In keine Indikation steckt die forschende Pharmaindustrie so viel Geld wie in die Onkologie. Das Ziel ist die Krebszelle. Arzneimittelinnovationen haben schon jetzt einen beträchtlichen Anteil daran haben, dass Menschen mit Krebs länger leben oder überleben. Foto: peterschreiber.media/stock.adobe.com
Pharmaindustrie forciert Onkologie-Forschung: Neue Trends im Kampf gegen Krebs
Krebs ist auf dem Weg weltweit zur häufigsten Todesursache zu werden; bisher sind es Herzkreislauf-Erkrankungen, die die meisten Menschen frühzeitig aus dem Leben reißen. Aber die Zahl der Krebsfälle wird stark steigen. Die Forschung stemmt sich dem entgegen – und setzt immer mehr auf neue Technologien. Aus dem Dreiklang Operation, Chemotherapie, Bestrahlung ist längst ein multimodaler Werkzeugkasten geworden, der ständig wächst.
Auf Vital-Region gibt Pharma-Fakten.de einen Überblick über die neuesten Trends in der Onkologie-Forschung.
Mehr Krebsfälle, reduzierte Sterblichkeit
„Krebsforschung – eine Investition für das Leben“, heißt es beim Bundesministerium für Bildung und Forschung. Und die Erfolge lassen sich bereits ablesen: Trotz stetig ansteigender Fälle ist es der Medizin und Forschung gelungen, die Sterblichkeit zu reduzieren. Maßgeblich dafür verantwortlich sind gezieltere Prävention, bessere Früherkennung, moderne Behandlungsmöglichkeiten, Arzneimittelinnovationen und eine bessere Nachsorge.
Dass Arzneimittelinnovationen einen beträchtlichen Anteil daran haben, dass Menschen mit Krebs länger leben oder überleben, ist in vielen Studien ablesbar. Experten erwarten, dass sich die Behandlungsmöglichkeiten in den kommenden Jahren weiter verbessern werden. In keine Indikation steckt die forschende Pharmaindustrie so viel Geld wie in die Onkologie.
Eine Übersicht über die Trends in der Onkologie-Forschung, wie sie das IQVIA-Institute zusammengestellt hat:
Multispezifische Antikörper: Vielseitig und effektiv
Im Gegensatz zu den monoklonalen Antikörpern sind multispezifische Antikörper in der Lage, an mehrere verschiedene Antigene oder Zielstrukturen – zum Beispiel auf Tumorzellen – zu binden. Das macht sie für die Forschung besonders interessant, da sie potenziell vielseitiger und effektiver sein könnten, insbesondere bei komplexen Krankheitsbildern wie Krebs, Autoimmunerkrankungen oder Infektionen. Monoklonale Antikörper haben ihren Ursprung in den 1980er-Jahren und werden heute in Therapie und Diagnostik eingesetzt; etwa bei Krebs-, Autoimmun- oder anderen komplexen Krankheitsgeschehen.
RNA-basierte Therapien: Dem Immunsystem auf die Sprünge helfen
Die Ursprünge RNA-basierter Ansätze liegen in den 1970er- Jahren; damals gelang es das erste Mal, Ribonukleinsäuren (RNS beziehungsweise RNA) künstlich herzustellen, um sie medizinisch zu nutzen. RNAs spielen eine Schlüsselrolle in der Zellbiologie; es gibt verschiedene Typen mit den unterschiedlichsten Funktionen. Am bekanntesten ist die Messenger-RNA (mRNA), denn sie war die Grundlage für die Entwicklung der pandemischen COVID-19-Impfstoffe.
mRNA ist ein Bote; er enthält den genetischen Bauplan für den Proteinaufbau in der Zelle; im Labor entwickelt, helfen mRNA-Impfstoffe dem Immunsystem auf die Sprünge. Zum Beispiel gegen COVID-19: Der genetische Code des Antigens wird als Impfstoff produziert – nach der Impfung übernehmen die körpereigenen Zellen die Produktion des Antigens. Die Immunzellen erkennen dies und bauen einen Schutz auf.
mRNA-Impfstoffe sind ein Fokus in der Krebsforschung; sie unterscheiden sich von herkömmlichen Impfstoffen, weil sie therapeutisch als Verstärker des Immunsystems und nicht zur Vorbeugung einer Krankheit eingesetzt werden. Sie liefern dem Immunsystem die „Software“, damit es Krankheitserreger bekämpfen kann, die es aus eigener Kraft nicht schafft. Untersucht wird auch die Kombination dieses Wirkansatzes mit anderen Therapien wie Immuncheck-Inhibitoren der PD-1-Blockade. So konnte mRNA-4157/V940, ein neuartiger experimenteller RNA-Impfstoff zur Krebsimmuntherapie, in der Kombination mit einem PD-1-Hemmer bei der Behandlung von Melanomen vielversprechende Ergebnisse zeigen.
Ein weiteres Ziel der Forschung sind nicht-kodierende RNAs (ncRNA), die so heißen, weil sie nicht in Proteine übersetzt werden, sondern andere, zum Teil noch nicht verstandene Funktionen in der Zelle ausüben. Tatsache ist: Es gibt zahlreiche Erkrankungen, die mit ncRNA assoziiert werden – zum Beispiel neurodegenerative Krankheiten wie Alzheimer; die Hoffnung der Forschung ist, dass sich daraus neue Behandlungsansätze und diagnostische Möglichkeiten ergeben.
Antikörper-Wirkstoff-Konjugate (ADC): Wirkstoff huckepack nehmen
„In den vergangenen 10 Jahren wurden weltweit 15 ADCs zugelassen, 857 Studien wurden gestartet“, schreibt das IQVIA Institut in seinem Bericht „Global Oncology Trends 2024“. Es ist das „am schnellsten wachsende Segment bei onkologischen Studien.“ ADCs sind Antikörper, die einen Wirkstoff huckepack nehmen; sie werden deshalb auch als „bewaffnete Antikörper“ bezeichnet. Sie haben sich etwa bei fortgeschrittenen oder aggressiven Tumoren als vielversprechend erwiesen, wie dem triple-negativen Brustkrebs.
Hinter dem Wort „vielversprechend“ steht die in klinischen Studien bestätigte höhere Lebenserwartung bei besserer Lebensqualität. Auch bei Blutkrebserkrankungen kommen sie zum Einsatz. Die Forschung ist bereits bei den ADCs der 3. Generation angekommen; sie sind vor allem effektiver in ihrer Wirkung.
Radioliganden-Therapie: Strahlen, wo sie gebraucht werden
Mit Strahlentherapie Tumore behandeln, das gibt es seit dem 19. Jahrhundert. Doch aus dem Frontalangriff auf menschliche Zellen ist mittlerweile ein feiner Degen geworden. Mit der Radioliganden-Therapie lassen sich Krebszellen präzise ansteuern, weil ein strahlendes Teilchen – an ein Peptid als Transporter angedockt – direkt zur Zelle gebracht werden kann. IQVIA schreibt: „Es laufen fast 100 Studien mit den Schwerpunkten Prostata- und Neuroendokrine Tumoren.“
Zell- und Gentherapien: Die Revolution hat begonnen
Die Entwicklung der Zell- und Gentherapien (CGT) in der Onkologie hat eine Revolution in der Medizin angezettelt, deren Geschichte noch lange nicht zu Ende erzählt ist. Dass das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) das Berlin Institute of Health at Charité (BIH) mit der Koordination einer Nationalen Strategie für gen- und zellbasierte Therapien beauftragt hat, ist vielleicht ein Hinweis darauf, wie wichtig sie in der Behandlung von Krebserkrankungen noch werden.
„Obwohl Deutschland in der Grundlagenforschung und auch in einigen technologischen Entwicklungen führend ist, bestehen besondere Herausforderungen bei der Umsetzung in die medizinische Versorgung“, heißt es in dem Strategiepapier. Die Befürchtung ist, dass Deutschland „international den Anschluss in diesem Bereich verliert und die Versorgung von Patienten beeinträchtigt wird.“ Die Bundesrepublik habe die Chance, eine führende Rolle zu übernehmen, „benötigt hierfür aber ein besseres Zusammenwirken der vielfältigen Akteure aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft.“
Gen- und Zelltherapien können nicht nur krankheitsmodulierend oder beschwerdelindernd wirken, sondern zielen direkt auf die Ursache einer Krankheit, in dem sie genetische oder epigenetische Ursachen der Prozesse adressieren. „In einigen Fällen können GCT schwerwiegende Symptome rückgängig machen und die Entstehung, das Fortschreiten und die Komplikationen von Krankheiten verhindern“, heißt es beim BMBF.
Mit der Zulassung von zwei CAR-T-Zelltherapien im Jahr 2018 können Menschen mit bestimmten Blutkrebsarten von der Forschung profitieren – mittlerweile sind in Europa sechs Therapien zugelassen. Sie gelten als „Gamechanger“, weil sie für Menschen, bei denen etablierte Therapien nicht mehr ansprechen, wieder Lebensperspektiven schaffen. CAR-T-Zelltherapien sind auf den einzelnen Menschen zugeschnittene Behandlungen, weil das eigene Blut im Labor so aufgearbeitet wird, dass es in der Lage ist, Krebszellen zu erkennen und auszuschalten – eine personalisierte Medizin par excellence. Seitdem sucht die Forschung nach Wegen die Technologie auch bei soliden Tumoren und anderen Krankheiten einsetzbar zu machen.
Checkpoint-Inhibitoren: Die Bremsen lösen
Krebszellen täuschen und tarnen – und werden dann oft von der körpereigenen Immunabwehr nicht erkannt. Checkpoint-Inhibitoren können sie enttarnen und damit die „Bremsen des Immunsystems“ lösen. Deshalb spielen sie in der Onkologie eine herausragende Rolle; sie wirken nicht selbst gegen den Tumor, sondern befähigen den eigenen Körper, das zu tun. Ein Beispiel: Hautkrebsexperten sprechen bei der Behandlung des Schwarzen Hauskrebs mit so genannten PD-1- oder CTLA-4-Antikörpern von einer „Therapie-Revolution“.
Laut IQVIA-Institut arbeitet die Forschung an der Weiterentwicklung dieses Ansatzes und der Kombination verschiedener Wirkstoffansätze – mit dem Ziel, Resistenzen zu verringern und die Wirksamkeit weiter zu verbessern.
Tumor-agnostische Therapien: In Richtung Präzisionsonkologie
Früher galt in der Onkologie: Brustkrebs ist Brustkrebs und Prostatakrebs ist Prostatakrebs; entsprechend richtete sich die Therapiestrategie aus. Doch dann fand die Wissenschaft heraus, dass es bestimmte Auslöser für Krebs gibt, die auf Genmutationen beruhen – unabhängig vom Ort der Krebsentstehung.
Tumor-agnostische Therapien adressieren diese molekulargenetischen Veränderungen – die Biomarker – ganz spezifisch. Biomarker bieten gezielte Angriffspunkte für die Entwicklung solcher Therapien und sind ein Schritt in Richtung Präzisionsonkologie, da sie die individuellen genetischen Eigenschaften jedes Tumors berücksichtigen. Solche gewebeunabhängig wirkenden Krebsmittel gibt es bereits. Die Forschung arbeitet daran, dieses Konzept zu verfeinern.
Weiterführender Link: BMBF: Nationale Strategie für gen- und zellbasierte Therapien (GCT)