„Wir sprechen nicht von Heilung, weil sich die zugrunde liegende Schädigung durch den Schlaganfall nicht rückgängig machen lässt. Aber viele Spastiken sind heute gut behandelbar“, sagt der Neurologe PD Dr. med. John-Ih Lee. Foto: New Africa/stock.adobe.com

Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe: „Spastiken nach Schlaganfall sind meist gut behandelbar“

Eine häufige Folge nach einem Schlaganfall sind schmerzhafte Muskelverkrampfungen, so genannte Spastiken. Sie können die Beweglichkeit und Lebensqualität der Betroffenen erheblich einschränken, vor allem wenn sie nicht frühzeitig und umfassend behandelt werden. Doch aktuell erhält nur ein Teil der Betroffenen eine angemessene Therapie – und dies, obwohl eine Reihe wirksamer Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung steht.

Wie Betroffene eine optimale Versorgung sicherstellen, und welche Therapien helfen können, dazu informierten Experten der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe in der Telefon-Aktion SPRECHZEIT für Vital-Region.de-Leser. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten zum Nachlesen:

Woran erkenne ich, dass sich eine Spastik entwickelt?

Prof. Dr. med. Tobias Bäumer: Spastiken entwickeln sich oft schleichend und werden deshalb anfangs vernachlässigt. Sie äußern sich in Muskelsteifheit, Verkrampfungen und unkontrollierten Kontraktionen. Diese Körperhaltung und Anspannung können sehr schmerzhaft sein. Unbehandelt verstärken sich die Symptome häufig und führen zu weiteren Problemen wie einer deutlich eingeschränkten Beweglichkeit durch eine Versteifung von Gelenken.

An wen wende ich mich, wenn ich Anzeichen einer Spastik wahrnehme?

PD Dr. med. John-Ih Lee: Grundsätzlich ist die hausärztliche Praxis für Schlaganfall-Betroffene als erster Anlaufpunkt sinnvoll. Bei Verdacht auf eine einsetzende Spastik empfehlen wir jedoch immer, auch eine neurologische Facharztpraxis aufzusuchen, weil man dort die meiste Erfahrung in der Behandlung dieses Krankheitsbildes hat.

Sind Spastiken nach einem Schlaganfall heilbar?

PD Dr. med. John-Ih Lee: Wir sprechen nicht von Heilung, weil sich die zugrunde liegende Schädigung durch den Schlaganfall nicht rückgängig machen lässt. Aber viele Spastiken sind heute gut behandelbar: Beweglichkeit lässt sich fördern, Schmerzen können wir lindern und auf diese Weise sehr viel Lebensqualität wiederherstellen.

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„Unsere Erfahrung zeigt, dass viele Betroffene unzureichend über moderne Versorgungsmöglichkeiten aufgeklärt werden und es kaum Zusammenarbeit zwischen den Behandelnden gibt.“
Anna Engel
, Reha- und Nachsorge-Expertin der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe

Welche Therapien können eine Spastik lösen und die Mobilität verbessern?

Tina Laborn: Neben einer medikamentösen Behandlung kommt bei uns bei einer Spastik in der Regel vor allem Robotik zum Einsatz. Eine Untersuchung an unseren Patienten hat gezeigt, dass der Einsatz robotergestützter Therapie zu signifikanten Verbesserungen führt. Auch Dehnungen, Mobilisation, Kraft- und Koordinationstraining können spastische Muskelgruppen entspannen, Schmerzen reduzieren und die Beweglichkeit erhalten.

Helfen die Therapien auch gegen die Schmerzen?

Sabine Lamprecht: Die Behandlung akuter Schmerzen sollten Sie mit Ihrem Arzt oder Ihrer Ärztin besprechen. Aber auch Physio- und Ergotherapie tragen – richtig angewandt – dazu bei, dass Schmerzen zurückgehen, weil sie die Beweglichkeit der Muskeln verbessern und Widerstände abbauen. Die besten Erfolge erzielen Sie oft aus einer Kombination der Behandlungen.

Welche Rolle spielen Hilfsmittel bei der Therapie von Spastiken?

Günter Bieschinski: Hilfsmittel sind eine wichtige Ergänzung, weil sie die Therapieziele der Ergo- und Physiotherapie unterstützen, Gelenke stabilisieren und Aktivität ermöglichen. Zudem tragen sie dazu bei, starke Gelenkfehlstellungen zu korrigieren und können dadurch Schmerzen reduzieren. In der Behandlung der Spastik sind sie deshalb ein wichtiger Baustein.

Wie viel Therapie ist die optimale Dosis bei einer Spastik?

Tina Laborn: Das ist abhängig vom Einzelfall. In der Arm- und Beinrehabilitation gilt aber grundsätzlich: Viel hilft viel! Wir machen häufig die Erfahrung, dass Intensivtherapie – also mehrere Stunden täglich gezielte Therapie mit Roboter-Assistenzsystemen über mehrere Wochen – auch die Folgen einer Spastik deutlich reduzieren kann. Die Gelenke lassen sich leichter bewegen und die Betroffenen können wieder greifen, halten oder einfache Tätigkeiten durchführen.

Wie erhalte ich ein Hilfsmittel, dass mich wirklich unterstützt?

Günter Bieschinski: Wichtig ist, dass Hilfsmittel individuell auf Ihre Beeinträchtigungen abgestimmt sind und bei Veränderungen angepasst werden. Die größte Kompetenz besitzen spezialisierte Sanitätshäuser. Wo Sie ein solches Haus finden, weiß die Deutsche Schlaganfall-Hilfe oder eine Selbsthilfegruppe in Ihrer Nähe. Gute Sanitätshäuser beraten Sie, machen einen Versorgungsvorschlag und unterstützen Sie bei der Kostenübernahme durch Ihre Krankenkasse.

Wann kommt eine Therapie mit Botulinumtoxin infrage?

Prof. Dr. med. Tobias Bäumer: Die Behandlung kommt bei einer sogenannten fokalen Spastik zum Einsatz. Das meint, dass die Behandlung auf eine begrenzte Anzahl von Muskeln beschränkt wird. In diese Muskeln wird Botulinumtoxin gespritzt, was dann nach einigen Tagen zu einer Verminderung der Spannung führt. Die Wirkdauer ist begrenzt und die Behandlung muss oft nach circa 10 bis 12 Wochen wiederholt werden. Häufig ist eine Kombination von Therapien mit Physiotherapie oder Ergotherapie, aber auch Schienen sinnvoll.

Muss ich die Kosten für eine Botulinumtoxin-Behandlung selbst tragen?

PD Dr. med. John-Ih Lee: Bei entsprechenden Voraussetzungen bei Spastik nach Schlaganfall in der Regel nicht. Bei einer zugelassenen Indikation übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten der Botulinumtoxin-Therapie, ebenso wie viele private Krankenkassen. Eine Einschätzung dazu kann in einer spezialisierten Facharztpraxis oder Spezialambulanz erfolgen.

Ist eine Behandlung noch möglich, wenn ich schon lange unter einer Spastik leide?

Prof. Dr. med. Tobias Bäumer: Ja! Grundsätzlich gilt zwar: Je früher die Therapie beginnt, desto besser. Aber: Auch eine „alte“ Spastik kann noch gelindert werden und die Behandlung zu spürbarer Erleichterung im Alltag führen.

Was kann ich selbst tun, um die Folgen einer Spastik zu mindern?

Sabine Lamprecht: Suchen Sie sich zunächst eine Therapie-Praxis, in der man Erfahrung mit der Behandlung dieses Krankheitsbildes hat. Gute Therapeuten werden Sie nicht nur passiv behandeln, sondern Ihnen Möglichkeiten aufzeigen, wie Sie zuhause trainieren und die Therapie selbst fortsetzen können, um Muskelspannungen abzubauen und Beweglichkeit zu erhalten.

Erste Hilfe bei Schlaganfällen

Die Zeit, bis der Notarzt eintrifft, gilt es mit Erste-Hilfe-Maßnahmen zu überbrücken. Am wichtigsten ist es dann, Betroffene zu beruhigen und nicht alleine zu lassen. Außerdem kann es helfen, den Oberkörper hoch zu lagern und die Atmung zu optimieren.

Essen und Trinken sind zu vermeiden, da aufgrund der motorischen Störungen die Gefahr steigt, sich zu verschlucken.

Bei Bewusstlosigkeit sollte der Betroffene auf der gelähmten Seite in stabile Seitenlage gebracht werden. Besteht ein Herz- oder Atemstillstand, sollten Anwesende sofort mit Wiederbelebungsmaßnahmen beginnen.

So erkennt man einen Schlaganfall frühzeitig mit dem FAST-Test.

Info

Die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe hat einen Ratgeber zum Thema Spastiken für Betroffene und Angehörige herausgegeben. Auf 32 Seiten haben ein Neurologe, eine Ergotherapeutin und ein Orthopädietechniker ihre Erfahrungen zusammengetragen. Der Ratgeber erklärt Betroffenen und Angehörigen das Krankheitsbild Spastik nach Schlaganfall und gibt einen kompletten Überblick über moderne Behandlungsmöglichkeiten und Hilfsmittel. Hier können Sie ihn kostenlos bestellen: www.schlaganfall-hilfe.de/shop oder per Telefon unter 05241-97700.

Die Experten in der Sprechzeit waren:

•              Prof. Dr. med. Tobias Bäumer, Facharzt für Neurologie, Stellv. Direktor des Instituts für Systemische Motorikforschung, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Lübeck

•              Privatdozent Dr. med. John-Ih Lee, Facharzt für Neurologie, Chefarzt der Abteilung für Neurologie und klinische Neurophysiologie, GFO Kliniken Rhein-Berg, Marien-Krankenhaus, Bergisch Gladbach

•              Sabine Lamprecht, MSc. Neurorehabilitation, Physiotherapeutin, Geschäftsführende Gesellschafterin HSH Lamprecht Praxen für Therapie und Fortbildung, Kirchheim unter Teck

•              Tina Laborn, Bachelor Professional of Health & Social Services, Inhaberin Hand- und Ergotherapie Laborn GbR, Regensburg

•              Günter Bieschinski, MSc. Neuroorthopädie, Orthopädietechnikermeister, rahm GmbH, Troisdorf

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