Luftverschmutzung ist laut der Europäischen Umweltagentur an 1 % aller Krebsfälle in Europa beteiligt und verursacht 9 % der Todesfälle bei Lungenkrebs. Neuere Studien zeigen auch Zusammenhänge zwischen der langfristigen Exposition gegenüber Feinstaub und Leukämie bei Erwachsenen und Kindern. Foto: yanadjan/stock.adobe.com
Feinstaub, Stickstoffdioxid & Co: Was Luftschadstoffe mit Herz, Lunge und Hirn machen
Der Lockdown hat uns gezeigt, wie es sein könnte, in Städten mit sauberer Luft zu leben: Der Straßenverkehr in den Städten ging um 30 % bis 50 % zurück, die gemessenen Stickstoffdioxid-Konzentrationen sanken in dieser Zeit um 15 % bis 40 %. Mancherorts wurden sogar die niedrigsten Werte seit Messbeginn festgestellt. Von allen Luftschadstoffen in der Atemluft stellen Stickstoffdioxid und Feinstaub das größte Risiko für die menschliche Gesundheit dar.
Feinstaub begünstigt Atherosklerose und Demenz
Feinstaub etwa kann tief in den Körper eindringen und die Organe schädigen. In der Lunge können die Partikel Lungenkrebs auslösen. Studien zeigen: Steigt die Feinstaubbelastung, so treten in den darauffolgenden 24 Stunden vermehrt Schlaganfälle und Herzinfarkte auf. Insgesamt begünstigen Luftschadstoffe die Entstehung und Verschlimmerung von Atherosklerose. Durch Atherosklerose kommt es zu Verschlüssen von Blutgefäßen, die dann häufig zu Schlaganfällen und Herzinfarkten führen.
Es konnte auch belegt werden, dass neurodegenerative Krankheiten wie Alzheimer in Zusammenhang mit Luftschadstoffen stehen. So hat sich herausgestellt, dass mit der Menge an Feinstaub auch die Demenzfälle in einer Region zunehmen. Studien zeigen darüber hinaus, wie Partikel von der Nase durch die Lunge ins Gehirn gelangen und dort Schäden verursachen können.
Positiv gesehen bergen diese Erkenntnisse aber auch Ansätze für Maßnahmen zur Prävention von Alzheimer. Neben den bekannten Schutzmechanismen wie Bewegung und geistiger Forderung kann auch die Reduktion von Luftschadstoffen Krankheitsfälle verhindern.
„Luftverschmutzung ist das größte umweltbedingte Risiko für die Gesundheit der Menschen in Deutschland und in Europa und ein Risikofaktor für alle großen Volkskrankheiten – Herz-Kreislauferkrankungen, Atemwegserkrankungen und Krebs. Studien zeigen außerdem, dass das Risiko für Kinder besonders ausgeprägt ist, da sie noch in der Entwicklung sind. Die Gesundheit wird schon im frühen Kindesalter, selbst schon im Mutterleib, durch Luftverschmutzung beeinträchtigt, mit lebenslangen Folgen.“
Dr. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer
Deutsche Grenzwerte höher als WHO-Empfehlungen
In Deutschland werden die Grenzwerte für Luftschadstoffe zwar vielerorts eingehalten, sie liegen aber deutlich über den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation. Die EU-Umweltagentur EEA kam zu dem Ergebnis, dass 2021 97 Prozent der Stadtbewohner in Europa noch immer Feinstaubbelastungen ausgesetzt sind, die über den WHO-Grenzwerten liegen.
Eine Recherche des Guardian aus September 2023 ergab sogar, dass 98 % der Europäer gesundheitsschädliche Luft atmen. Dabei arbeitete die Redaktion mit der Universität Utrecht zusammen und konzentrierte sich auf Feinstaub (PM2.5), der durch die Lungen in die Blutbahn gelangen kann. Laut WHO-Richtlinien darf die jährliche Belastung µg/m3 nicht übersteigen. Die aktuelle Analyse zeigte aber, dass nur 2 % der europäischen Bevölkerung in Regionen leben, die dieses Limit einhalten.
„Vorzeitige Todesfälle“ bei Kindern durch Luftschadstoffe
Immer wieder werden auch „vorzeitige Todesfälle” durch Luftschadstoffe genannt: So nennt die Europäische Umweltagentur mindestens 1200 vorzeitige Todesfälle von Kindern in Europa pro Jahr. An der Berechnung vorzeitiger Todesfälle durch Luftschadstoffe gibt es zwar auch Kritik. So sei der kausale Zusammenhang nicht gut nachweisbar. Kritiker stellen außerdem die Maßeinheit infrage, weil ein vorzeitiger Todesfall nur aussage, dass jemand vor dem statistisch zu erwartenden Lebensalter stirbt, aber nicht wieviel früher. Besser sei die Maßeinheit „verlorene Lebensjahre“.
Diese Kritik ändert jedoch nichts daran, dass der Bericht auf Studien beruht, die den generellen Zusammenhang zwischen Krebs und den entsprechenden Risiken durch Luftschadstoffe aufzeigen. In Fachkreisen spricht man schon länger nicht mehr von „vorzeitigen Todesfällen“, sondern nutzt die Formulierung, dass Todesfälle der Luftschadstoffexposition zuschreibbar sind.
„Man darf Kinder nicht als kleine Erwachsene betrachten, wenn es um Luftverschmutzung geht. Sie nehmen mehr Schadstoffe auf, das fängt schon im Mutterleib an und das setzt sich im Kindergarten usw. fort. Wir lassen unsere Kinder bei der Luftverschmutzung im Stich.“
Gerardo Sanchez Martinez, Experte für Umweltmedizin, Europäische Umweltagentur
Luftschadstoffe in ungeborenen Kindern gefunden
Luftschadstoffe wurden in der Lunge, der Leber und im Gehirn ungeborener Kinder gefunden, also lange bevor sie ihre ersten eigenen Atemzüge tun konnten. In der Vergangenheit hatten Studien bereits eine Korrelation zwischen Luftverschmutzung, Fehlgeburten, Frühgeburten und niedrigerem Geburtsgewicht gezeigt.
So zeigte eine Studie, dass erhöhte Werte von Stickstoffdioxid das Risiko für eine Fehlgeburt um 16 Prozent steigerten.
Die langfristige Belastung mit Luftschadstoffen birgt Risiken für schwere Verläufe bei Infektionskrankheiten: Lungen- und Herzprobleme im Zusammenhang mit COVID-19 treten häufiger auf, wenn Personen auch größerer Luftverschmutzung ausgesetzt sind.
Gericht bestätigt tödlichen Einfluss von Luftverschmutzung
Im Februar 2013 starb die neunjährige Asthma-Patientin Ella Kissi-Debrah an akuter Atemnot. Im Rahmen eines Gerichtsprozesses wurde festgestellt, dass die Luftverschmutzung in ihrer Heimatstadt London zu ihrem Tod „wesentlich beigetragen habe“. Laut Gerichtsmedizin habe es sich um Verschmutzungen durch Feinstaub und Stickstoffdioxid gehandelt, die über die WHO-Grenzwerte hinausgingen. Die entscheidende Quelle waren hier Verkehrsemissionen.
Es sei das Versagen bei der Reduktion von Luftschadstoffen, die möglicherweise mit zu ihrem Tod geführt habe – und die mangelnde Aufklärung über das Gefahrenpotenzial.
„Über sieben Jahre nach dem ersten Dieselgate-Skandal ist es höchste Zeit, dass die Behörden dieses schmutzige Erbe endlich aufarbeiten. Verbraucher*innen und die Menschen, die unter den Folgen der Luftverschmutzung leiden, müssen wieder darauf vertrauen können, dass der Staat ihre Interessen schützt und die Autohersteller nicht länger ungeschoren davonkommen lässt.“
Katie Niedl, Juristin, Client Earth
Wenn man beim Atmen an Krebs denken muss
Luftverschmutzung ist laut der Europäischen Umweltagentur an etwa 1 % aller Krebsfälle in Europa beteiligt und verursacht etwa 9 % der Todesfälle bei Lungenkrebs. Neuere Studien zeigen auch Zusammenhänge zwischen der langfristigen Exposition gegenüber Feinstaub und Leukämie bei Erwachsenen und Kindern.
Hinweise gibt es jetzt auch auf den Wirkmechanismus: Im Rahmen eines Tierversuchs mit Mäusen und menschlichen Zellen konnte gezeigt werden, dass Feinstaubpartikel (PM2.5, also mit einer Korngröße kleiner als 2,5 Mikrometer, wie Ruß) nicht, wie vermutet, neue Mutationen verursachen. Vielmehr lösen die Partikel Entzündungsprozesse aus, die die Tumore durch bereits bestehende Mutationen (hier EGFR KRAS – die häufigste Treibermutation beim nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom) begünstigen. Auf diese Weise könnten schon drei Jahre PM2.5-Belastung das Risiko für die Entwicklung von EGFR-bedingtem Lungenkrebs erhöhen.
Luftverschmutzung kann laut einer umfassenden globalen Untersuchung nahezu jedes Organ und jede Zelle im menschlichen Körper schädigen. Die Forschung zeigt Schäden von Kopf bis Fuß, von Herz- und Lungenerkrankungen über Diabetes und Demenz bis hin zu Leberproblemen und Blasenkrebs sowie brüchigen Knochen und geschädigter Haut.
Steckbrief Feinstaub
Feinstaub gehört zum Schwebstaub. Als Schwebstaub oder englisch Particulate Matter (PM) bezeichnet man Teilchen, die nicht sofort absinken, sondern eine gewisse Zeit in der Atmosphäre verbleiben. Feinstaub entsteht insbesondere beim Verbrennen von Öl, Gas, Kohle und Holz. Feinstaub kann jedoch auch natürlichen Ursprungs sein. Dazu zählen etwa Emissionen aus Waldbränden oder Bodenerosion. Abhängig von der sogenannten Korngröße dieser Staubpartikel wird der Schwebstaub unterteilt: Unter PM10 werden alle Staubpartikel gefasst, deren Durchmesser kleiner als 10 Mikrometer (das sind 10 Millionstel Meter). PM2,5 ist entsprechend kleiner und hat deshalb verheerende Auswirkungen auf die Atemwege sowie das Herz-Kreislauf-System.
Eine weitere Klasse sind ultrafeine Partikel (UFP) mit einem Durchmesser zwischen 1 und 100 Nanometer (nm) – auch Ultrafeinstaub genannt. Sie können bis ins Blut gelangen. Durch ihre besonders große reaktive Oberfläche und die damit einhergehende Reaktivität können sie mehr chemische Verbindungen transportieren.
Ultrafeinen Partikeln wird eine unabhängige und möglicherweise stärkere Gesundheitswirkung zugeschrieben, wobei hier noch Forschungsbedarf herrscht. In einer aktuellen Studie hat ein Forschungsteam vom Institut für Epidemiologie bei Helmholtz Munich mit Daten aus einer Messkampagne die Wirkung von Partikeln verschiedener Größe auf die Sterblichkeit untersucht. Dabei zeigte sich hinsichtlich der ultrafeinen Partikel ein erhöhtes Risiko für Todesfälle bei Atemwegserkrankungen im Vergleich zu größeren Partikeln.
Zwischen 1995 und 2020 sind die Feinstaub-Emissionen in Deutschland um 47 % gesunken. In städtischen Ballungszentren ist vor allem der Straßenverkehr (inklusive Reifenabrieb) für Feinstaub verantwortlich.
Eine reine Antriebswende ist noch keine Mobilitätswende: Feinstaub entsteht bei Verbrennermotoren, aber Reifen- und Bremsabrieb treten auch bei E-Autos auf. PM10 und PM2.5 entstehen auch durch die Aufwirbelung von Straßenstaub, Verschleiß von Reifen, Bremsen und Straßenmaterial. Das gilt jedenfalls für schwergewichtige E-Autos, die sogar 3 % bis 8 % mehr PM2.5 emittieren als vergleichbare Verbrenner. Leichte E-Autos dagegen emittieren 11 % bis 13 % weniger PM2.5 als vergleichbare Verbrenner.
Nicht nur die Partikel selbst, sondern auch die an der Oberfläche haftenden Spuren von Schwermetallen sind gesundheitsschädlich.
Steckbrief Stickstoffoxide (NOx)
Der Begriff Stickstoffoxide (NOx) fasst die beiden Gase Stickstoffmonoxid (NO) und Stickstoffdioxid (NO2) zusammen. Stickstoffmonoxid ist ein farbloses, reaktives Gas, das insbesondere bei Verbrennungsprozessen gebildet wird. Stickstoffdioxid (NO2) ist ein rotbraunes, stechend riechendes Gas, das durch Reaktion von NO mit Sauerstoff (O2) oder Ozon (O3) gebildet wird.
Stickstoffdioxid ist ein Reizgas und kann Entzündungen verursachen. Stickstoffoxide reagieren auch stark mit anderen Schadstoffen. Durch die Reaktion mit Ammoniak kann sich beispielsweise Ammoniumnitrat bilden, das als sogenanntes Sekundäraerosol erheblich zur Feinstaubbelastung beiträgt. Stickstoffoxide begünstigen außerdem die Entstehung von bodennahem Ozon und Smog.
Stickstoffdioxid ist ein wichtiger Indikator für die allgemeine Luftqualität, vor allem für Verkehrsemissionen. Wo die Stickstoffdioxid- Konzentrationen hoch sind, sind auch weitere Luftschadstoffe vorhanden. pm
Info
Dieser Artikel wurde vom Medienservice der Stiftung Gesunde Erde – Gesunde Menschen (GEGM) bereitgestellt. GEGM ist eine gemeinnützige Organisation und wurde im März 2020 von Dr. Eckart von Hirschhausen gegründet. Als gemeinnützige Organisation ist GEGM auf Spenden und institutionelle Förderung angewiesen. Der Medienservice wird durch eine Förderung der Stiftung Mercator ermöglicht.