Von allen Luftschadstoffen in der Atemluft stellen Stickstoffdioxid und Feinstaub das größte Risiko für die menschliche Gesundheit dar. Feinstaub etwa kann tief in den Körper eindringen und die Organe schädigen – mit tödlichen Folgen. Foto: nmann77/stock.adobe.com

Zehntausende vorzeitige Todesfälle jedes Jahr in Deutschland durch Feinstaub und Stickstoffdioxid

Die Zahlen sind beängstigend. 32.300 vorzeitige Todesfälle durch Feinstaub (PM2,5) und 9500 vorzeitige Todesfälle durch das Dieselabgasgift Stickstoffdioxid (NO2) hätten 2021 in Deutschland vermieden werden können, wären die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) eingehalten worden. Noch beängstigender: Die Europäische Umweltagentur (EEA) bestätigt den Gesundheitsnotstand durch Luftverschmutzung, aber die Mitgliedsländer der EU scheinen mit Fristverlängerungen und Flexibilisierungsregelungen neue Grenzwerte für Luftschadstoffe aushebeln zu wollen.

Zu hohe Grenzwerte und Verzögerungstaktik

Die Vorschläge der EU-Mitgliedstaaten sehen Grenzwerte vor, die für Feinstaub PM2,5 und Stickstoffdioxid jeweils doppelt so hoch liegen wie die Empfehlungen der WHO. Darüber hinaus wollen die Mitgliedstaaten Fristverlängerungen etablieren, wonach die neuen Grenzwerte de facto erst ab 2040 gelten würden. Bis dahin könnten in Deutschland weiterhin jährlich rund 42.000 Menschen wegen Feinstaub und Stickstoffdioxid vorzeitig sterben.

Die aktuellen Zahlen der EEA belegen den Gesundheitsnotstand durch Luftverschmutzung in Europa. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) fordert anlässlich der alarmierenden Zahlen und der startenden Trilogverhandlungen zur EU-Luftqualitätsrichtlinie verbindliche Grenzwerte, die allen Menschen in Europa zeitnah saubere Atemluft garantiert.  

EU-Kommission und Parlament für WHO-Vorgaben, Rat ist dagegen

„Statt den Gesundheitsnotstand zu erkennen und umgehend Maßnahmen zu ergreifen, wollen die EU-Mitgliedsstaaten inklusive unserer Bundesregierung an diesem Zustand noch 26 Jahre lang festhalten. Die Enthaltung der Bundesregierung ist eine stille Zustimmung dieser Verschleppungstaktik“, beklagt Jürgen Resch, DUH-Bundesgeschäftsführer. Seine Forderung: „Umweltministerin Lemke muss dieser gesundheitsverachtenden Haltung ein Ende setzten und sich in den Trilogverhandlungen um deutliche Nachbesserungen verdient machen. Wir fordern sie und das Europäische Parlament auf, den vorliegenden Entwurf zu korrigieren und sich für verbindliche Grenzwerte ohne Schlupflöcher einzusetzen.“

In der EU-Luftqualitätsrichtlinie sollen neue Luftqualitätsgrenzwerte, Verpflichtungen zur deren Einhaltung sowie Regeln für die Luftqualitätsmessungen festgelegt werden. Die EU-Kommission hatte bereits im Herbst 2022 vorgeschlagen, die Grenzwerte für Luftschadstoffe ab 2030 an die Empfehlungen der WHO anzupassen. Auch das Europäische Parlament hatte sich für strengere Grenzwerte ab 2030 und eine weitere Verschärfung entsprechend der WHO-Empfehlungen ab 2035 ausgesprochen. Nun hat aber der Rat der Europäischen Union weitreichende Ausnahmeregelungen für die verbindliche Einhaltung der Grenzwerte sowie massive Aufweichungen der Kriterien zur Aufstellung von Luftreinhalteplänen und Messungen der Luftqualität vorgelegt.

Feinstaub begünstigt Atherosklerose und Demenz

Von allen Luftschadstoffen in der Atemluft stellen Stickstoffdioxid und Feinstaub das größte Risiko für die menschliche Gesundheit dar. Feinstaub etwa kann tief in den Körper eindringen und die Organe schädigen. In der Lunge können die Partikel Lungenkrebs auslösen. Studien zeigen: Steigt die Feinstaubbelastung, so treten in den darauffolgenden 24 Stunden vermehrt Schlaganfälle und Herzinfarkte auf. Insgesamt begünstigen Luftschadstoffe die Entstehung und Verschlimmerung von Atherosklerose. Durch Atherosklerose kommt es zu Verschlüssen von Blutgefäßen, die dann häufig zu Schlaganfällen und Herzinfarkten führen.

Die langfristige Belastung mit Luftschadstoffen birgt Risiken für schwere Verläufe bei Infektionskrankheiten: Lungen- und Herzprobleme im Zusammenhang mit COVID-19 treten häufiger auf, wenn Personen auch größerer Luftverschmutzung ausgesetzt sind. Luftverschmutzung ist laut der Europäischen Umweltagentur an etwa 1 % aller Krebsfälle in Europa beteiligt und verursacht etwa 9 % der Todesfälle bei Lungenkrebs.

Es konnte auch belegt werden, dass neurodegenerative Krankheiten wie Alzheimer in Zusammenhang mit Luftschadstoffen stehen. So hat sich herausgestellt, dass mit der Menge an Feinstaub auch die Demenzfälle in einer Region zunehmen. Studien zeigen darüber hinaus, wie Partikel von der Nase durch die Lunge ins Gehirn gelangen und dort Schäden verursachen können.

Luftschadstoffe in ungeborenen Kindern gefunden

Luftschadstoffe wurden in der Lunge, der Leber und im Gehirn ungeborener Kinder gefunden, also lange bevor sie ihre ersten eigenen Atemzüge tun konnten. In der Vergangenheit hatten Studien bereits eine Korrelation zwischen Luftverschmutzung, Fehlgeburten, Frühgeburten und niedrigerem Geburtsgewicht gezeigt. So zeigte eine Studie, dass erhöhte Werte von Stickstoffdioxid das Risiko für eine Fehlgeburt um 16 % steigerten.

Tödliche Erkrankungen an Lunge und Atemwegen

„Alle vier Minuten stirbt in Deutschland ein Mensch an den Folgen einer Lungen- oder Atemwegserkrankung“, schreibt die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) in einer Pressemitteilung. Das „Weißbuch Lunge 2023“ wartet mit alarmierenden Zahlen auf.

  • So hat zum Beispiel das Auftreten von Asthma im untersuchten Zeitraum um 17 % zugenommen.
  • Die Fälle von chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) sind um 8 % angestiegen.
  • Lungenkrebs verzeichnete ein Plus von 33 %.
  • Bei Lungenembolien beträgt der Zuwachs sogar 71 %.
  • Besonders deutlich ist die Entwicklung beim Schlafapnoe-Syndrom, das verminderte Atmung oder Atemstillstände während des Schlafs zu Folge hat. Hier war ein Anstieg von 92 % zu verzeichnen. pm