„Die Mehrheit der Pflegebedürftigen möchte in der gewohnten Umgebung versorgt werden und diesen Wunsch gilt es, bei Strukturreformen zu priorisieren“, sagt AOK-Vorstandsvorsitzende Dr. Carola Reimann. Da sei es wichtig, systematisch Caring Communities zu etablieren. Foto: pikselstock/stock.adobe.com

AOK will Pflege vor Ort ausbauen: Flexibleres Leistungsrecht und frühe, enge Kooperation aller Institutionen

Immer mehr Pflegebedürftige, ein anhaltender Fachkräfteengpass, strapaziöse Arbeitsbedingungen – die Herausforderungen für die Soziale Pflegeversicherung (SPV) sind groß. Vor diesem Hintergrund hat der AOK-Bundesverband ein Positionspapier zur Weiterentwicklung der Pflege veröffentlicht. Im Mittelpunkt stehen grundlegende Strukturreformen mit dem Ziel, die Pflege vor Ort zu stärken, sie bedarfsgerechter und effizienter zu gestalten.

Zu diesem Zweck schlägt die AOK eine Flexibilisierung des Leistungsrechts sowie die Aufhebung der Sektorengrenzen vor und setzt sich für eine stärkere Zusammenarbeit von Kommunen, Kranken- und Pflegekassen ein.

Caring Communities etablieren

„Leit- und Grundsatz des Positionspapiers ist es, dass Pflege vor Ort stattfindet. Die Mehrheit der Pflegebedürftigen möchte in der gewohnten Umgebung versorgt werden und diesen Wunsch gilt es, bei Strukturreformen zu priorisieren“, sagt AOK-Vorstandsvorsitzende Dr. Carola Reimann. „Damit dies aber vor dem Hintergrund von sich verändernden Familien- und Beziehungsstrukturen und ohne finanzielle Überforderung von Beitragszahlenden und Arbeitgebern, Pflegebedürftigen und Angehörigen möglich wird, müssen die sozialräumlichen Sorgestrukturen vor Ort gestärkt und systematisch Caring Communities etabliert werden.“

Die AOK-Gemeinschaft fordert, die Versorgung pflegebedürftiger Menschen vor Ort neu zu denken. Dabei spielen innovative Wohnformen sowie der gezielte und flächendeckende Aufbau von zuverlässig unterstützenden Netzwerken eine besondere Rolle, die aus An- und Zugehörigen, Ehrenamtlichen sowie Akteuren der Gesundheits- und Pflegeversorgung, einschließlich der Pflegeeinrichtungen bestehen. Dadurch könnten pflegebedürftige Menschen so lange wie möglich in der gewohnten Umgebung versorgt werden.

Zu viele getrennte Zuständigkeiten

Voraussetzung für die Umsetzung von passgenauen Lösungen ist eine deutlich engere Kooperation zwischen Kommunen, Kranken- und Pflegekassen. Reimann: „Die Pflege vor Ort leidet unter getrennten Zuständigkeiten. Für den effizienten und bedarfsgerechten Einsatz von personellen und finanziellen Ressourcen brauchen wir eine Zusammenarbeit, die schon bei der Infra- und Sorgestrukturplanung beginnt und die das Wissen der Kranken- und Pflegekassen zu den Bedarfslagen der Menschen vor Ort so früh wie möglich berücksichtigt. Wir können es uns nicht leisten, wertvolle Synergien zu verschenken.“

Auch die Zulassung der Leistungsanbieter soll auf einer gemeinsamen Planungsgrundlage beruhen und der Kontrahierungszwang der Pflegekassen zum Abschluss von Verträgen mit Leistungsanbietern abgeschafft werden, da erst dadurch eine tatsächlich bedarfsgerechte Planung ermöglicht wird. Bislang können bei der Zulassung keine örtlichen Bedarfe berücksichtigt werden.

Flexibilisierung des Leistungsrechts

Um die Selbstbestimmung der Pflegebedürftigen zu stärken, schlägt die AOK eine Flexibilisierung des Leistungsrechts in der Form vor, dass die bisherigen zahlreichen Leistungsansprüche in ein Basisbudget (Geldleistung) und ein Sachleistungsbudget zusammengefasst werden. Dieses soll unabhängig vom Ort der Leistungserbringung (aber abhängig vom Pflegegrad) genutzt werden können. Dazu fordert die AOK die Aufhebung der Sektorengrenzen zwischen ambulanter und stationärer Pflege.

Prävention als Ziel nachhaltiger Pflegepolitik

Das Positionspapier betont auch die Notwendigkeit von mehr Prävention sowohl vor als auch bei bereits eingetretener Pflegebedürftigkeit. Der AOK-Bundesverband schlägt unter anderem vor, die Kurzzeitpflege in einen Vollleistungsanspruch im Sinne einer ressourcenorientierten pflegerisch-therapeutischen Präventionspflege umzuwandeln, sodass mehr Menschen länger selbstbestimmt leben können.

Dieser Ansatz wurde bereits erfolgreich mit Beteiligung der AOK erprobt, und seine weitere Umsetzung wird über ein Innovationsfondsprojekt des GBA gefördert. Auch evidenzbasierte digitale Unterstützungsangebote wie beispielsweise Systeme, die Stürze automatisch erkennen, sollen dazu beitragen, dass Menschen länger zu Hause leben können.

Vorschläge zur Finanzierung

Um die Finanzierungslücke zu schließen und das bestehende Leistungsniveau im Teilleistungssystem der SPV zu erhalten, spricht sich die AOK für einen Finanzierungsmix aus. Zur Entlastung der Beitragszahlenden soll ein dauerhaft zweckgebundener, dynamisierter Bundesbeitrag zum Ausgleich versicherungsfremder Leistungen eingeführt werden, insbesondere für die Rentenversicherungsbeiträge von pflegenden Angehörigen und für die Ausbildungskosten von Pflegepersonen. Zur Begrenzung der stationären Eigenanteile sollen die Bundesländer ihrer finanziellen Verantwortung zur Übernahme der Investitionskosten nachkommen.

Zudem spricht sich die AOK für die jährliche Dynamisierung der Teilleistungen der SPV aus. Diese soll, ähnlich wie in der Rentenversicherung, auf einem regelgebundenen Automatismus im Rahmen der steigenden Beitragseinnahmen durch Bruttolohnzuwächse aufsetzen. Eine weitere Forderung besteht darin, den Kapitalstock im bereits etablierten Pflegevorsorgefonds auszubauen. Dafür sollen zusätzlich zu den bereits eingebrachten Beitragszahlungen auch Steuermittel investiert werden.     pm