Deutschland gehört zu den Ländern, die ihre Impfziele am schlechtesten von allen Industrienationen erreichen. Experten wünschen sich einen elektronischen Impfpass mit Erinnerungs- und Informationsfunktion, auf dem sich Impfnachweise speichern lassen. Foto: Kebox/stock.adobe.com

Wie durch Digitalisierung in Deutschland die niedrigen Impfquoten bald steigen könnten

Impfgipfel beim „Tagesspiegel“: Zum vierten Mal trafen sich in Berlin ausgewiesene Impf-Experten, um über die wichtigste und erfolgreichste Präventionsmaßnahme zu sprechen. Diesmal stand die Runde unter dem Motto: „Impfen. Digital: Mit innovativen Lösungen das Impfsystem von morgen stärken.“ Dabei wurde deutlich: Es lohnt sich, einen Blick nach Dänemark oder in einige deutsche Rucksackläden zu werfen. Denn dort finden sich Beispiele, wie sich die Impfquoten entscheidend steigern lassen – mit ganz einfachen Maßnahmen.

Deutschland: Impf-Muffel und Bürokratie-Bremse

„Deutschland gehört zu den Ländern, die ihre Impfziele am schlechtesten von allen Industrienationen erreichen“, erklärte Prof. Tomas Jelinek, Medizinischer Direktor des Berliner Centrums für Reise- und Tropenmedizin (BCRT). Und weiter: „Es reicht nicht, Impfstoffe herzustellen – man muss sie auch zu den Menschen bringen.“ Nötig sei zunächst einmal, Impf-Empfehlungen schnell auszusprechen und umzusetzen, wie das etwa in den USA der Fall sei. Dort, so Jelinek „werden Impf-Empfehlungen bei neuen Impfstoffen innerhalb von vier Wochen überarbeitet. Es wäre wünschenswert, wenn wir uns in Deutschland auch nur annähernd in diese Richtung bewegen könnten. Da wäre eine Professionalisierung der Ständigen Impfkommission sicherlich kein Schaden.“

Den von Prof. Jelinek erhobenen Vorwurf, die STIKO sei zu langsam, wollte Prof. Thomas Mertens, Vorsitzender der Ständigen Impfkommission, übrigens nicht auf sich sitzen lassen: „Ich kenne keine amerikanische Impf-Empfehlung, die vier Wochen nach der Einführung eines neuen Impfstoffes gegeben wurde – das nur am Rande.“

Als Beispiel, wie es gehen könnte, nannte Jelinek „eine Kette von Impfstellen in ganz Deutschland“, die das BCRT aufgebaut habe und in denen jedes Jahr knapp 100.000 Menschen geimpft würden. Dabei handle es sich etwa um Impfpraxen, die in Ausrüstungs- oder Rucksackläden eingerichtet wurden – dort können sich Menschen ohne Termin beraten und impfen lassen. „Das wird extrem gut angenommen“, so Jelinek – allerdings gebe es von Seiten der Ärztekammern „erheblichen Widerstand gegen solche Innovationen.“ Erfreulicher wäre es, wenn solche Initiativen unterstützt und nicht blockiert würden.   

„Wir brauchen digitale Impfpässe“

Bei der Digitalisierung wünschen sich nach Jelineks Erfahrung viele Menschen digitale Impfpässe und Erinnerungssysteme. Hier sollte es ein einheitliches System geben, das Impfungen dokumentiert und an Auffrischungen erinnert. Dafür plädierte auch Han Steutel, Präsident des Verbandes forschender Pharma-Unternehmen (vfa). Er erklärte, es brauche einen elektronischen Impfpass mit Erinnerungs- und Informationsfunktion, auf dem sich Impfnachweise speichern lassen – etwas Ähnliches habe es ja bei den Covid-19-Impfungen bereits gegeben. Er sei durchaus zuversichtlich, dass ein solcher E-Impfpass bald eingeführt wird, zumal das Projekt vom Bundesgesundheitsministerium unterstützt werde.

„Aber solche Apps kosten doch Geld“, wandte Moderator und „Tagesspiegel“-Herausgeber Stephan-Andreas Casdorff ein. „Das sollte kein Problem sein“, so Steutel. Schließlich handle es sich um Prävention. Und dafür würden bisher in Deutschland gerade mal 20 Euro pro Jahr und Bürger ausgegeben – oder vier Prozent der Kosten für medizinische Versorgung, wie Prof. Heidrun Thaiss ergänzte, Vorstandsvorsitzende des Nationalen Aktionsbündnisses Impfen. Sie erklärte: „Wir brauchen ein Bewusstsein dafür, dass Prävention sich rechnet. Wir gucken immer noch von hinten, aber wir müssen von vorne schauen – wenn wir es schaffen, klar zu machen, wie wichtig Prävention ist, dann wird sich das auch in den Versorgungskosten niederschlagen.“

Positiv-Beispiel Dänemark

Manchmal hilft auch ein Blick in die Nachbarschaft. In Dänemark zum Beispiel nehmen 78 Prozent der über 65-Jährigen alle empfohlenen Impfungen in Anspruch. „Sie übertreffen damit die WHO-Empfehlung, die bei 75 Prozent liegt“, so Stephan-Andreas Casdorff. Wie die Dänen das machen, erklärte Dr. Tyra Grove Krause in einer Videobotschaft – sie leitet am Statens Serum Institut in Kopenhagen das „Department of Infectious Disease Epidemiology and Prevention“.

Der erste entscheidende Schritt erfolgte nach ihren Worten bereits im Jahre 2009, als dort ein elektronisches Impfregister ins Leben gerufen wurde. Über die Jahre habe dieses Register zu einem „einzigartigen Erfolg“ geführt, denn: „Das Vertrauen der Bevölkerung in Impfungen wurde dadurch enorm gestärkt.“ Krause weiter: „Es gibt eine große Nachfrage nach den Informationen aus dem Register, auch von Bürger:innen“.

Hier liegt vielleicht der Schlüssel zum Erfolg: Das Impfregister ist so klar und einfach aufgebaut, dass es von Forschenden ebenso gerne genutzt wird wie von ganz normalen Bürgern. Auch die Impf-Ärztr, die in Deutschland schon mal vor zu viel Bürokratie und Arbeitsbelastung durch ein solches elektronisches Register warnen, sind in Dänemark gerne mit dabei. Denn, so Tyra Grove Krause: „Eine Erstattung gibt es nur, wenn die Ärzte die Informationen zu ihren Impfungen verschickt haben.“

Digitalisierung in Deutschland

Auch Deutschland habe die „Grundvoraussetzungen“ für ein digitalisiertes Impfsystem „und kann damit einen großen Sprung nach vorne machen“, erklärte Dr. Markus Leyck Dieken, Geschäftsführer der gematik, der „Nationalen Agentur für digitale Medizin“. Mit Hilfe digitaler Techniken könne nicht nur an „Impftermine erinnert“ werden, sondern auch ein besseres „Impf-Monitoring“ in Deutschland entstehen – also ein Überblick darüber, wer welche Impfungen erhalten hat.

Mit der Digitalisierung alleine ist es jedoch nicht getan. So gab Prof. Thomas Mertens, Vorsitzender der Ständigen Impfkommission (STIKO), zu Bedenken: „Kenntnis über das Impfen ist in der Ärzteausbildung kein verpflichtender Punkt.“ Das müsse sich dringend ändern. Auch Mertens machte sich für ein elektronisches Impfregister stark – wichtig sei dabei jedoch, „dass die Daten komplett sind“. So müsse zum Beispiel auch registriert werden, wenn Geimpfte trotz Impfung erkranken – und auch Nebenwirkungen müssten erfasst werden. Mertens sprach sich gegen „Teillösungen und Flickschusterei“ aus, und dafür, „dass die Politik sich mal aufrafft und versucht, eine tragfähige und zukunftssichere Gesamtlösung für das Problemgebiet der medizinischen Datenerhebung, -haltung und -nutzung zu finden.“

Fazit:

Auch nach vier Jahren „Impfgipfel“ bleibt noch viel zu tun – im Hinblick auf die Digitalisierung und darüber hinaus. Elektronischer Impfpass und elektronisches Impfregister könnten zu Meilensteinen werden, wenn sie denn tatsächlich kommen und auch für Normalbürger einfach zu nutzen sind. Zu besseren Impfquoten könnte vielleicht auch ein Vorschlag beitragen, den ein Arzt aus dem Publikum machte: „Die letzte Minute vor der Tagesschau sollte nicht dem Bauhaus gewidmet werden, sondern dem Impfen.“ Pharma-Fakten.de