In einigen Ländern wird gegen Kinderlähmung mit einem Schluckimpfstoff geimpft (orale Poliovakzine, OPV). Die damit Geimpften scheiden abgeschwächte Impfviren eine Zeit lang mit dem Stuhl aus. Dem Einsatz von OPV ist es zu verdanken, dass über den Weg eines Gemeinschaftsschutzes die Kinderlähmungsfälle seit 1988 um mehr als 99 Prozent reduziert werden konnten. Foto: Sergio51143/stock.adobe.com

Comeback der Kinderlähmung? RKI weist Polioviren im Abwasser in Baden-Württemberg nach

Das Robert-Koch-Institut (RKI) hat im Rahmen eines Forschungsprojektes zum Abwassermonitoring für Polio (Kinderlähmung) nun auch in Baden-Württemberg das Schluckimpfstoff-abgeleitete Polio-Virus (vaccine-derived poliovirus 2) nachgewiesen. Das ist eine Mahnung an alle, ihren Impfschutz gegen diese in Deutschland eigentlich schon ausgerottet geglaubte Infektionskrankheit zu überprüfen.

Impf-Appell von Landesgesundheitsminister Manne Lucha

„Unsere seit Ende November bestehenden Vermutungen hinsichtlich Polioviren im Abwasser haben sich jetzt bestätigt“, sagte Gesundheitsminister Manne Lucha. „Daher gilt jetzt erst recht der Appell an alle Bürgerinnen und Bürger jeden Alters, ihren Impfschutz gegen Kinderlähmung zu überprüfen und falls notwendig Impfungen nachzuholen. Wir beobachten die Situation im Land genau. Die Fachöffentlichkeit ist sensibilisiert. Aber um mögliche Fälle von Kinderlähmung zu verhindern, müssen Impfserien möglichst zeitnah abgeschlossen und bestehende Impflücken vor allem bei Säuglingen und Kindern dringend geschlossen werden.“

Polioviren können sich im Abwasser nicht eigenständig vermehren. Der Nachweis im Abwasser bedeutet, dass Menschen vor Ort Polioviren mit dem Stuhl ausscheiden und auf andere Personen übertragen können. Bislang wurden in Deutschland keine Polio-Erkrankungen oder Verdachtsfälle gemeldet. Sofern Polio-Viren jedoch anhaltend zirkulieren, ist es nach Einschätzung des RKI möglich, dass vereinzelt Erkrankungsfälle unter ungeimpften oder nicht vollständig geimpften Personen auftreten. Seit Bekanntwerden der ersten positiven Nachweise von Polio im Abwasser in mehreren deutschen Städten werden seit Dezember 2024 Abwasserproben der Stuttgarter Kläranlage auch auf Polioviren untersucht.

So gefährlich sind die Polio-Viren

Polio wird hauptsächlich durch Kontaktinfektion (Stuhl-Hand-Mund) und in geringerem Maße durch Tröpfcheninfektion (Husten, Niesen) übertragen. Die Symptome können von milden Beschwerden bis hin zu schweren Lähmungen reichen. „Schlechte hygienische Verhältnisse begünstigen die Ausbreitung. Ebenso kann verschmutztes Trinkwasser eine Infektionsquelle sein“, notiert die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) auf ihrer Webseite www.impfen-info.de. Die BZgA führt an, dass die Virusausscheidung im Stuhl nach zwei bis drei Tagen nach der Infektion beginnt und kann bis zu sechs Wochen anhalten kann. Erschwerend kommt hinzu, dass Patienten mit geschwächtem Immunsystem unter Umständen über Monate oder Jahre hinweg ansteckend bleiben.

Die Zeit zwischen Infektion und Erkrankung betrage, so die BZgA 3 bis 35 Tage. Rund 95 Prozent der Infizierten würden nichts davon bemerken, etwa 4 bis 8 Prozent der Infizierten würden Fieber, Hals- und Kopfschmerzen entwickeln. Bei jedem 100. bis 1.000. Infizierten komme es zu bleibenden, schlaffen Lähmungen der Arm- oder Beinmuskulatur, schlimmstenfalls auch der Sprech-, Schluck- oder Atemmuskulatur. Zu den bleibenden Lähmungen gesellen sich auch Muskelschwund, vermindertes Knochenwachstum sowie Gelenkzerstörung. Noch Jahrzehnte nach der Infektion können Lähmungen und Schwächungen der Muskulatur auftreten (Post-Polio-Syndrom).

Die traurige Nachricht: Weder die Erkrankung selbst noch das Post-Polio-Syndrom können behandelt werden. Allenfalls eine Linderung der Symptome ist möglich.

Die gute Nachricht: Die Krankheit kann durch Polioimpfungen verhindert werden.

Grundimmunisierung bei Kindern lässt zu wünschen übrig

Poliomyelitis (Kinderlähmung) ist eine hochansteckende Krankheit, die vor allem Kinder unter fünf Jahren betrifft und bei nicht ausreichend immunisierten Personen im schlimmsten Fall zu dauerhaften Lähmungen führen kann. Deshalb sollte die Grundimmunisierung (drei Impfungen) bei Kindern bis zum zwölften Lebensmonat abgeschlossen sein. Laut STIKO sind bis zu diesem Alter aber nur 21 Prozent der Kinder in Deutschland vollständig geimpft. Bei den Einschulungsuntersuchungen 2022/23 waren 88,8 Prozent der vier- bis fünfjährigen Kinder in Baden-Württemberg grundimmunisiert gegen Polio. In einzelnen Kreisen liegt die Quote deutlich darunter.  

Die Impfung ist in der Regel gut verträglich. Als häufige Impfreaktion kommt es durch die Anregung der körpereigenen Abwehr zu einer Rötung oder Schwellung an der Einstichstelle, die auch schmerzen kann. Gelegentlich schwellen Lymphknoten in der Nähe ebenfalls an. Ebenso können Allgemeinsymptome wie beispielsweise Frösteln, Fieber, Müdigkeit, Kopf- und Gliederschmerzen, Reizbarkeit oder Magen-Darm-Beschwerden auftreten. Solche Impfreaktionen klingen in der Regel ein bis drei Tage nach der Impfung wieder ab. Allergische Reaktionen auf Bestandteile des Impfstoffs sind möglich.

Wie hoch ist die Gefahr einer Kinderlähmung in Deutschland?

„In Deutschland wurden die letzten Erkrankungen an Kinderlähmung durch ein Wildtyp-Virus im Jahr 1990 erworben. Dass Polio-Wildviren durch Reisende wieder nach Deutschland gebracht werden, kann jedoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Die letzten beiden importierten Fälle (aus Ägypten und Indien) wurden 1992 registriert“, schreibt die BZgA auf ihrer Impf-Webseite

Allerdings könnten auch Schluckimpfstoff-abgeleitete Polioviren durch Ungeimpfte oder nicht vollständig Geimpfte nach Deutschland importiert werden. Daher bleibe die Polio-Impfung so lange relevant bis sichergestellt sei, dass es weltweit keine Poliokranken und auch keine gesunden Ausscheider von Polioviren mehr gebe.

Das Gute am Schluckimpfstoff (orale Poliovakzine, OPV): Mit Schluckimpfung geimpfte Personen scheiden die abgeschwächten Impfviren eine Zeit lang mit dem Stuhl aus. Über Kontaktinfektionen können Menschen mit den abgeschwächten Impfviren in Kontakt kommen und immunisiert werden, ohne die eigentliche Schluckimpfung zu bekommen. Dem Einsatz von OPV ist es zu verdanken, dass über den Weg eines Gemeinschaftsschutzes die Kinderlähmungsfälle seit 1988 um mehr als 99 % reduziert werden konnten.

Das sollten Sie jetzt beachten

  • Schauen Sie bitte in Ihren Impfausweis und überprüfen Sie, ob der eigene Impfstatus und der Ihrer Kinder vollständig ist. Was eine vollständige Polio-Impfung für Säuglinge, Kinder, Jugendliche und Erwachsene bedeutet, ist ausführlich auf der Web-Seite der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) erläutert.
  • Bei fehlender oder unvollständiger Polio-Impfung wenden Sie sich an Ihren Arzt.
  • Achten Sie auf eine effektive Händehygiene.       pm/tok