„Wir sollten versuchen, Menschen keine Vorwürfe zu machen, sondern die positiven Seiten eines geringeren Fleischkonsums kommunizieren“, sagt Prof. Dr. Achim Spiller, Agrarökonom an der Universität Göttingen. Und: „Es bedarf Maßnahmen, die zeigen, dass es auch ohne Fleisch schmeckt.“ Foto: Monticellllo/stock.adobe.com

Nachhaltige Ernährung für Klima und Gesundheit: „Es hilft nicht, einen Krieg um das Fleisch zu führen“

Die richtige Ernährung fördert nicht nur die eigene Gesundheit, sondern auch die des Planeten. Eine forsa-Umfrage im Auftrag des AOK-Bundesverbandes zeigt: 68 Prozent der Menschen würden sich gerne nachhaltiger ernähren. Wie einfach eine klimaschonende Ernährung sein kann, welche Rolle dabei Hülsenfrüchte spielen und ob ein Klimalabel die Lösung wäre, erklärt Prof. Dr. Achim Spiller, Agrarökonom an der Universität Göttingen, im Interview auf Vital-Region.de.

Herr Prof. Dr. Spiller, was sind die effektivsten Maßnahmen, die jede und jeder Einzelne ergreifen kann, um sich klimaschonender zu ernähren?

Achim Spiller: Weniger tierische Erzeugnisse zu konsumieren ist unzweifelhaft das Wichtigste und der größte Hebel, sich klimaschonender zu ernähren. Das betrifft nicht nur Fleisch, sondern auch Milchprodukte. Im Ernährungssektor beeinflussen besonders Wiederkäuer wie Rinder das Klima, denn sie stoßen bei ihrer Verdauung das klimaschädliche Treibhausgas Methan aus. Das führt dazu, dass die Produktion eines Kilogramms Rindfleisch oder Hartkäse besonders hohe Emissionen verursacht. Zum anderen sollten wir mehr Hülsenfrüchte wie Kichererbsen oder Bohnen essen. Sie sind wegen ihrer Ballaststoffdichte nicht nur sehr gesund, sondern schützen auch das Klima.

Was macht Hülsenfrüchte so klimafreundlich?

Achim Spiller: Sie müssen nicht so stark gedüngt werden. Die Düngung in der Landwirtschaft belastet das Klima enorm. Der übermäßige Einsatz von Stickstoffdüngern führt dazu, dass Pflanzen nicht den gesamten Stickstoff aufnehmen können. Der nicht benötigte Stickstoff wird wiederum im Boden abgebaut, wodurch Lachgas entsteht. Dieses ist 300-mal klimaschädlicher als CO2. Hülsenfrüchte hingegen binden Stickstoff aus der Luft und machen ihn für die eigene Düngung und den Boden verfügbar. Dadurch müssen sie gar nicht oder kaum zusätzlich gedüngt werden und sind besonders klimafreundlich.

Die Debatte um Fleischverzicht wird oft sehr emotional geführt. Es entsteht der Eindruck von Lagerbildungen. Aber den Fleischkonsum zu reduzieren, kommt für 65 Prozent der fleischessenden Befragten infrage – ein großes Potenzial. Wie sollten wir damit umgehen?

Achim Spiller: Wir sollten versuchen, Menschen keine Vorwürfe zu machen, sondern die positiven Seiten eines geringeren Fleischkonsums kommunizieren – so wie es die AOK mit ihrem Themenschwerpunkt tut, indem sie zeigt, dass gesunde Ernährung und Klimaschutz häufig Hand in Hand gehen. Es hilft nicht, einen Krieg um das Fleisch zu führen. Es bedarf Maßnahmen, die zeigen, dass es auch ohne Fleisch schmeckt. Der Aktionsmonat „Veganuary“ ist ein gutes Beispiel. Er schafft Aufmerksamkeit für das Thema und knüpft direkt an Verhaltensweisen an, nämlich den Neujahrsvorsätzen. Selbst die Wirtschaft sieht das Interesse in der Bevölkerung und bietet spezielle Angebote an. Dadurch tasten sich Interessierte an das Thema heran und probieren pflanzenbetonte Speisen aus. Doch auch in Mensen oder Krankenhäusern sollten mehr vegane und vegetarische Gerichte auf das Tablett kommen. Wenn sie gut schmecken, gewöhnen sich die Menschen langsam daran.

Sie arbeiten an einem staatlichen Klimalabel. 76 Prozent der Befragten finden, die Politik sollte sich für eine verpflichtende und verständliche Lebensmittelkennzeichnung einsetzen. Wie ordnen Sie das ein?

Achim Spiller: Die Konsumentinnen und Konsumenten fordern ein Recht auf Information ein. Sie wollen Informationen, sie wollen mitreden und sie wollen verstehen. Wir haben aktuell mehr als 200 Nachhaltigkeitslabel auf dem deutschen Markt, also einen regelrechten Label-Dschungel. Bei einer klimaschonenden Ernährung sollten zum Beispiel Flugwaren wie Flugmangos vermieden werden, denn gerade der Flugverkehr ist besonders schädlich für das Klima. Doch leider sieht man den Produkten nicht an, wie genau sie transportiert wurden – ob mit dem Schiff oder dem Flugzeug. Oder ob eine Tomate im fossil beheizten Gewächshaus produziert wurde. Für die Bevölkerung sollte im Detail ersichtlich sein, wie klimabelastend das jeweilige Lebensmittel ist.

Inwiefern kann ein Klimalabel die Lösung sein?

Achim Spiller: Ein Klimalabel ist ein wichtiger Bestandteil dieser Veränderung, allein aber kein Gamechanger. Wir brauchen einen Instrumentenmix: Wir müssen eine faire Ernährungsumgebung schaffen mit einer klimafreundlichen Gemeinschaftsverpflegung, also Kantinen, und Mehrwertsteuer-Anpassungen: Günstiger für pflanzliche Lebensmittel, teurer für tierische. Nur so kann die gewohnheitsgeprägte Ernährung mit der Zeit langfristig verändert werden – hin zu einem klimaschonenden Ernährungssystem für Mensch und Erde.

Mehr Informationen zu klimaschonender und gesunder Ernährung unter aok.de/pk/ thema/klimafreundliche-ernaehrung    

Zur Person

Prof. Dr. Achim Spiller ist Professor für „Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte“ an der Georg-August-Universität Göttingen. Als Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats für „Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz“ berät er das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft zur Entwicklung einer nachhaltigen Ernährungspolitik.    pm