2015 stufte die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC), eine Organisation der Weltgesundheitsorganisation WHO, verarbeitetes Fleisch als Krebserreger der Gruppe 1 ein. Damit bewertete sie Produkte wie Speck, Schinken und Wurst auf derselben Gefahrenstufe wie Asbest und Tabak. Foto: Dan Marsh – KI-generiert/stock.adobe.com

Zehn Jahre nach WHO-Warnung: EU-Maßnahmen gegen krebserregende Nitrite in Fleischprodukten gefordert

In einem Brandbrief an die Europäische Kommission fordern führende Wissenschaftler entschlossenes Handeln gegen Nitrite in verarbeiteten Fleischwaren wie Wurst und Schinken. Vor zehn Jahren stufte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) verarbeitetes Fleisch als krebserregend ein. Bis heute hat die EU jedoch keine ausreichenden Maßnahmen ergriffen, um Verbraucher vor den Risiken nitritbelasteter Produkte zu schützen. Das Ausbleiben entschlossener EU-Regelungen könnte in den vergangenen zehn Jahren zu Zehntausenden Todesfällen und Gesundheitskosten in Milliardenhöhe geführt haben, obwohl längst sichere Alternativen existieren.

Am 26. Oktober 2015 stufte die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC), eine Organisation der WHO, verarbeitetes Fleisch als Krebserreger der Gruppe 1 ein. Damit bewertete sie Produkte wie Speck, Schinken und Wurst auf derselben Gefahrenstufe wie Asbest und Tabak.

Führende Wissenschaftler kritisieren mangelndes EU-Handeln

Professor Chris Elliott, Gründer des Instituts für Globale Ernährungssicherheit an der Queen’s Universät Belfast: „Wir sind enttäuscht über das zögerliche Vorgehen und das Ausbleiben konkreter Schritte. Es gibt keinen Grund, Verbraucher:innen durch vermeidbare Krebsrisiken zu gefährden. Die EU-Kommission hat in der Vergangenheit erfolgreich präventive Gesundheitsmaßnahmen umgesetzt. Sie kann und muss das endlich auch bei Nitriten tun.“

Denis Corpet, Professor für Lebensmittelsicherheit und Ernährung an der Universität Toulouse und Mitautor des WHO-Berichts: „Seit einem Jahrzehnt wissen wir, dass nitrithaltiges Fleisch Krebs verursacht. Dennoch haben wir bisher nicht gehandelt. Das ist nicht nur nachlässig, sondern auch verantwortungslos. Aus Sicht der öffentlichen Gesundheit ist es unvertretbar, Menschen weiterhin krebserregenden Stoffen auszusetzen, wenn sichere Alternativen existieren.“

Professor Robert Turesky von der Universität Minnesota und Mitautor des WHO-Berichts: „Schon 2015 waren die Belege für den Zusammenhang zwischen verarbeitetem Fleisch und Krebs eindeutig. Zehn Jahre später ist die Beweislage noch robuster und viele vermeidbare Krebsfälle sind bereits aufgetreten. Jetzt ist entschiedenes Handeln nötig.“

Die Forderungen der „Koalition gegen Nitrite“

Die gemeinnützige „Koalition gegen Nitrite“ fordert in ihrem Schreiben an den EU-Kommissar für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit Olivér Várhelyi:

  • Die Einführung von EU-weiten Maßnahmen zur schrittweisen Einschränkung und Abschaffung von Nitriten in verarbeitetem Fleisch, mit klaren Zeitplänen und Übergangshilfen für Produzenten.
  • Die Einführung verpflichtender, einheitlicher Krebswarnhinweise auf der Vorderseite von Verpackungen nitrithaltiger Produkte.
  • Die Finanzierung von Vergleichsstudien und Pilotprojekten zur Erforschung und Förderung nitritfreier Verfahren sowie die Unterstützung insbesondere kleiner und mittelständiger Unternehmen beim Umstieg auf nitritfreie Fleischverarbeitungsverfahren.

Nitrite sind gut für die Farbe

Nitrit, der kleine Helfer der Fleischindustrie, sorgt dafür, dass Wurst, Schinken oder Speck appetitlich rosa bleiben. Was kaum jemand weiß: Der Zusatzstoff kann unter bestimmten Umständen auch zur Gesundheitsgefahr werden. Nitrite sind chemische Verbindungen aus Stickstoff und Sauerstoff. In der Lebensmittelproduktion kommen sie meist in Form von Nitritpökelsalz zum Einsatz, einer Mischung aus Kochsalz und Natriumnitrit. Das Ziel: Fleisch länger haltbar machen, gefährliche Bakterien (wie Clostridium botulinum) abwehren und zugleich die frische Farbe bewahren.

Besonders hohe Nitritmengen finden sich in gepökelten und geräucherten Fleischwaren, etwa in Schinken, Salami, Kasseler oder Wiener Würstchen. Auch einige Fertigprodukte mit Wurstanteil (zum Beispiel Pizzabeläge oder Fleischsalate) können nennenswerte Mengen enthalten.

Grafik: Kurtz – KI-generiert

Eine Gefahr für die Gesundheit

Gesundheitsgefährlich werden Nitrite, wenn sie mit Eiweißbestandteilen im Körper reagieren. Dabei entstehen Nitrosamine, die als krebserregend gelten. Etwa beim Braten oder Grillen entstehende Hitze begünstigt diese Reaktionen. Deshalb warnen Fachleute davor, gepökeltes Fleisch stark zu erhitzen oder regelmäßig zu verzehren.

Langfristig wird ein Zusammenhang zwischen Nitriten beziehungsweise Nitrosaminen und Magenkrebs, Darmkrebs sowie Blutdruckproblemen diskutiert. Auch für Kinder gelten Nitrite als besonders riskant, da sie den Sauerstofftransport im Blut beeinträchtigen können (Methämoglobinbildung).

Die gute Nachricht: Gemüse enthält zwar ebenfalls Nitrat (die Vorstufe von Nitrit), aus dem unter ungünstigen Bedingungen krebserregende Nitrosamine entstehen können, aber im Gemüse vorliegende Stoffe wie zum Beispiel Vitamin C (Ascorbinsäure), Polyphenole oder andere sekundäre Pflanzenstoffe reagieren mit dem Nitrit, bevor es Nitrosamine bilden kann.      pm/tok

Info

Die „Koalition gegen Nitrite“ ist eine international tätige gemeinnützige Organisation mit Sitz in England. Sie setzt sich für die Abschaffung von Nitriten in verarbeitetem Fleisch ein. Mehr Infos unter https://coalitionagainstnitrites.com/