Wenn einen die vielen aktuellen Krisen aus der Bahn werfen, wenn man selbst keinen Ausweg mehr aus dem wirren Knäuel an Sorgen und Ängsten, schlechten Nachrichten und neuen Zwängen findet, dann kann die Psychotherapie helfen, das Faden-Chaos zu entwirren. Foto: ssstocker/stock.adobe.com

Lebensqualität durch Coaching und Psychotherapie: Strategien zur persönlichen Bewältigung der Polykrise

Seit Jahren spitzt sich die Polykrise, wie der Sozialwissenschaftler Dr. Stefan Kroll das parallele Bestehen von Krisenthemen in der Postmoderne nennt, zu. Die Psyche der deutschen Bevölkerung reagiert darauf sehr unterschiedlich. Sind die „Kinder der Kriegskinder“ (Anne-Ev Ustorf) noch oft mit einer Resilienz und Findigkeit in Notsituationen halbwegs gerüstet, haben die Generationen alpha, Y und Z kaum noch Bewältigungsstrategien.

Keine Zeit, um aus dem Krisenmodus zu kommen

Der Generationenforscher Simon Schnetzer weist auch auf das Dilemma der Jungen hin, die ihre Lebenssituationen aufgrund von Social Media und einem deutlich größeren Recherche-Raum mehr vergleichen können. Zudem waren sie in der Covid-19-Pandemie viel machtloser und ausgelieferter als jede andere Generation. Auswege aus der belastenden Dauerkrise können in diesem Krisenstadium vor allem im persönlichen Umgang, beispielsweise durch Coaching oder passende Psychotherapien, gefunden werden.

 „Die Menschen leiden mehr darunter, dass sich ständig etwas um sie herum verändert. Das eine verschwindet, das andere taucht auf und dazwischen erleben sie immer wieder die Momente der Krise, in welchen die Ungewissheit herrscht“, erklärt Schnetzer. Der Berater Manfred Stockmann wiederum bezeichnet eine Krise bereits als einen Wendepunkt. Nur mit dem Unterschied, dass aufgrund der parallel bestehenden Krisen (Kriege, Rezession, politische Verwerfungen, Klimawandel mit einhergehenden lokalen oder regionalen Wetterkatastrophen) jeder gefühlt nicht aus dem Krisenmodus kommt.

So kann ein Coaching helfen

Das folgende Fallbeispiel entstammt aus der therapeutischen Begleitung durch die Autorin Angelika Völkel: Die 39jährige Sozialarbeiterin Leonie S. begleitet viele zerrüttete Familien. Ihre eigene Lebenslust ist der Zukunftsangst gewichen. Denn ihr Berufsleben und der Klimawandel erzeugen in ihr tiefe Ängste. Eine Freundin riet ihr, an einem Gartenprojekt teilzunehmen. Nun gärtnert sie mit neuen Bekannten immer samstags. Die Gesellschaft und die Gestaltung des Gartens schenken Zufriedenheit. Im Gartenprojekt lernt sie außerdem zufällig eine als Coach tätige Psychologin kennen. Diese erzählt ihr davon, sich durch Beratung und Coaching „ein dickeres Fell“ zuzulegen.

Leonie beginnt ein regelmäßiges Coaching und fühlt sich nach wenigen Wochen bereits etwas gestärkt. Daher bittet sie die Personalabteilung ihres Arbeitgebers um ein Gespräch. Darin teilt sie ihrem Arbeitgeber mit, dass die aktuellen Arbeitsbedingungen mit sehr vielen Überstunden für sie zu belastend sind und sie einen Jobwechsel in Erwägung zieht, obwohl sie ihren Job eigentlich liebt.

Gemeinsam mit der Personalerin erarbeitet sie einen Fahrplan, der Leonie dauerhaft entlasten und ihr mehr Zeit zur Regeneration ermöglichen soll. In den nächsten zwei Monaten kann sie sich jeden Mittwoch freinehmen und damit Überstunden abbauen. Danach wird Leonie vier Stunden weniger arbeiten und dadurch jeden Mittwochnachmittag frei haben. Darüber hinaus legen sie fest, dass Leonie die Berichte über ihre „Klienten“ bei freier Zeiteinteilung im Homeoffice schreiben kann, wenn sie keine Außentermine hat. Das spart ihr Pendelzeit und Kraft ein.

Die so frei gewordene Zeit nutzt Leonie für mehr Sport und häufigere gemeinsame Aktivitäten mit ihrem Freundeskreis. Das stärkt sie weiter und führt zunehmend zur Reduzierung ihres Stress-Levels. Langsam blickt sie wieder optimistisch in ihre persönliche Zukunft und die globalen Krisen verlieren im Alltag etwas an Bedeutung.

Ausweichhandlungen in Krisen

Das Gefühl der Unbewältigbarkeit von Krisen löst zumeist Ausweichhandlungen aus. Extrovertierte äußern sich in Aggression oder durch Fingerzeige auf Dritte. Bei Introvertierten löst dies Depressionen oder Angststörungen aus. Andere ziehen sich in Traumwelten wie in Computerspielen, TV-Serien oder Romanen zurück. Dazu kommt oft klassisches Suchtverhalten von Betäuben der eigenen Wahrnehmung in Alkohol oder Drogen.

Bewältigungsstrategien in Krisensituationen

Betroffene können an Krisen persönlich nur wachsen, wenn sie Zeit haben, damit umzugehen und anerkannt wird, dass das Leben nach der Krise nicht mehr wie vor der Krise aussehen muss. Gewohnheiten brauchen in der Regel drei Monate, um sich neue Verhaltensweisen oder Lebenssituationen anzueignen.

Doch viele Menschen wurden seit knapp fünf Jahren regelrecht in neue Lebensumstände katapultiert. Allein in Deutschland waren im Rahmen der Covid-19-Pandemie mehr als zwei Millionen Menschen existenziell bedroht, ein ganzes Fünftel dieses Landes muss trotz Preissteigerungen nun mit weniger Einkommen als vor der Krise zurechtkommen.

Simon Schnetzer weist auf den großen Faktor der digitalen Dauererreichbarkeit hin. Junge Menschen brauchen Pausen der Beschallung und vom steten Vergleich. Auch sei das Konzept von Freundschaft auf dem Rückzug. Stattdessen sei die Kernfamilie der konsequente Anker; selbst, wenn Junge bereits von daheim ausgezogen sind und sich beispielsweise bei Umzügen statt von Freunden wieder von Eltern unterstützen lassen.

Selbstwirksamkeit erhöhen

Was jeder Einzelne in seiner persönlichen Krise lernen kann, um die nötige Kreativität aufzubringen, die Krise zu überwinden, gilt auch für die ganze Gesellschaft: Der Höhepunkt einer Krise ist geprägt von Einengung und Labilität, beschreibt die Psychoanalytikerin Verena Kast in ihrem Buch „Lebenskrisen werden Lebenschancen“. Die Einengung erhöht den Handlungsdruck, die Labilität fördert Offenheit für neue Lösungen. Wer in dieser Situation nicht in die Depression verfällt, kommt in neue Handlungsmöglichkeiten und dadurch auch in neue Motivationen hinein.

Wichtig sei auch die Erkenntnis, dass Weltpolitik oder Naturkatastrophen zumeist nicht durch den Einzelnen, sondern entweder durch gesamtgesellschaftliche Bewegungen oder politische Rahmenveränderungen angepasst werden können. Was zu Beginn wie persönlicher Kontrollverlust aussieht, passt sich einer geänderten Wahrnehmung und möglichen Handlungsebenen an.

Anpassung von Lebenskonzepten

Der Psychotherapeut Andreas Knuf zeigt auf, wie wichtig es ist, seine eigentlichen Bedürfnisse wahrnehmen zu können. Daraus folgt eine realistischere Wahrnehmung der eigenen Ansprüche. Derzeit allerdings dominiere die Fehlwahrnehmung, das Leben könne wie vor den eigenen oder gesellschaftlichen Krisen fortgeführt werden. Anpassungen an den Klimawandel, die Akzeptanz von neuen technischen Möglichkeiten oder die Veränderung von Reisegewohnheiten seien eher unpopulär. Wiewohl der Soziologe Gerhard Schulze und der „Club of Rome“ (Ricardo Díez-Hochleitner et al.) schon vor Jahrzehnten auf das Ende des Wachstums und des Wohlstands hingewiesen hatten, halten sich gegenläufige Thesen und aufklärerische Botschaften von Immanuel Kant zum angeblichen Fortschritt hartnäckig. Die Denkschule des deutschen Philosophen Moses Mendelssohn, der die Entwicklung der Menschheit nur in einem gewissen Rahmen sah, ging zu einem großen Teil verloren.

Viele Ansprüche gehen aber an dem vorbei, was einem jeden persönlich guttut. In einer individualisierten Gesellschaft gehen viele Menschen davon aus, dass es ihr persönliches Versagen sei, wenn etwas nicht gelinge, selbst wenn äußere Bedingungen in einem konkreten Fall eine entscheidende Rolle gespielt haben.

Diese Denkmuster sind nicht zum Bewältigen von Situationen geeignet

  • Übergeneralisierung: Weil etwas Schlimmes passiert ist, wird auch in Zukunft etwas Schlimmes passieren.
  • Emotionales Denken: Meine Schuldgefühle beweisen, dass ich selbst verantwortlich bin.
  • Überhöhte Ansprüche: Ich muss stark sein und die Situation allein bewältigen

Langfristig hilft eine Kultur der Akzeptanz. Das fördert Klarheit und maßvollen Verzicht sowie bewussteren Umgang mit seinem Umfeld und der eigenen Umwelt. Ebenso helfen das Beschreiben und Teilen der eigenen Ängste. Die eigene Isoliertheit und das Schuldempfinden an der Weltsituation werden dadurch aufgelöst. Wer die Opferrolle hinter sich lässt und aktiv emotionale, professionelle Unterstützung sucht oder finanzielle Probleme offenlegt, erfährt Hilfe. Wichtig ist auch, den Medienkonsum sowie digitale Zeiten zu reduzieren. Vor dem Schlafengehen ist mindestens eine Stunde Offline-Zeit und ohne Fernsehen hilfreich, um das innere Karussell zu stoppen. Psychotherapie kann bereits vor einer Störung helfen, den Umgang mit der vorherrschenden Belastung zu schulen, Lebenslinien aus der Familiengeschichte aufzuarbeiten und Druck in Beruf, Pflegesituationen oder im Ehrenamt auszugleichen.

Hilfe suchen beim Hausarzt oder der Telefonseelsorge

Wenn Angstzustände das persönliche Leben einschränken oder lähmen, ist es wichtig, sich zeitnah externe Hilfe beim Hausarzt zu suchen. Die Telefonseelsorge ist online und unter den Telefonnummern (0800) 111 0 111, (0800) 111 0 222 sowie 116 123 rund um die Uhr anonym und kostenfrei erreichbar. https://www.telefonseelsorge.de/chat/

Akute Hilfe für Kinder, Jugendliche und Eltern gibt es bei der „Nummer gegen Kummer“ unter der Telefonnummer 116 111. Für Menschen bis 24 Jahre hilft http://www.krisenchat.de weiter.

Hier finden Sie Online-Tests zur Ersteinschätzung von möglichen Depressionen oder Angstzuständen.     pm