Nicht alle Menschen weltweit haben Zugang zu helfenden Medikamenten – besonders in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Die öffentlichen Gesundheitssysteme dort sind häufig unterfinanziert; oft müssen Patienten selbst für ihre Behandlungen bezahlen. Foto: Chanelle M/peopleimages.com/stock.adobe.com
Damit Menschen überall auf der Welt Zugang zu Arzneimitteln und Impfstoffen haben
Seit mehr als 15 Jahren veröffentlicht die „Access to Medicine Foundation“ regelmäßig einen Bericht, der zeigt, was Pharmaunternehmen tun, damit ihre Arzneimittel, Impfstoffe und Diagnostika auch bei Menschen in ärmeren Ländern ankommen. Sie haben schon viel geschafft – doch die Herausforderungen sind noch immer groß.
Vergleich der großen Pharmaunternehmen
„Pharmazeutische Innovationen wie Impfstoffe und Medikamente haben das Potenzial die Krankheitslast weltweit zu mindern und Leben zu retten“, heißt es im „Access to Medicine Index 2024“ (AtMI). Doch die Realität ist: Nicht alle Menschen weltweit haben gleichermaßen gut Zugang zu den Präparaten – besonders herausfordernd ist die Situation in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Die öffentlichen Gesundheitssysteme dort sind häufig unterfinanziert; oft müssen die Patienten selbst für ihre Behandlungen aufkommen – wenn sie das denn können.
Pharmaunternehmen arbeiten daran, die Lage für diese Menschen zu verbessern. Wie gut das funktioniert, zeigt der AtMI. Er nimmt die Tätigkeiten von 20 großen Firmen in 113 ärmeren Ländern mit Blick auf drei Kategorien unter die Lupe: Forschung und Entwicklung, Produktlieferungen und Unternehmensstrategie. Auf Platz 1 im Ranking hat es erstmals Novartis geschafft – danach folgen GSK (2.), Sanofi (3.), Pfizer (4.), AstraZeneca und Johnson & Johnson (beide: 5.).
Schwierige Medikamentenversorgung in ärmeren Ländern
Jayasree K. Iyer, CEO der Access to Medicine Foundation, sieht „manch moderate Fortschritte“, doch das reicht ihr – naturgemäß – nicht. Gerade für die ärmsten Weltregionen sei noch viel zu tun. Veränderungen gehen in ihren Augen zu langsam vonstatten – angesichts einer „größer werdenden Last durch nichtübertragbare Krankheiten weltweit, einem Anstieg an resistenten Infektionen und der Bedrohung durch weitere Pandemien.“
Die 20 Pharmafirmen arbeiten laut Bericht an 808 Forschungsprojekten gegen 81 verschiedene Krankheiten oder Erreger, die Menschen in ärmeren Ländern besonders betreffen – darunter HIV, Krebs, Dengue-Fieber oder Malaria. 16 der 20 Unternehmen forschen sogar in Bereichen, welche die Stiftung als „R&D priority gaps“ bezeichnet – der medizinische Bedarf ist hier besonders groß. Doch für 38 Prozent der priorisierten Leiden ist die Pipeline der Industrie in Bezug auf bestehende medizinische Lücken komplett leer – das betrifft zum Beispiel das Marburg-Virus. Auch sieht die Stiftung einen Rückgang bei den Firmen, die sich neu auftretenden Erregern widmen, die Pandemie-Potenzial haben.
Zuletzt führten die Unternehmen 297 von 685 untersuchten klinischen Studien (43 Prozent) in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen durch. Da geht noch mehr, findet die Access to Medicine-Foundation – schließlich repräsentieren sie 80 Prozent der Weltbevölkerung. AstraZeneca zum Beispiel ist daher eine Partnerschaft mit dem Cancer Research and Clinical Trials Centre in Vietnam eingegangen – um dort die Kapazitäten für klinische Studien zu erhöhen und mehr onkologische Therapieansätze entwickeln zu können.
Medikamente weltweit: Positiv-Beispiele zeigen den Weg
Überhaupt bildet der AtMI viele „Best Practice“-Beispiele ab. Laut den Autoren soll das dazu beitragen, dass andere Unternehmen ähnliche Initiativen ergreifen, um den Zugang zu Therapien und Impfstoffen zu verbessern. Man muss das Rad nicht immer neu erfinden.
Novartis zum Beispiel sticht mit seinem Kampf gegen Malaria hervor: Mehr als jedes andere Unternehmen habe es Präparate in der Pipeline, die Lücken in der medizinischen Versorgung adressieren. Es arbeitet an neuartigen Therapieansätzen – auch für Babys, für die es bislang keine evidenzbasierten Behandlungsmöglichkeiten gibt. Außerdem habe das Unternehmen Strategien für einen verbesserten Marktzugang entwickelt, die anderen Firmen in Bezug auf Qualität und Umfang ein Vorbild sein können, heißt es.
Bayer ist laut Bericht besonders aktiv dabei, seine Präparate in möglichst vielen Ländern registrieren zu lassen – wichtige Voraussetzung, damit sie dort anschließend verfügbar gemacht werden können. Der Konzern hat etwa ein Arzneimittel für eine bestimmte chronische Nierenerkrankung inzwischen in 30 der untersuchten ärmeren Länder registriert – das sind 25 Länder mehr als noch 2022.
Und GSK wird positiv in Sachen Transparenz hervorgehoben, weil es „über das Mindestmaß an Compliance“ hinausgeht und „hohe ethische Standards“ in seinen Beziehungen mit medizinischem Fachpersonal in ärmeren Ländern einhält. So lege die Firma freiwillig und proaktiv offen, welche Gelder oder andere Leistungen an Beschäftigte im Gesundheitswesen geflossen sind. Das zeige ein „starkes Engagement” für „verantwortungsbewusste Geschäftspraktiken”.
Vielfältige Strategien, um die Präparate zum Patient zu bringen
Pharmaunternehmen nutzen ganz unterschiedliche Instrumente, um ihre Präparate möglichst überall auf der Welt zur Verfügung zu stellen. Gilead zum Beispiel macht regelmäßig von freiwilligen, nicht-exklusiven Lizenzvereinbarungen Gebrauch, um die Herstellung von Generika zu ermöglichen. Kürzlich erklärte Dr. Robert Welte von Gilead in Deutschland im Pharma Fakten-Interview: „Das bedeutet, dass wir anderen Herstellern die Produktion unserer patentgeschützten Präparate ermöglichen, damit sie sie kostengünstig herstellen und vertreiben können. Wir verdienen daran kein Geld.“ So erreiche die Firma mit ihren Präparaten – etwa gegen HIV und Hepatitis – „rund 30 Millionen Menschen in 127 Ländern mit niedrigen und mittleren Einkommen“.
Weitere Möglichkeiten, um den Zugang zu Arzneimitteln und Impfstoffen zu verbessern, sind zum Beispiel Preisstrategien, die sich an den sozioökonomischen Möglichkeiten der jeweiligen Länder orientieren, oder Spenden-Programme. Oder Initiativen – wie „Healthy Heart Africa“ von AstraZeneca, das den Kampf gegen kardiovaskuläre Krankheiten sowie chronische Nierenleiden in verschiedenen Ländern Afrikas verbessern soll. Über das vergangene Jahrzehnt wurden darüber mehr als 54,5 Millionen Blutdruckmessungen durchgeführt und rund 10,8 Millionen Menschen mit erhöhtem Blutdruck identifiziert, sodass sie behandelt werden können. Es wurden circa 11.500 Beschäftigte im Gesundheitswesen ausgebildet – und dank der Initiative gibt es nun mehr als 1.500 Einrichtungen, die den Menschen in Sachen Bluthochdruck helfen können.
Ziel: Noch mehr Patienten weltweit erreichen
Die Access to Medicine Foundation findet: „Die Pharmaunternehmen schöpfen ihr Potenzial noch nicht voll aus, um mehr Patient:innen in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen zu erreichen.“ Einzelne Unternehmen hätten zwar ihre Bemühungen gesteigert – doch für die Industrie insgesamt gebe es noch viel zu tun. „Nun braucht es entschiedenes Handeln. Der 2024er-Index hebt deutlich die Schritte hervor, welche die Firmen nehmen können, um umfassende, wirksame Veränderungen voranzutreiben“, resümiert Camille Romero, Research Programme Manager bei der Access to Medicine Foundation.
Das ist einfacher gesagt als getan – so kann schon mangelnde Infrastruktur zur großen Herausforderung werden. Aber Innovationen schaffen neue Möglichkeiten – auch für temperaturempfindliche Präparate: Für die Lieferung von Tollwut-Impfstoffen in abgelegene Gegenden Kenias nutzte Boehringer Ingelheim zum Beispiel Drohnen. „Um sicherzustellen, dass die Kühlkette nicht unterbrochen wird, war eine umfangreiche Unterstützung von Pionieren am Boden notwendig, unter anderem von Nichtregierungsorganisationen, Privatunternehmen und Behörden“, heißt es seitens des Unternehmens. Gemeinsam an einem Strang ziehen, lautet die Devise. pm/pharma-Fakten.de