Auch wenn es für viele Angehörige eine Herzenssache ist, pflegebedürftige Familienmitglieder selbst zu betreuen, so ist es doch immer eine Herausforderung und eine Kraftprobe, den eigenen Alltag mit den Bedürfnissen des auf Hilfe angewiesenen Menschen zu verbinden. Tagespflegeplätze wären eine große Entlastung, aber diese sind rar. Foto: missty/stock.adobe.com
Verband pflegender Angehöriger fordert flexibles Pflegebudget für mehr Entlastung
Zum europäischen Tag der pflegenden Angehörigen am 6. Oktober fordert der Bundesverband pflegender Angehöriger mehr Selbstbestimmung und Entlastung für pflegebedürftige Menschen und die über 8 Millionen An- und Zugehörigen, die sich bundesweit um sie kümmern und sie pflegen.
Tagespflegeplätze sind eine Rarität
„Wir fordern, dass pflegende Angehörige endlich als gleichberechtigte Partner in der Pflege wahrgenommen und angemessen unterstützt werden“, sagt Edeltraut Hütte-Schmitz, Vorstandsmitglied der Selbsthilfeorganisation und Interessenvertretung „wir pflegen e.V.“. „Zurzeit gibt es nur für 2,3 Prozent der pflegebedürftigen Menschen, die zu Hause gepflegt werden, einen Tagespflegeplatz. Ambulante Dienste müssen Anfragen aufgrund Personalmangels oft ablehnen, Kurzzeitpflegeplätze sind sehr schwer zu finden, vorhandene Angebote sind oftmals unerschwinglich oder nicht bedarfsgerecht.“
Pflegebedürftige Menschen, die keinen Tagespflegeplatz bekommen, aber alternativ viermal pro Tag Unterstützung durch einen ambulanten Dienst finden, müssen dafür oftmals Eigenanteile in Höhe von 3000 Euro bis 4000 Euro aufbringen, während ihr Leistungsanspruch auf Tagespflege nicht angerechnet werden kann und ungenutzt verfällt. Eine Deckelung der Eigenanteile wie in der vollstationären Pflege, gibt es in der häuslichen Pflege nicht.
Mehr Flexibilität und mehr finanzielle Unterstützung
„Wir fordern, dass einzelne Leistungsansprüche künftig flexibel für alle Unterstützungs- und Entlastungsleistungen nutzbar sein müssen. Wenn es beispielsweise keinen verfügbaren Tagespflegeplatz gibt, muss der Leistungsanspruch der Tagespflege dann alternativ für Einsätze eines ambulanten Dienstes genutzt werden können oder für eine eigenverantwortliche Organisation der Pflege“, erklärt Vorstandsmitglied Heinrich Stockschlaeder.
Edeltraut-Hütte-Schmitz fügt hinzu: „Zudem muss die ambulante und insbesondere die häusliche Pflege durch Angehörige auch finanziell weit mehr unterstützt werden. Derzeit gehen 30 Prozent der Ausgaben der Pflegeversicherung in die stationäre Pflege, obwohl in Deutschland nur 16 Prozent der pflegebedürftigen Menschen dort versorgt werden.“
Strukturen des Pflegesystems neu gestalten
Im September hat der Bundesverband pflegender Angehöriger angemahnt, dass Pflege angesichts des Pflegefachkräftemangels, der demographischen Entwicklung und der Überlastung der pflegenden Angehörigen zu einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe werden muss. „Wir fordern eine gesamtgesellschaftliche Debatte über den Stellenwert eines guten und würdevollen Pflegesystems in unserer Gesellschaft. Pflege darf nicht zum überwiegenden Teil auf den Schultern von Angehörigen abgeladen werden“, sagt Prof. Dr. Notburga Ott, Vorständin des Bundesverbands „wir pflegen e.V.“.
„Damit pflegebedürftige Menschen würdevoll unterstützt und versorgt und pflegende An- und Zugehörige angemessen abgesichert und entlastet werden, ist es notwendig, nicht nur die finanziellen Aspekte der Pflegeversicherung in den Blick zu nehmen. Es müssen vielmehr Strukturen und Verantwortlichkeiten des Pflegesystems rechtlich und gesellschaftlich neu gedacht werden“, ergänzt Stockschlaeder mit Verweis auf die Stellungnahme von „wir pflegen“ zum Bericht der Bundesregierung „Zukunftssichere Finanzierung der sozialen Pflegeversicherung“.
Schwerstpflegebedürftige sind ein Problem für Pflegeanbieter
Dringend notwendig sei angesichts der begrenzten professionellen Pflege- und Betreuungskräfte und der Überlastung der pflegenden Angehörigen die Klärung der Frage, für welche Aufgaben und Personenkreise personelle und finanzielle Ressourcen eingesetzt werden müssen. Nach Erkenntnissen von „wir pflegen e.V.“ wird es insbesondere für schwerstpflegebedürftige Menschen immer schwieriger, Unterstützung durch professionelle Pflegeanbieter zu erhalten. Diese Menschen und ihre Angehörigen sind aber auf Hilfe angewiesen.
In Anbetracht der Begrenzungen sei der Aufbau von Netzwerken und Kooperationen aus professioneller Pflege, Pflege durch An- und Zugehörige, Ehrenamt, Nachbarschaftshilfe oder kommunalen zivilgesellschaftlichen Angeboten im Sinne des Aufbaus von Caring Communities unabdingbar, so der Verband.
Perspektivenwechsel gefordert
In seiner Stellungnahme fordert der Verband einen Perspektivenwechsel weg von einer Defizitorientierung hin zu einer personenzentrierten Sichtweise. Das Ziel muss ein Pflegesystem sein, das pflegebedürftige Menschen dabei unterstützt, ein möglichst selbstbestimmtes und selbständiges Leben zu führen, ohne die Angehörigen zu überlasten.
Info
Der Bundesverband wir pflegen e.V. ist eine Interessenvertretung und Selbsthilfeorganisation pflegender Angehöriger. Der 2008 gegründete Verein setzt sich für nachhaltige Verbesserungen in der häuslichen Pflege ein. Mehr Infos auf der Webseite des Vereins.