„Ich rate berufstätigen Frauen, so lang weiter zu stillen, wie sie das selbst möchten. Keine Frau muss abstillen, nur, weil ihr Kind in eine Betreuungseinrichtung und sie wieder arbeiten geht“, sagt Stefanie Probst, Still- und Laktationsberaterin am Leipziger Universitätsklinikum. Foto: Pixel-Shot/stock.adobe.com
Stillen im Beruf – worauf Mütter achten sollten
Zusätzliche Pausen, keine schweren Lasten heben oder länger stehen, keine Nachtarbeit – für stillende Mütter gelten besondere Rechte im Beruf. Was Mütter wissen und beachten sollten, wenn sie noch stillen, aber schon wieder arbeiten gehen, darüber gibt Stefanie Probst fachkundig Auskunft. Sie ist Still- und Laktationsberaterin und leitet Mütter am Leipziger Universitätsklinikum (UKL) an.
Warum ist das Stillen so wichtig?
Stefanie Probst: Stillen ist in vielerlei Hinsicht wichtig. Wenn ein Kind auf die Welt kommt und außerhalb der Plazenta mit Nahrung versorgt werden muss, dann ist Muttermilch das, was am besten auf die Bedürfnisse des Kindes und die seines Körpers angepasst ist. Sie sorgt zum Beispiel dafür, dass sich sein Organismus auf das Leben außerhalb des Mutterleibs einstellen kann. Ein Kind wird ja quasi innerlich steril geboren, weil es im Mutterleib mit keinerlei Bakterien in Kontakt gekommen ist. Für die Umstellung auf das Leben nach der Geburt braucht sein Organismus Hilfe und die bekommt er über die Muttermilch.
Vor allem der Darm eines Kindes ist auf Muttermilch angewiesen, denn der Darm ist zu Beginn des Lebens eine glatte Schicht. Die Darmzotten, die für die Nährstoffaufnahme verantwortlich sind, müssen sich bei einem Kind erst bilden. Und das tun sie mithilfe der Muttermilch. Sie sorgt also dafür, dass ein Kind später ein möglichst gesundes Leben führen kann, ohne ernährungstechnisch Probleme zu haben. Auch für die Mutter hat Stillen vielerlei Effekte – allen voran emotionale: Sie lernt ihr Kind noch einmal ganz anders kennen und lieben. Eigentlich kennt sie es ja von der ersten Sekunde an, aber es ist doch schon noch einmal eine andere Nähe, die sie während des Stillens zu ihm aufbauen kann, was nicht heißt, dass Mütter, die ihren Kindern die Flasche geben, weniger Liebe für sie empfinden.
Langfristig gesehen ist Stillen aber auch dahingehend für Frauen wichtig, dass es das Risiko, im höheren Alter an Brustkrebs zu erkranken, enorm senkt. Das heißt, Frauen, die einmal laktiert beziehungsweise Milch produziert haben, sind nachweislich weniger von Brustkrebs betroffen als Frauen, die nicht gestillt haben.
Was genau ist Ihre Aufgabe als Still- und Laktationsberaterin?
Stefanie Probst: Ich habe sehr vielseitige Aufgaben: In den ersten Tagen nach der Geburt unterstütze ich die Frauen, indem ich ihnen zeige, wie sie ihr Kind am besten anlegen, um gut und vor allem bequem zu stillen. Dann zeige ich Frauen, wie sie ihre Brust auch mechanisch entleeren können. Auf meiner Station werden vorwiegend Frauen betreut, die ein Frühchen geboren haben und damit automatisch getrennt sind von ihrem Kind. Die Frauen werden also angeleitet, ihre Brust mit der Hand zu entleeren oder die Milch abzupumpen, mit einer elektronischen Milchpumpe zum Beispiel.
Und ich berate sehr viele Frauen auch zum Thema Abstillen. Das sind einerseits Frauen, die nicht stillen möchten, und andererseits solche, die abstillen müssen, weil sie ihre Schwangerschaft nicht glücklich austragen konnten und ihr Kind still gebären mussten. In dem Moment, in dem ein Kind den Körper seiner Mutter verlässt, kommen eine Reihe hormoneller Prozesse in Gang, die dafür sorgen würden, dass auch diese Frauen beginnen würden, Milch zu produzieren. Wir Stillschwestern versuchen das dann zu verhindern.
Was raten Sie Müttern, die, obwohl sie noch stillen, schon wieder arbeiten gehen?
Stefanie Probst: Natürlich habe ich schon in dem einen oder anderen Stillgespräch darüber gesprochen. Da geht es auch um Fragen wie, was passiert, wenn das Kind einmal in die Kita geht, wenn es anderweitig betreut wird, wenn der Papa mit ihm in Elternzeit ist? Muss ich dann abstillen oder wie kann ich als Frau dann selbst für Entlastung sorgen?
Wenn die Frauen das Stillen beibehalten möchten, rate ich ihnen dazu, die Stillpausen zu überbrücken, indem sie ihre Brust entweder mit der Hand entleeren oder die Milch abzupumpen. Ich spreche da aus eigener Erfahrung: Ich habe das bei meiner zweiten Tochter so praktiziert. Da bin ich nach einem Jahr Elternzeit wieder arbeiten gegangen und das Mutterschutzgesetz hat mir zugesichert, dass ich mich während meiner Arbeitszeit zurückziehen und abpumpen gehen darf, ohne dass ich die Zeit – zweimal eine halbe Stunde oder eine volle Stunde pro Tag – nacharbeiten muss. Das ist im Gesetz genauso festgeschrieben.
Gelten diese Regelungen für alle berufstätigen Mütter, die noch stillen?
Stefanie Probst: Die Regelungen gelten für jede stillende Frau. Selbst wenn ihr Kind vielleicht schon drei Jahre alt ist, darf sie sich die Zeit nehmen und für Entlastung sorgen – egal wie. Wir hatten hier zum Beispiel eine Kollegin, die ging nach einem Dreivierteljahr wieder arbeiten, wohnte aber in der Nähe. Da hat ihr Mann das Kind immer mittags zum Stillen gebracht.
Es kommt auch immer darauf an, wie gut eine Frau die Stillpausen toleriert. Manche Frauen kommen ganz gut damit klar, andere bekommen Schmerzen in der Brust, wenn sie acht, neun, zehn Stunden nicht entlastet wird. Das ist sehr unterschiedlich und sagt nichts darüber aus, wie lange eine Frau stillen sollte. Wenn sich Mutter und Kind gut damit fühlen, spricht nichts dagegen, über ein Jahr hinaus zu stillen. Natürlich wird man in der heutigen Gesellschaft immer etwas merkwürdig angeschaut, wenn man davon spricht, man sein eineinhalb- oder zweijähriges Kind noch zu stillen. Das ist traurig, aber ich glaube, das wird man nicht ändern.
Stillen prägt die Mutter-Kind-Beziehung. Sollten Stillende dann besser nicht berufstätig zu sein?
Stefanie Probst: Das kommt auf die Mutter-Kind-Beziehung und darauf an, wie eine Frau damit zurechtkommt, ihr Kind ein erstes Mal loszulassen und nur noch zu bestimmten Zeiten zu stillen. Natürlich baue ich durch das Stillen eine intensivere Bindung zu meinem Kind auf. Das ist schön, aber das Kind wird ja auch größer und selbständiger. Irgendwann muss es nicht mehr rund um die Uhr gestillt werden, sondern isst feste Nahrung mit am Tisch. Und je älter ein Kind wird, desto wichtiger wird es, dass es auch eigene Erfahrungen sammeln, einen eigenen Alltag haben und kennenlernen darf. Von daher schließen sich Stillen und berufstätig sein nicht aus. Die Entscheidung darüber muss aber jede Frau für sich allein treffen.
Wo hat die Vereinbarkeit von Stillen und Beruf für Sie Grenzen?
Stefanie Probst: Ich finde Stillen im Beruf grundsätzlich nicht verwerflich, solange es für die betroffenen Frauen in Ordnung ist. Das ist wie mit dem Stillen in der Öffentlichkeit. Da erntet man hin und wieder auch merkwürdige Blicke. Natürlich sieht man beim Stillen Teile oder manchmal auch die komplette Brust einer Frau. Solange die Frau das aber nicht stört und auch das Kind sich von den äußeren Einflüssen nicht irritieren lässt, sollte das für niemanden ein Problem sein.
Und genauso ist es mit Frauen, die während der Arbeit stillen oder anderweitig für Entlastung sorgen. Fragwürdig könnte es werden, wenn Frauen in einen Zwiespalt geraten und sich zum Beispiel entscheiden müssen: Nehme ich an einer Videokonferenz teil, stille ich mein Kind oder mache ich beides? Solange das aber kein Dauerzustand ist, der immer zulasten des Kindes geht, ist das, so denke ich, in Ordnung.
Was raten Sie Frauen, die berufstätig sind und noch stillen?
Stefanie Probst: Ich rate berufstätigen Frauen, so lang weiter zu stillen, wie sie das selbst möchten. Keine Frau muss abstillen, nur, weil ihr Kind in eine Betreuungseinrichtung und sie wieder arbeiten geht. Wenn die Frau nicht für mehrere Wochen von ihrem Kind getrennt ist, weil sie wieder arbeiten geht, ist das absolut nicht notwendig – im Gegenteil. Das Stillen kann Mutter und Kind helfen, eine Zeit, die mit großen Veränderungen verbunden ist, gut zu meistern. Sie versichern sich damit, dass ihre Beziehung bestehen bleibt, dass sie eine Konstante ist. Das ist ein wichtiger Aspekt für beide: für das Kind, weil es merkt, zu Hause ist und bleibt die Welt in Ordnung, für die Frau, weil es ihr hilft, sich zu lösen.
Der Alltag nach der Elternzeit ist für viele Mütter nicht leicht. Sie tragen neue Verantwortungen, müssen sich neu koordinieren und neue Wege gehen: das Kind in die Kita bringen und wieder abholen, dazwischen arbeiten gehen. Da tut es vielen Müttern gut, sich über das Stillen die schönen Momente zurückzuholen, die sie in der Elternzeit gehabt haben. Von daher würde ich ihnen immer dazu raten, solang weiter zu stillen, bis sie sagen, jetzt ist es gut. Wirklich gut.