Bei der Hälfte der im Jahr 2023 auf den Markt gebrachten neuen onkologischen Wirkstoffe betrug die Zeit zwischen Patentanmeldung und Einführung weniger als 15 Jahre. Das heißt, dass Krebspatienten lange warten müssen, bis der medizinische Fortschritt auf ihrem Medikamentenplan angekommen ist. Foto: StockPhotoPro/stock.adobe.com
14 Jahre von der Patentanmeldung bis zur Einführung als Krebsmedikament
14 Jahre – so lange dauert es im Schnitt, bis ein neuer Wirkstoff nach der ersten Patentanmeldung in der Versorgung krebskranker Menschen verfügbar ist. Das zeigen Zahlen aus den USA. Der Wert ist seit 2022 um drei Jahre gestiegen; zwischen 2018 und 2020 war er kurzzeitig unter die Zehn-Jahresgrenze gefallen.
Der Wert ist ein Maß für die Komplexität onkologischer Arzneimittelentwicklung. Und: Je länger die Entwicklung eines neuen Arzneimittels dauert, desto schwieriger ist es für das forschende Unternehmen, die Forschungskosten gegenzufinanzieren. Patente – und damit der Schutz geistigen Eigentums – sind ein wesentlicher Motor zur Generierung von Fortschritt. Im „Global Oncology Trends“-Report von IQVIA heißt es: „Bei der Hälfte der im Jahr 2023 auf den Markt gebrachten neuen onkologischen Wirkstoffe betrug die Zeit zwischen Patentanmeldung und Einführung weniger als 15 Jahre, bei 39 Prozent der Wirkstoffe dauerte es weniger als 10 Jahre.“
Krebs: Lange Entwicklungszeiten brauchen stabilen Rahmen
Wie Pharma-Fakten.de berichtet, sind diese langen Entwicklungszeiten ein Grund, warum stabile Rahmenbedingungen für die forschende Pharmaindustrie so wichtig sind. Oder warum es Gift für die Branche ist, wenn sich die Regeln für die Erstattung von Arzneimittelinnovationen kurzfristig ändern. Dazu hatte der Chef des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), Professor Josef Hecken, auf dem Bayerischen Pharmagipfel 2024 an die Adresse von Pharmaunternehmen gesagt: „Sie forschen viele Jahre an einem Wirkstoff, Sie bringen den in den Markt, haben vielleicht 10 Jahre Patentschutz und dann müssen Sie sich als pharmazeutischer Unternehmer darauf verlassen können, dass die Spielregeln, die am Anfang gesetzt wurden, auch gelten und nicht alle 14 Tage fundamental geändert werden.“
Dies war eine deutliche Kritik an den im GKV-Finanzstabilisierungsgesetz festgelegten „Leitplanken“ für neue Medikamente – es war von der forschenden Industrie als äußerst innovationsfeindlich bezeichnet worden.
Warten auf die „Nationale Pharmastrategie“
Allerdings arbeitet die Bundesregierung mittlerweile an der Umsetzung der „Nationalen Pharmastrategie“, die die Bedingungen für Forschung, Entwicklung und Produktion von Arzneimitteln im Land verbessern will. Wenn es tatsächlich gelingt, wieder mehr klinische Studien ins Land zu holen, wie es das Medizinforschungsgesetz als Teil der Strategie möglich machen will, können Krebs-Patienten gegebenenfalls von Innovationen profitieren, die in der Entwicklung sind, aber eben noch nicht zugelassen wurden. Weiterführender Link: IQVIA: Global Oncology Trends 2024
Patente: Neues möglich machen
Für die einen sind Patente der Motor für Innovationen, für die anderen behindern sie den Zugang der Menschen zu Innovationen. Wie wichtig ist der Schutz des geistigen Eigentums für die Entwicklung der Menschheit? Dr. Martin Fensch, Vice President Governmental Affairs & Strategic Partnerships Europe and Canada beim forschenden Pharmaunternehmen Daiichi Sankyo, erklärt in einem gekürzten Interview von Pharma-Fakten.de, wie Patente helfen, Neuentwicklungen voranzutreiben.
Warum Patente? Was haben die Menschen davon?
Dr. Martin Fensch: Seit etwa 600 Jahren nutzen Menschen Patente als Übereinkunft, um verschiedenste Interessenslagen auszubalancieren und Innovationen einen Wert und einen Rechtsstatus zu verleihen. Patente beziehungsweise Schutzrechte geistigen Eigentums bieten dabei einen Rahmen, der die Entwicklung von Neuem möglich, attraktiv und sicher macht. Aus meiner Sicht ist das eine große und erstaunliche gesellschaftliche Errungenschaft. Die Geschichte hat gezeigt: Das funktioniert.
Ganz grob: Wie funktionieren sie?
Fensch: Patentrechte oder auch Copyrights sowie Trademarks geben vor allem immateriellen Gütern einen temporären Schutz, zum Beispiel vor Nachahmern und Fälschern, und regeln auch, wann dieser Schutz erlischt. Dann werden diese Güter Allgemeingut. Das ist der Deal, ein fairer, wie ich finde.
Kritiker sagen: Patente und andere Schutzrechte verhindern Zugang zu Innovationen.
Fensch: Der Zusammenhang ist natürlich da. Der Schutz verhindert den ungehinderten Zugang. Dafür ist er gedacht. So ist es ja auch bei materiellen Gütern. Ich kann mir nicht einfach das Auto des Nachbarn nehmen oder mit vollem Einkaufswagen im Supermarkt lächelnd an der Kasse vorbei gehen. Heben wir den Schutz aber heute auf, haben wir morgen nichts mehr zu schützen.
Und das gilt auch für Medikamente?
Fensch: Ja, unbedingt. Die medizinische Forschung ist Ressourcen-intensiv, langwierig, teuer, von vielen Rückschlägen geprägt, der Weg zur Zulassung über große klinische Studien steinig, die Produktion komplex – wer sollte das auf sich nehmen ohne einen verlässlichen rechtlichen Rahmen, der eine sichere Phase der möglichen Rekapitalisierung bietet? Allerdings sollten für extreme Ausnahmesituationen wie Pandemien Mechanismen gefunden werden, wie das Wissen unter Einbeziehung der Patentinhaber schnell und global geteilt werden kann.
In einem neu entwickelten Auto stecken zig neue Patente – niemand kritisiert das. Warum steht Pharma wegen seiner Patente immer wieder in der Kritik?
Fensch: Bei Life Science geht es um das Leben. Da sind die Abwägungen, das Ausbalancieren von Interessen und Rechten, vom Einzelfall bis zur gesellschaftlichen oder internationalen Bedeutung besonders herausfordernd. Pharma muss das sicher noch besser erklären und Bedenken ernst nehmen. pm/tok