selbst US-Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr. rät inzwischen zur Impfung – er, der als Impfskeptiker weltweit in aller Munde ist und mit einem Masernausbruch mit mehr als 80 Todesfällen in Samoa im Jahr 2019 in Verbindung gebracht wird. Er hatte sich damals mit prominenten Impfgegnern getroffen und so zu einer Desinformationskampagne beigetragen, wie The Guardian schreibt.

Prominenter Impfgegner gefährdet durch Verschwörungstheorien

Kennedy fährt einen Zickzack-Kurs: Kurz nachdem er sich überraschend für die Impfung ausgesprochen hatte, verbreitete er falsche Hoffnungen in Bezug auf die Behandlungsmöglichkeiten. Tatsache ist: Eine spezifische antivirale Therapie gegen das Masernvirus gibt es nicht; die Behandlung ist daher rein symptomatisch. Die Eltern der verstorbenen Kinder aus Texas halten nach den Todesfällen jedoch weiter an ihrer Impfverweigerung fest.

Die (einst von Kennedy gegründete) Organisation Children’s Health Defense verbreitet Fake News – in einem Interview mit einem Vater wird die angeblich schlechte Krankenhausbehandlung und nicht die Masernerkrankung für den Tod eines Kindes verantwortlich gemacht. Wenn Menschen einmal in einer Welt aus Verschwörungstheorien und Wissenschaftsfeindlichkeit gefangen sind, wird es schwierig, sie mit Fakten zu erreichen.

Impfstoffe: So wirksam sind sie wirklich

Dabei ist die Evidenzlage geradezu erdrückend: Seit über 60 Jahren kommt die Masernimpfung weltweit zum Einsatz. Forscherin Saloni Dattani verweist auf der Plattform „Our World in Data“ auf große Meta-Analysen, die „zeigen, dass Masernimpfungen hocheffektiv und sicher sind; sie reduzieren das Risiko einer Masern-Erkrankung um 95 Prozent.“ Nach einer zweiten Dosis ist der Schutz sogar noch besser. Mit der Einführung des Impfstoffs konnten über die vergangenen 50 Jahre mehr als 90 Millionen Menschenleben gerettet werden. „Es wird geschätzt, dass zwei bis drei Millionen Menschen weltweit pro Jahr an den Masern sterben würden, wenn es keine Impfstoffe geben würde“, weiß Dattani.

Gleichzeitig sind potenzielle Nebenwirkungen wie Hautausschlag oder leichtes Fieber meist „unbedeutend und von kurzer Dauer.“ Zwar können auch schwerwiegendere Reaktionen auftreten: Aber die Wahrscheinlichkeit dafür ist nicht nur gering – sie ist vor allem sehr viel geringer als bei einer tatsächlichen Masernerkrankung, so die Forscherin. Dass es Hinweise auf eine Verbindung zwischen der Masernimpfung und Autismus oder Entwicklungsverzögerungen gäbe, ist schlicht falsch.

Zugelassene Impfstoffe: Nutzen überwiegt

Überhaupt gilt für alle Vakzine, die eine offizielle Zulassung haben: Ihr Nutzen überwiegt potenzielle Risiken deutlich – ohne entsprechende Daten hätten sie kein grünes Licht der Behörden erhalten. Gegen Diphtherie und Masern, gegen die Kinderlähmung (Poliomyelitis), COVID-19 oder Keuchhusten: Vor zahlreichen Krankheiten, vor schweren Verläufen und Komplikationen können Impfungen heutzutage schützen. Voraussetzung ist, dass sie zum Einsatz kommen – was selbst in wohlhabenderen Ländern mit vergleichsweise guter Gesundheitsversorgung zu oft nicht der Fall ist.

Vier von fünf Menschen, die in Deutschland in Risikogebieten wohnen, sind nicht vollständig gegen die durch Zecken übertragbare Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) geimpft. Fast die Hälfte aller 15-jährigen Mädchen hat keinen vollständigen Schutz gegen Humane Papillomviren (HPV) – und vor damit assoziierten Krebserkrankungen.

Die gute Nachricht ist: Dass Menschen Impfungen auslassen, hat oft Gründe, die nichts mit radikaler Verweigerung zu tun haben. Zumindest in Deutschland stehen laut einer repräsentativen Befragung aus dem Jahr 2022 nur drei Prozent der Menschen Impfungen allgemein (eher) ablehnend gegenüber. 83 Prozent bezeichnen sich als „(eher) befürwortend“, 14 Prozent ordnen sich bei „teils/teils“ ein.

Mehr Aufklärung, mehr Impfangebote

Daran lässt sich anknüpfen: mit mehr Aufklärung, mit mehr Impfangeboten und effektiverer Impfkommunikation, mit (digitalisierten) Erinnerungen an Impftermine. „Impfungen für alle sind menschlich möglich“ – unter diesem Motto begeht die WHO die Europäische Impfwoche (EIW) 2025 und verbreitet Informationen über Vakzine. Das ist leichter gesagt als getan, wenn derweil Personen der Öffentlichkeit wie ein US-Gesundheitsminister mit Fake News von sich reden machen. Und weltweit Budgetkürzungen im Bereich öffentlicher Gesundheit getätigt werden.

„Wenn man mir gesagt hätte, dass zu einer Zeit, in der es uns hauptsächlich dank Impfstoffen gelungen ist, die Kindersterblichkeit seit der Jahrtausendwende zu halbieren, ihr Ruf heute durchwachsener denn je ist, hätte ich erwidert: Willst du mich auf den Arm nehmen? Sie sind Wunder“, so Microsoft-Gründer und Philanthrop Bill Gates.

Weiterführender Link: European Immunization Week 2025 (27. April – 3. Mai)




Was ist Diphtherie?

Diphtherie ist eine schwere bakterielle Infektionskrankheit, verursacht durch Corynebacterium diphtheriae. Besonders gefährlich ist nicht nur die lokale Infektion (meist im Hals-Rachen-Raum), sondern auch das von den Bakterien produzierte Gift (Toxin), das lebenswichtige Organe schädigen kann – Herz, Nieren und Nervensystem.

Typische Symptome sind:

  • Halsschmerzen
  • Heiserkeit
  • Fieber
  • Eine charakteristische grau-weiße Belagsbildung im Hals (Pseudomembranen)
  • Atemnot (bei schweren Verläufen)
  • In seltenen Fällen können auch Hautinfektionen auftreten („Hautdiphtherie“).

Ansteckung und Verbreitung

Diphtherie wird hauptsächlich durch Tröpfcheninfektion übertragen – etwa beim Husten, Niesen oder Sprechen. Seltener erfolgt eine Übertragung über kontaminierte Gegenstände (Schmierinfektion). Die Inkubationszeit beträgt meist 2 bis 5 Tage.

Besonders gefährdet sind:

  • Menschen in Gemeinschaftseinrichtungen (zum Beispiel Schulen)
  • Touristen in Reiseländern mit niedriger Impfrate
  • Menschen mit engen Kontakten zu Erkrankten

Sterberate bei Kindern und Erwachsenen

Unbehandelt liegt die Sterblichkeit bei Diphtherie bei bis zu 50 %. Mit Behandlung (vor allem mit rechtzeitiger Gabe von Antitoxin und Antibiotika) sinkt die Sterberate auf etwa:

  • 5–10 % bei Kindern
  • etwas niedriger bei gesunden Erwachsenen, aber schwerwiegender bei älteren oder immungeschwächten Personen

Wichtig: Besonders riskant ist ein später Behandlungsbeginn. Der beste und sicherste Schutz ist eine Impfung.

Impfung gegen Diphtherie in Deutschland

In Deutschland ist die Impfung gegen Diphtherie Teil des kostenlosen Standard-Impfprogramms und wird von der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut empfohlen. Als Impfstoff wird ein Toxoid (abgeschwächtes Toxin) verwendet, das eine Immunantwort auslöst, ohne selbst krank zu machen.

Es gibt einen empfohlenen Ablauf für die Impfung.

  • Grundimmunisierung bei Säuglingen: ab dem 2. Lebensmonat, meist kombiniert als 6-fach-Impfung (gegen Diphtherie, Tetanus, Pertussis, Polio, Hib und Hepatitis B).
  • Auffrischimpfungen: im Alter von 5–6 Jahren und 9–17 Jahren.
  • Weiter Auffrischungen: im Erwachsenenalter alle 10 Jahre (oft in Kombination mit Tetanus und Pertussis).

Aktuelle Impfrate in Deutschland

Laut dem Robert Koch-Institut (RKI) lag 2024 die Diphtherie-Impfrate bei:

  • Kindern bis 2 Jahre: etwa 95 % (Grundimmunisierung)
  • Jugendlichen (mit Auffrischimpfung): etwa 85–90 %
  • Erwachsene (letzte Auffrischung innerhalb von 10 Jahren): deutlich niedriger, oft nur ca. 50–60 %

Die Impfrate ist also bei Kindern gut, nimmt aber im Erwachsenenalter spürbar ab, weshalb regelmäßige Auffrischimpfungen wichtig sind.

Heilung: Symptome oder Ursache?

Diphtherie kann gezielt behandelt werden, insbesondere wenn frühzeitig erkannt:

  • Antitoxin neutralisiert das Gift (muss so früh wie möglich gegeben werden).
  • Antibiotika (meist Penicillin oder Erythromycin) bekämpfen die Bakterien selbst.
  • Supportive Therapie: z. B. Beatmung bei Atemwegsverengung, Behandlung von Organschäden.

Wichtig: Eine reine Bekämpfung der Symptome reicht nicht. Ohne das Antitoxin kann sich das Toxin weiter ausbreiten und irreversible Schäden verursachen.

Fazit

Diphtherie ist heute in Deutschland selten geworden – dank flächendeckender Impfungen. Sie bleibt aber eine potenziell tödliche Krankheit, die bei sinkender Impfrate wieder gefährlich werden könnte. Prävention durch Impfung und rechtzeitige Behandlung im Erkrankungsfall sind entscheidend für die Kontrolle dieser Krankheit.    tok