Wenn wir wirklich nur 10 Prozent unseres Gehirns nutzen würden, könnte es ja hilfreich sein, wenn wir die anderen 90 Prozent aktivieren und trainieren. Aber rein wissenschaftlich betrachtet, gibt es keine dauerhaft inaktiven Partien im Gehirn. Je nach Situation sind eben spezielle Bereiche aktiver als andere, deren Leistung gerade nicht dringend gebraucht wird. Foto: Dion_not/stock.adobe.com

Leerlauf im Kopf: Verwenden wir wirklich nur zehn Prozent unseres Gehirns?

Wenn einer nicht mehr alle Tassen im Schrank hat, tickt er nicht mehr richtig. Damit meint der Volksmund, dass jemand verrückte Dinge tut und dummes Zeug redet. Vielleicht spiegeln die fehlenden Tassen ungewollt die Tatsache, dass hier einer wirklich nur einen Bruchteil seines Gehirns nutzt. Nur zehn Prozent der möglichen Hirnkapazität sollen angeblich von normalen Menschen verwendet werden. Aber stimmt das eigentlich?

Albert Einstein und Uri Geller als Anhänger der Zehn-Prozent-Regel

„Die Mondlandung, die Entdeckung des Penicillins, Beethovens 9. Sinfonie, alles erstaunliche Leistungen von schlauen Gehirnen. Doch kratzen wir hier bisher vielleicht nur an der Oberfläche und ginge da nicht noch weit mehr? Bis heute hält sich unter populärwissenschaftlichen Autoren und in manchen Hollywoodfilmen die Behauptung hartnäckig, dass der Mensch nur zehn Prozent seines Gehirns nutzt“, sagt Dr. Ursula Marschall, Leitende Medizinerin bei der Barmer. Und: „Anhänger der These berufen sich zum Beispiel auf den in Harvard tätigen Psychologen William James, auf Albert Einstein und die Ethnologin Margaret Mead.“ In jüngster Zeit, so Marschall, „wurde die These der zehnprozentigen Nutzung von Scientology-Gründer Ron Hubbard aber auch von Illusionist Uri Geller weiterverbreitet“.

Einstein und Geller, das sind eigentlich zwei Welten zwischen Rationalität und Hokuspokus. Aber was sagen wissenschaftliche Studien zu dem Thema? „In allen Fällen existieren keine belegbaren Nachweise, die diese These unterstützen würden. Auch bildgebende Verfahren wie die funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT) und die Positronenemissionstomografie (PET) zur Erforschung von Gehirnfunktionen oder Diagnose von Krankheiten wie Alzheimer spielen eine Rolle bei der Geschichte der Zehn-Prozent-Regel. Denn sie zeigen, dass zu jedem Zeitpunkt nur kleine Teile des Gehirns aktiv sind.“

Keine inaktiven Bereiche im Gehirn

Die Leitende Medizinerin der Barmer macht jedoch deutlich: „Letzten Endes ist es aber ein Mythos, dass der Mensch lediglich zehn Prozent seiner Hirnkapazität nutzt. Entstanden ist er durch spekulative Interpretationen von Versuchsergebnissen zur Gehirnkapazität, verzerrte Darstellungen und der Weitererzählung von Fehl-Perspektiven. Tatsächlich gibt es keine inaktiven Bereiche im Gehirn, wie Untersuchungen und biochemische Verfahren gezeigt haben. Nicht einmal einzelne Nervenzellen kommen bei gesunden Menschen dauerhaft zur Ruhe. Erwiesen ist vielmehr, dass bestimmte Gehirnareale je nach Aufgabe und Aktivität zu unterschiedlichen Zeiten arbeiten.“   pm/tok