Die weit überwiegende Mehrzahl der Frühgeborenen in Deutschland überlebt gesund. Doch selbst an der Grenze der Lebensfähigkeit, das heißt mit 23 oder 24 Schwangerschaftswochen, ist in spezialisierten Zentren heute ein Überleben von 70 bis 80 Prozent möglich. Foto: Toshi Photography/stock.adobe.com

Welt-Frühgeborenentag: Wenn das Leben mit einem riskanten Frühstart beginnt

Allein in Deutschland werden jährlich rund 60.000 Kinder zu früh geboren. Das bedeutet, dass eines von zehn Neugeborenen vorzeitig das Licht der Welt erblickt – und damit einen riskanten Start ins Leben hat. Die Frühgeborenen stellen eine der größten Kinderpatientengruppen dar. Unter anderem darauf verweist der Welt-Frühgeborenentag am 17. November.

Im Interview beantwortet Prof. Dr. Dominique Singer, Ärztlicher Leiter der Sektion Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE), Fragen rund um das Thema Frühgeburt.

Ab wann spricht man von einer Frühgeburt?

Prof. Dr. Dominique Singer: Normalerweise dauert eine Schwangerschaft 40 Wochen. Nur selten kommen Babys genau zum errechneten Geburtstermin zur Welt. Kinder, die vor der vollendeten 37. Schwangerschaftswoche geboren werden, werden als Frühgeborene bezeichnet. Und das ist keine Seltenheit: Etwa zehn Prozent aller Neugeborenen kommen zu früh auf die Welt. Wiederum zehn Prozent von ihnen sind die sehr kleinen Frühgeborenen, also diejenigen, die vor der vollendeten 30. Schwangerschaftswoche mit einem Gewicht von weniger als 1500 Gramm geboren werden.

Wie kommt es zu einer Frühgeburt?

Prof. Dr. Dominique Singer: Zunächst einmal ist es wichtig zu betonen, dass die Schwangere keine Schuld trifft. Es gibt kaum etwas, das man tun oder lassen kann, um eine Frühgeburt herbeizuführen oder zu verhindern. Aus medizinischer Sicht gibt es hauptsächlich zwei Gründe für Frühgeburten: Zum einen Infektionen, die schon im Mutterleib auftreten und eine vorzeitige Entbindung erzwingen. Zum anderen die sogenannte intrauterine Wachstumsrestriktion. Das bedeutet, dass das Ungeborene im Mutterleib nicht mehr ausreichend versorgt wird und daher besser auf die Welt geholt werden muss.

Ist eine Frühgeburt lebensbedrohlich?

Prof. Dr. Dominique Singer: Die weit überwiegende Mehrzahl der Frühgeborenen, also diejenigen, die kurz vor der 37. Schwangerschaftswoche geboren werden, überleben normalerweise vollkommen gesund. Gleichwohl nimmt die Rate an Komplikationen mit jeder Woche an Frühgeburtlichkeit allmählich zu. Doch selbst an der Grenze der Lebensfähigkeit, das heißt mit 23 oder 24 Schwangerschaftswochen, ist in spezialisierten Zentren heute ein Überleben von 70 bis 80 Prozent möglich.

Wirkt sich eine Frühgeburt auf die Entwicklung des Kindes aus?

Prof. Dr. Dominique Singer: Vor allem bei den sehr kleinen Frühgeborenen können neben den akuten Komplikationen, etwa dem Atemnotsyndrom oder den gefürchteten Hirnblutungen, durchaus auch längerfristige motorische oder kognitive Beeinträchtigungen auftreten. Zudem wissen wir heute, dass bei Erwachsenen mit Frühgeburtsanamnese bestimmte Atemwegs-, Stoffwechsel- und psychische Erkrankungen etwas gehäuft vorkommen.

Was raten Sie Eltern?

Prof. Dr. Dominique Singer: Durch aktive Einbeziehung der Eltern in die pflegerische Versorgung ihres Kindes versuchen wir heutzutage, die Bindung zwischen Eltern und Kind bestmöglich zu unterstützen. Betroffene Eltern sollten ein überprotektives Verhalten vermeiden, aber gleichzeitig zusammen mit Lehrer:innen und Erzieher:innen darauf achten, dass etwaige kleinere Handicaps nicht zu einer schleichenden Ausgrenzung der ehemaligen Frühgeborenen führen.