Mehr Naturmedizin wagen: „In Zeiten eines unter Druck stehenden Gesundheitssystems bieten Verfahren wie Homöopathie, Phytotherapie oder auch achtsamkeitsbasierte Interventionen einen bezahlbaren, präventiven und therapeutischen Mehrwert – insbesondere bei chronischen Erkrankungen und sogenannten Volkskrankheiten“, sagt der Pforzheimer Arzt Peter Emmrich, Präsident des Zentralverbands der Ärztinnen und Ärzte für Naturheilverfahren e. V. (ZAEN). Foto: stockist7 – KI-integriert/stock.adobe.com

Integrative Medizin: Wirtschaftlichkeit von Naturmedizin bietet bezahlbaren Mehrwert für alle

„Integrative Medizin erweist sich als kosteneffizient, wie aktuelle Studien belegen.“ So sieht es die Initiative „Gesunde Vielfalt“, ein unabhängiger Zusammenschluss von Experten unterschiedlicher Therapieformen. Auch Peter Emmrich, Pforzheimer Facharzt für Allgemeinmedizin, Biologe und Präsident des Zentralverbands der Ärztinnen und Ärzte für Naturheilverfahren e. V. (ZAEN), bestätigt: „Die aktuellen Studien belegen eindrucksvoll, was viele unserer ärztlichen Mitglieder aus der täglichen Praxis bestätigen: Naturmedizin und integrative Therapiekonzepte sind nicht nur wirksam und sicher, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll.“

Emmrich: Kosteneffizienz durch „bezahlbaren Mehrwert“

Die Kosteneffizienz, so „Gesunde Vielfalt“ in einer Pressemitteilung, gelte kurz, aber auch mittel- und langfristig. Denn: Therapien der Komplementärmedizin würden nicht nur per se wirken. „Sie geben Patientinnen und Patienten auch wertvolle Impulse, ihre Gesundheitskompetenz zu erweitern und auf diese Weise mehr Verantwortung für ihre Gesundheit zu übernehmen. Gerade Patienten mit chronischen Erkrankungen und Volksleiden profitieren davon.“ Diese Patienten würden nachhaltiger gesund bleiben und dauerhaft weniger Medikamente benötigen. Ebenfalls gebe es Hinweise auf eine langfristige Kostenersparnis durch den Einsatz komplementärer Verfahren, indem Antibiotikagaben reduziert und gefürchtete Antibiotika-Resistenzen vermieden werden.

„In Zeiten eines unter Druck stehenden Gesundheitssystems bieten Verfahren wie Homöopathie, Phytotherapie oder auch achtsamkeitsbasierte Interventionen einen bezahlbaren, präventiven und therapeutischen Mehrwert – insbesondere bei chronischen Erkrankungen und sogenannten Volkskrankheiten. Der ZAEN e.V. begrüßt die wachsende Zahl an wissenschaftlichen Nachweisen zur Kosteneffizienz naturheilkundlicher Medizin“, erklärt Emmrich auf Nachfrage von Vital-Region.de. Und, so der engagierte Naturheilkunde-Spezialist und Buchautor weiter: „Besonders wichtig ist dabei der langfristige Blick: Wenn Patientinnen und Patienten durch naturmedizinische Verfahren gesünder leben, seltener erkranken und eigenverantwortlicher mit ihrer Gesundheit umgehen, entlastet das unser Gesundheitssystem nachhaltig.“

Patienten in Deutschland schätzen komplementärmedizinische Verfahren

Integrative Medizin ist in Deutschland nicht nur beliebt, sie ist für das belastete Gesundheitssystem auch bezahlbar. „In Deutschland nutzen knapp 70 Prozent der Bevölkerung komplementärmedizinische Verfahren“, sagt Prof. Holger Cramer, der diese am Universitätsklinikum Tübingen erforscht, und betont: „Erste Studien, auch aus Deutschland, weisen darauf hin, dass viele dieser Methoden wirksam, sicher und kosteneffizient sind.“

Was genau das bedeutet, erläutert der Experte: „Eine Intervention gilt als kosteneffizient, wenn die über die Standardbehandlung hinausgehenden Wirkungen einen zuvor festgelegten Kostenrahmen nicht überschreiten.“ Wie sich gezeigt habe, verursachten beispielsweise integrativmedizinische Stationen in Krankenhäusern keine höheren Kosten, trotz des deutlich höheren Aufwandes für das Personal.

Integrative Medizin bei Volkskrankheiten

Tatsächlich sind es gerade auch große Volkskrankheiten, deren naturmedizinische Behandlung nicht nur effektiv ist, sondern auch kosteneffizient. Prof. Rogier Hoenders, Leiter des Zentrums für Integrative Psychiatrie in Groningen (NL), zählt auf: „Zu den komplementärmedizinischen Verfahren, die sich im Vergleich zu herkömmlichen therapeutischen Verfahren als kosteneffektiv erwiesen haben, gehören Akupunktur bei Migräne, manuelle Therapie bei Nackenschmerzen, Hydrotherapie bei Parkinson-Krankheit, eigenverantwortlich angewandtes Stressmanagement für Krebspatienten bei Chemotherapie, prä- und postoperative orale Nahrungsergänzung bei Operationen im Magen-Darm-Bereich, Biofeedback für Patienten mit funktionalen Störungen wie etwa Reizdarmsyndrom (IBS – Irritable bowel syndrom) sowie Visualisierung, Entspannungstherapie und eine kaliumreiche Diät für Herzpatienten.“

Erfolge und Kostenersparnis bei internistischen Erkrankungen und Depressionen

Achtsamkeitsbasierte Verfahren zur Stressreduktion kommen ergänzend hinzu – sowohl, was die Wirksamkeit, als auch die Kosteneffizienz betrifft. „Yoga etwa hat sich in klinischen Studien als sehr wirksam in der Behandlung chronischer Schmerzen des Bewegungsapparates erwiesen, insbesondere bei Rückenschmerzen, wo Yoga, basierend auf unseren Forschungen, auch Einzug in die nationale Versorgungsleitlinie gefunden hat“, berichtet Cramer. „Wir konnten in unseren Studien auch Wirkungen u.a. bei internistischen Erkrankungen wie Reizdarm, chronisch entzündlichen Darmerkrankungen und Bluthochdruck zeigen.“ Einige weitere Studien wiesen zudem darauf hin, dass die gesundheitlichen Vorteile von Yoga, insbesondere bei Rückenschmerzen, aus gesellschaftlicher Sicht kosteneffizient sind. „Die Studien unterstützen daher den therapeutischen Einsatz von Yoga“, erläutert Alina Schleinzer, wissenschaftliche Mitarbeiterin von Cramer.

Diese Einschätzung bestätigt auch eine 2024 veröffentlichte Studie der Forschungsgruppe um Hoenders: Junge Frauen im Alter von 18 bis 34 Jahren, die an einer depressiven Störung erkrankt waren, erhielten ergänzend zur herkömmlichen Behandlung für 15 Monate Anleitungen in „Mindful Yoga“. Dazu gehörten Körper- und Atemübungen, Meditation sowie das Praktizieren von Achtsamkeit. „Die Gesamtkosten für die herkömmliche Behandlung beliefen sich auf 13.818 €“, so Hoenders, „die Ausgaben für die Kombination mit Mindful Yoga auf 11.966 €. Dieser Ansatz scheint sich daher als kosteneffizient zu erweisen.”

Die finanziellen Unterschiede ließen sich, seinen Angaben zufolge, vor allem durch gesellschaftliche Kosten erklären, die durch Arbeitsunfähigkeit entstehen. Diese waren „substanziell niedriger” in der Gruppe, die zusätzlich Mindful Yoga praktizierte, als in der Kontrollgruppe, die nur die herkömmliche Behandlung erhalten hatte.

Naturmedizin gegen Antibiotika-Resistenzen

Das Miteinander von konventioneller und Komplementärmedizin hat aber womöglich auch eine Antwort auf eine drängende, weltweite Herausforderung: die zunehmenden Antibiotika-Resistenzen. Wie eine in der medizinischen Fachzeitschrift „The Lancet“ Ende September 2024 veröffentlichte Analyse in einem Referenzszenario prognostiziert, werden bis zum Jahr 2050 weltweit mehr als 39 Millionen Menschen durch Infektionen mit Antibiotika-resistenten Bakterien sterben. Bei weiteren 169 Millionen Todesfällen können solche Erreger zumindest eine Rolle spielen. Aktuell sterben in der Europäischen Union 35.000 Menschen jährlich an Infektionen durch resistente Bakterien.

In der Integrativen Medizin kommen auch Arzneimittel aus der Naturmedizin zum Einsatz, die nachweislich nicht nur nebenwirkungsärmer als chemisch-synthetische Präparate sind. Sie können auch den Einsatz von Antibiotika reduzieren, wie eine Studie zeigt. „Rund 60 Prozent aller Antibiotika-Verordnungen werden bei Infektionen der oberen Atemwege verschrieben“, erläutert Prof. Thomas Ostermann, Professor für Forschungsmethodik und Statistik in der Psychologie, Institut für Psychologie und Psychotherapie an der Universität Witten/Herdecke: „Weil die meisten dieser Entzündungen durch Viren und nicht Bakterien verursacht werden, können diese Medikamente ihre Wirksamkeit nicht entfalten und fördern hingegen Resistenzen gegen den Wirkstoff.“

Die unterstützende Anwendung von Homöopathika könne nicht nur dazu beitragen, den Einsatz von Antibiotika potenziell zu verringern. Sie sei auch kosteneffektiv bei wiederkehrenden Mandelentzündungen. „Ebenso können dadurch kostenintensive Mandelentfernungen (Tonsillektomien) verhindert werden“, betont Prof. Thomas Ostermann. Die entsprechende Kosteneffektivitätsstudie hat sein Team gemeinsam mit dem „Department of Health Policy“ der London School of Economics and Political Science durchgeführt.

Therapeutische Lebensstiländerungen senken Kosten

Ein weiterer Aspekt, der die Bezahlbarkeit Integrativer Maßnahmen unterstreicht: Integrative Medizin fördert die Gesundheitskompetenz und einen nachhaltigeren Lebensstil des Einzelnen. Das kann zwei positive Auswirkungen haben: Zum einen auf derzeit noch zunehmende Zahlen bei chronischen Erkrankungen in alternden Gesellschaften: „Tatsächlich wird der Beitrag des Lebensstils zu modernen chronischen Krankheiten auf 80 Prozent und sogar 95 Prozent geschätzt“, so Hoenders.

Zum anderen aber auch auf damit verbundene, derzeit stetig steigende Kosten im Gesundheitswesen. „Das Ansteigen der Kosten scheint in großem Maße verbunden zu sein mit chronischen Erkrankungen und einem bestimmten Verhalten oder Lebensstil hinsichtlich Ernährung, Bewegung und Rauchen“, sagt Hoenders. Er bezieht sich dabei auf seine Studie und auf Zahlen aus den USA, Brasilien und den Niederlanden. Auch in Deutschland nehmen die Ausgaben zu, zuletzt um 12 Prozent. Hoenders kommt zu dem Ergebnis: „Eine mögliche Strategie Kosten zu senken, besteht darin, Patienten zu ermutigen, eine aktivere Rolle bei ihrer Gesundung zu spielen. Dazu beitragen könnten therapeutische Lebensstiländerungen wie Bewegung, Ernährung und Entspannung. Es mehren sich die Nachweise darauf, dass Veränderungen im Lebensstil effektiv die Gesundheit verbessern.“

Cramer, der ebenfalls an dieser Studie beteiligt war, argumentiert mit einem weiteren Beispiel aus den USA: „Lebensstil-assoziierte Erkrankungen verursachen neben großem persönlichem Leid auch enorme gesellschaftliche Kosten. Daher sind finanzielle Mittel, die in die Veränderung schädlicher Verhaltensweisen investiert werden, häufig sehr gut angelegt. So sparten die Vereinigten Staaten für jeden in ihre Anti-Raucher-Kampagne investierten Dollar mehr als 6,80 Dollar an Gesundheitsfolgekosten ein.“ Bekommen Menschen durch eine Behandlung im Miteinander aus konventioneller und komplementärer Medizin Wege aufgezeigt, wie sie gesünder leben, wirkt sich das also mittel- und langfristig auf das Gesundheitssystem aus: Sie werden seltener krank, weniger Kosten entstehen.

Forderung nach Forschungsförderung

„Naturheilverfahren gelten häufig noch als ,Zusatz‘ zur medizinischen Versorgung – dabei zeigen aktuelle Studien aus Deutschland und Europa, dass naturheilkundliche Verfahren nicht nur medizinisch, sondern auch ökonomisch wirken. Sie können Medikamente einsparen, Krankenstände senken, Krankenhausaufenthalte verkürzen – und das bei hoher Patientenzufriedenheit. Gerade in einem Gesundheitssystem, das unter Personalmangel, steigenden Ausgaben und chronischen Erkrankungen leidet, ist es schwer nachvollziehbar, warum Naturheilverfahren trotz guter Evidenz so selten ihren Weg in die reguläre Versorgung finden. Stattdessen werden etablierte Methoden in Studien erforscht, im Alltag aber kaum angewendet oder erstattet“, sagt ZAEN-Geschäftsführerin Constance Nolting. Ihre Forderung: „Ärzte und Ärtzinnen für Naturheilverfahren setzen sich für eine rationale, verantwortungsbewusste Nutzung von Naturheilverfahren ein – nicht als Gegensatz zur Schulmedizin, sondern als sinnvolle Ergänzung. Es braucht eine Versorgung, die langfristig denkt, Patientinnen und Patienteneinbezieht und die vorhandene wissenschaftliche Datenlage auch tatsächlich in der Praxis nutzt.“

Auch angesichts evidenzbasierter Erkenntnisse und Forschungserfolge sind sich die Experten einig, dass mehr Studien zur Kosteneffizienz innerhalb der Integrativen Medizin notwendig sind: „Steigende Kosten im Gesundheitswesen machen ökonomische Evaluationen für weitere Entscheidungen erforderlich. Kosteneffektivitätsstudien sind entscheidend, um die sozioökonomische Relevanz der Integrativen Medizin zu bewerten. Dafür werden dringend mehr qualitativ hochwertige Studien in diesem Bereich benötigt“, fordert Ostermann. Hoenders ergänzt: „Erkenntnisse aus der ökonomischen Modellierungsforschung weisen darauf hin, dass die Verbindung von Traditioneller und Komplementärer Medizin (T&CM) mit konventioneller Medizin auf lange Sicht Kosteneffizienz verbessern kann, auch wenn dies für die meisten Methoden der Traditionellen und Komplementären Medizin noch evaluiert werden muss.“

Dem kann Cramer nur zustimmen: „Es wäre wichtig, gezielt Forschung zu unterstützen, die häufig genutzte Methoden nach den Kriterien der evidenzbasierten Medizin überprüft und die Spreu vom Weizen trennt. Dies deckt sich auch mit der Forderung der Weltgesundheitsorganisation WHO, die ihre Mitgliedsstaaten aufgefordert hat, hinreichend finanzielle und ideelle Unterstützung zur Verfügung zu stellen, um zu untersuchen, wie komplementärmedizinische Verfahren überprüft und bei nachgewiesener Wirksamkeit in das Gesundheitssystem integriert werden können.“

Info

Die Initiative „Gesunde Vielfalt“ ist ein unabhängiger Zusammenschluss von Experten unterschiedlicher Therapieformen. Ihr Ziel ist, das Zusammenwirken von konventionellen und komplementären Therapien – die Integrative Medizin – stärker in den Vordergrund der Diskussion zu rücken, um notwendige Verbesserungen des Gesundheitssystems anzustoßen.   pm/tok