Vor 25 Jahren lag die Überlebensrate von Brustkrebs-Patientinnen in Deutschland bei rund 60 %. Aktuell beträgt die Rate 87 %. Auch das Gesamtüberleben ab Erstdiagnose einer Metastasierung hat sich extrem verbessert. Foto: Sean Nel/stock.adobe.com

Brustkrebs: So ist die Versorgungslage in Deutschland

Wie steht es um die Versorgung von Menschen mit Brustkrebs, auch von metastasiertem Brustkrebs? Gibt es medizinische Fortschritte in der Behandlung? Und wie sieht es mit der Betreuung nach einer Operation aus? Über diese Frage hat Pharma-Fakten.de mit Prof. Dr. Diana Lüftner gesprochen, Chefärztin der Immanuel Klinik Märkische Schweiz und Onkologin in der Immanuel Klinik Rüdersdorf, Medizinische Hochschule Brandenburg.

Die Lancet Breast Cancer Kommission hat kürzlich festgestellt: Frauen mit metastasiertem Brustkrebs erhalten oft nicht die bestmögliche Behandlung – sondern sie werden, vor allem in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen, geradezu systematisch alleine gelassen. Wie ist die Situation in Deutschland?

Prof. Dr. Diana Lüftner: Das Paper der Lancet-Kommission ist sehr wertvoll – denn es weist eindringlich auf die weltweite Fehl- und Unterversorgung von Patientinnen mit Mammakarzinom hin. Diese Situation ist seit Jahrzehnten bekannt. Für Deutschland gilt das allerdings nicht, wir haben keine Fehl- und Unterversorgung von Mammakarzinom-Patientinnen. Aber: Wir haben zu wenige Ärztinnen und Ärzte, zu wenige Pflegende. Grundsätzlich jedoch ist die Versorgung von Brustkrebspatientinnen in Deutschland ausgezeichnet. Die Frauen haben üblicherweise Zugang zu allem, was sinnvoll ist – und es ist auch erstattungsfähig, die Kosten werden also von den Krankenkassen übernommen.

Wieso kommt die Breast Cancer Kommission zu einem völlig anderen Ergebnis?

Lüftner: Nun, wenn man das Lancet Paper genau liest, dann zeigt sich: Es werden Situationen in Ländern wie Kenia und Mexiko angesprochen. Es ist völlig klar, dass dort Frauen mit Brustkrebs und auch Frauen mit allen anderen Krebserkrankungen unterversorgt sind. Dort gibt es auch eine ganz andere soziokulturelle Prägung der Brust an sich. Es gab mal in Zentralafrika einen Gesundheitsminister, der sagte, eine Brust meiner Frau gehört meinem Baby und die andere Brust gehört mir. Was bedeutet: Eine Frau mit Brustkrebs ist in einem solchen Land stigmatisiert. Deswegen erfolgen die Diagnosestellungen dort auch sehr spät. Das liegt nicht nur daran, dass es dort kein Brustkrebs-Screening wie bei uns gibt, sondern auch daran, dass die Frauen bewusst nicht zum Arzt gehen. Kurzum: Wenn man die rund 60 Seiten des Lancet-Papers liest, dann erfährt man viel über die Situation in afrikanischen und südamerikanischen Ländern. Aber die Fehlversorgung dort auf Deutschland zu projizieren, das wäre ein großer Fehler.

Quelle: Amgen GmbH / Grafik: pharma-fakten.de

In Deutschland werden viele Frauen in zertifizierten Brustzentren behandelt, andere im niedergelassenen Bereich. Gibt es da wirklich keine Unterschiede in der Qualität?

Lüftner: Das kommt darauf an, wovon wir sprechen – sprechen wir von der Primärversorgung, die erste wichtige Behandlungsschritte und gegebenenfalls eine Operation umfasst, oder sprechen wir von der Weiterversorgung nach abgeschlossener Primärversorgung?

Wir sprechen von beidem.

Lüftner: Beginnen wir mit der Primärversorgung. Sie findet in Deutschland grundsätzlich in zertifizierten Brustzentren statt. Dort ist die Qualität sehr hoch, nicht zuletzt deshalb, weil die Zertifizierung auch von einer definierten Fallzahl abhängt, die derzeit bei 100 Patientinnen pro Jahr liegt. Diese Mindestanzahl von behandelten Patientinnen ist vor einiger Zeit angehoben worden, damit man eine Fehl- oder Minderversorgung im Rahmen der Primärdiagnose ausschließen kann.

Und was passiert nach der Primärversorgung?

Lüftner: Da werden die Frauen im niedergelassenen Bereich weiterbehandelt – auch, weil es in den Brustzentren nicht genügend Ärzte gibt, um Frauen ein, zwei, fünf oder zehn Jahre lang zu versorgen. Das ist völlig klar. Die Weiterbehandlung erfolgt also bei einem niedergelassenen Gynäkologen oder Onkologen, wobei beide nicht auf das Mammakarzinom spezialisiert sein müssen. Unabhängig davon ist völlig klar, dass dort gegebenenfalls Lücken auftreten können. Aber die Behandlung dort folgt grundsätzlich den Empfehlungen des Tumorboards im Brustzentrum. Wenn in der Niederlassung der Tumorkonferenzbeschluss aus dem Brustzentrum eingehalten wird, dann ist auch dort die Qualität nachhaltig hoch – auch, wenn es immer wieder mal Versorgungslücken, Engpässe und unglückliche Umstände gibt.

Werden die Beschlüsse der Tumorkonferenz tatsächlich immer umgesetzt? Wie sind da Ihre Erfahrungen?

Lüftner: Ich arbeite unter anderem in einer Fachklinik für onkologische Rehabilitation. Dort sehe ich Patientinnen in allen Behandlungssituationen und -zeitpunkten nach der Primärversorgung, von einem Monat bis zu zehn Jahren. Und tatsächlich ist der Verlust an Compliance in Bezug auf den Tumorkonferenzbeschluss relevant. Wir wollen ein Projekt starten, bei dem wir das genauer untersuchen. Ich schätze, dass bei 20 bis 30 Prozent der Patientinnen die Tumorkonferenzbeschlüsse nicht voll umfänglich umgesetzt werden oder umgesetzt werden können. Dafür gibt es verschiedene Gründe – Patientinnenwunsch, Toxizität, Komorbiditäten, also neu auftretende Krankheitsbilder. Das soll aber keine Wertung sein, denn dafür fehlt es uns schlicht an langfristigen Daten. Wir wissen nur aus wissenschaftlichen Publikationen: Patientinnen, die in Brustzentren behandelt werden, haben ein besseres Outcome, also Behandlungsergebnis, als Frauen, die nicht in Brustzentren behandelt werden.

Könnte das daran liegen, dass die großen Fortschritte in der Krebstherapie nicht bei allen Patientinnen ankommen? Bisweilen drängt sich der Eindruck auf, dass manche Mediziner gar nicht wissen, was es an neuen Möglichkeiten gibt.

Lüftner: Das können Sie auch nicht erwarten. In der Niederlassung ist die Versorgung der Bevölkerung das Ziel. Komplexe Fälle müssen und sollten nicht unbedingt in der Niederlassung behandelt werden. Hochkomplizierte Fälle wird ein Brustzentrum auch nicht abgeben. Viele niedergelassene Mediziner arbeiten angesichts von Ärzte- und Pflegemangel bis zur Erschöpfung. Da können Sie nicht erwarten, dass sie auch noch alle Daten des europäischen Krebskongresses kennen. Das geht einfach nicht. Kann das also sein, dass nicht jeder medizinische Fortschritt sofort überall ankommt? Ja, das kann sein. Aber ist das ein Verschulden der Niedergelassenen? Auf gar keinen Fall.

Wie sehr wirkt sich der Fortschritt in der Krebsforschung grundsätzlich auf die Behandlung von Brustkrebs aus? Was hat sich da in den vergangenen Jahren getan?

Lüftner: Extrem vieles. Als ich vor 25 Jahren in der Onkologie angefangen habe, lag die Überlebensrate von Brustkrebs-Patientinnen bei rund 60 Prozent. Jetzt sind wir in Deutschland bei 87 Prozent. Das heißt: 87 Prozent der neu diagnostizierten Patientinnen werden nach ihrer Behandlung nie mehr von dieser Erkrankung hören. Und auch das Gesamtüberleben ab Erstdiagnose einer Metastasierung hat sich extrem verbessert. Wir sind jetzt sowohl beim HER2-positiven wie auch beim HR-positiven Mammakarzinom, also der häufigsten Art von Brustkrebs, bei einem mittlerem Gesamtüberleben nach Erstdiagnose der Metastasierung von 5 bis 6 Jahren. So ist das metastasierte Mammakarzinom eine chronische Erkrankung geworden. Wir stehen also im internationalen Vergleich ziemlich gut da. Diese 87 Prozent sind für Europa zwar nicht die besten Werte. Es gibt immer ein paar Länder, die etwas besser sind, vor allem die skandinavischen Länder. Aber der Unterschied ist mittlerweile sehr klein.

Ist damit alles gut? Oder haben Sie dennoch Verbesserungsvorschläge?

Lüftner: Natürlich. Wir brauchen mehr Ärzte, wir brauchen viel mehr Pflege – und wir müssen die Pflege so professionalisieren, dass sie mehr Kompetenzen wahrnehmen kann. Wir brauchen eine onkologische Fachpflege mit definierten Sprechstunden – die Pflegenden müssten also das Nebenwirkungsmanagement machen können und dürfen. Das brauchen wir. Und wir brauchen wesentlich weniger Bürokratie – denn das schaffen wir einfach nicht mehr.

Aber wie kann der Fachkräftemangel behoben werden?

Lüftner: Gar nicht, fürchte ich. Den können Sie nicht so einfach beheben. Ein erster Schritt wäre es, bei ausländischen Ärzten die Bearbeitungszeiten für ihre Berufserlaubnis zu verkürzen. Es dauert ja oft ein ganzes Jahr, bis ein ausländischer Arzt, der seine Kompetenz nachweisen kann, endlich anfangen darf, zu arbeiten. Und wir müssen die Pflege professionalisieren und die Pflegenden auch besser bezahlen.

Was empfehlen Sie Patienten, die eine Brustkrebs-Diagnose erhalten haben?

Lüftner: Ich würde ihnen empfehlen, sich wirklich gut zu informieren, auch über die Zahl der behandelten Patientinnen in einem Brustzentrum. Bei komplexen Situationen rate ich durchaus dazu, sich eine Zweitmeinung zu holen – in einem größeren Brustzentrum, nicht in einer kleinen Einrichtung. Und ich würde immer fragen: Gibt es eine klinische Studie? Ansonsten empfehle ich, auch Behandlungsansätze einzubeziehen, die nicht medikamentös sind – wir haben auf dem jüngsten europäischen Krebskongress gesehen, was für eine enorme Bedeutung Sport für Brustkrebspatienten hat. Wir wollen ja immer etwas tun, also sollten wir Sport machen. Das ist ein starker Hebel.

Tatsächlich?

Lüftner: Ja. Die Datenlage wird immer besser. Sport ist ein Medikament.

Gibt es eine Sportart, die Sie besonders empfehlen?

Lüftner: Eine Kombination aus Dehnübungen, Kreislauftraining und Kraftübungen. Die Kombination aus allem scheint das Beste zu sein, aber das muss zwei- bis dreimal in der Woche erfolgen – so, wie es auch zur Prävention von Herzkreislauf-Erkrankungen empfohlen wird.      pm