Die Klimakrise wächst zur größten globalen Herausforderung für das Gesundheitswesen heran. Schon jetzt steigen weltweit die Todesfälle aufgrund von Hitze, während sich neue Erkrankungen ausbreiten. Foto: somchai20162516/stock.adobe.com

Klimakrise und Gesundheit: Es geht in die falsche Richtung

In ihrem achten Bericht betonen die Wissenschaftler des „Lancet Countdown“ für Klimawandel und Gesundheit: Die Welt entwickelt sich weiter in die falsche Richtung; der Ausstoß klimaschädlicher Gase steigt an. Die gesundheitlichen Folgen sind schon länger messbar. Und sie werden auch für die Menschen in Europa immer deutlicher spürbar – bis zu neuen Krankheiten und hitzebedingten Todesfällen.

Bundesärztekammer-Präsident: „Verhängnisvolle Weichenstellung“

Wer glaubt, dass wir mit Klimaschutzmaßnahmen noch Zeit haben, oder meint, dass die Klimakrise ein „Hype“ ist, der hat den „Lancet Countdown on Health and Climate Change Report 2023“ nicht gelesen. Oder schlicht nicht verstanden. Der Bericht liefert seit acht Jahren Belege für den Zusammenhang zwischen den Klimaveränderungen und der Gesundheit der Menschen.

„Die gesundheitlichen Folgen des Klimawandels sind nachweisbar und da“, sagt Dr. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer. „Der Klimawandel ist auch bei uns im medizinischen Alltag angekommen: Er führt zu neuartigen Erkrankungen, zu einer häufigeren Inanspruchnahme des Gesundheitswesens und auch zu schwereren Krankheitsverläufen.“ Angesichts der Finanzprobleme der Bundesregierung befürchtet er, dass Klimawandel und -anpassung auf die lange Bank geschoben werden. „Das wäre für die Zukunft von uns allen eine verhängnisvolle Weichenstellung.“

Klimawandel als größte globale Gesundheitskrise

Dr. Jan Minx ist Mitautor des Reports. Er sagt: „Der vom Menschen verursachte Klimawandel droht die Erfolge der letzten 50 Jahre im Bereich der öffentlichen Gesundheit zu untergraben.“ Oder umgekehrt: „Die Bekämpfung des Klimawandels könnte die größte globale Gesundheitschance des 21. Jahrhunderts darstellen.“ Der Bericht ist das Kondensat von 114 Autoren aus 52 akademischen Einrichtungen. Mit einer globalen Erwärmung von 1,14 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Niveau fordert der Klimawandel schon heute Leben und gefährdet Lebensgrundlagen, sagt Minx – „durch erhöhte Hitzebelastung, Unsicherheit bei der Ernährungssituation, Ausbreitung von Infektionskrankheiten und extreme Wetterverhältnisse.“ Gerecht geht es dabei nicht zu: „Die Länder, die am wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben, tragen die Hauptlast.“

Gegensteuern wäre das Gebot der Stunde. Die Prognosen für ein 2-Grad-Szenario zeigen schon für die Mitte dieses Jahrhunderts schlimme Folgen:

  • Weltweite Todesfälle aufgrund von Hitze: + 370 Prozent
  • Hitzebedingte verlorene Arbeitsstunden: + 50 Prozent
  • Übertragungspotenzial für Dengue-Fieber: + 37 Prozent
  • Menschen, die unter der steigenden Ernährungsunsicherheit leiden: + 525 Millionen

Treibhausgase nehmen nicht ab

Doch beim Gegensteuern hapert es, erklärt Dr. Minx: „Jedes Jahr steigen die Treibhausgasemissionen weiter – und damit die Gesundheitsrisiken aller Menschen. Wir bewegen uns deutlich in die falsche Richtung und erhöhen sogar unsere Abhängigkeit von fossilen Energieträgern.“ Auch weil die politischen Entscheidungsträger immer noch aktiv falsche Anreize setzen, denn der Report zeigt auch: „68 von 87 untersuchten Ländern haben fossile Brennstoffe netto subventioniert.“ Das waren allein in diesem Jahr 305 Milliarden Dollar. Mit dem Geld könnte man jede Menge Klimaschutzmaßnahmen finanzieren.

Deutschland scheint Klimaziele zu verpassen

Auch Deutschland ist nicht auf Zielkurs – darauf machte Simon Müller von Agora aufmerksam, eine Denkfabrik in Sachen Energiewende. Gerade die Sektoren Gebäude und Verkehr laufen den Zielen deutlich hinterher. Um das zu ändern, muss massiv investiert werden; bei Agora schätzt man allein den Bedarf bis 2030 auf 460 Milliarden Euro. Nicht auszuschließen, dass Müller eine Botschaft an die Ampelkoalition senden wollte, als er daran erinnerte, dass sich Deutschland verpflichtet hat, bis zum Jahr 2045 klimaneutral zu sein.

„Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 2021 ist klar, dass die Klimaziele in Interpretation des Artikels 20a der Grundgesetzes Verfassungsrang genießen.“ Dort heißt es: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.“

Den globalen Notstand ausrufen

Weltweit über 200 Gesundheitsfachmedien haben die Vereinten Nationen, politische Entscheidungsträger und Angehörige der Gesundheitsberufe dazu aufgefordert, wegen der klimatischen Entwicklungen und des Artensterbens den globalen Notstand auszurufen. Professorin Dr. Claudia Traidl-Hoffmann ist Umweltmedizinerin an der Uniklinik Augsburg und sieht hitzeassoziierte Krankheitsfälle in den Sommermonaten ständig. „Die Entwicklung ist wirklich besorgniserregend. Wir müssen die Klimakrise als einen medizinischen Notfall anerkennen.“ Sie fordert mehr Prävention – es geht längst nicht mehr nur um Klimaschutz, sondern auch um Klimaanpassung, weil viele Folgen der globalen Erwärmung schon heute irreversibel sind.

Jetzt handeln und nicht mehr aufschieben

Lauter schlechte Nachrichten? Autor Jan Minx macht deutlich: „Kluge Maßnahmen in Klimaschutz und Klimaanpassung, die die menschliche Gesundheit in den Mittelpunkt stellen, können den Weg in eine sichere Zukunft in Wohlstand für alle weisen.“ Nur ignorieren oder aufschieben sind keine Optionen mehr: Das zeigt nicht nur der Lancet-Countdown-Bericht. Sondern auch ein Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung, der Sachverständigenrat für Umweltfragen oder das Robert Koch-Institut. Die Evidenz zu Handeln ist überwältigend. pharma-fakten.de

Weiterführende Links:
Lancet Countdown on Health and Climate Change Report 2023