
2,1 Millionen neue Krebs-Fälle zählte man 1995 in Europa. 2022 waren es rund 3,2 Millionen. Aber Fortschritte in der Krebsversorgung hatten verbesserte Überlebensraten bei den meisten Krebsarten zur Folge. Foto: nimito/stock.adobe.com
Mehr Krebs-Fälle in Europa, aber dank intensiver Forschung steigen die Überlebensraten
Das schwedische Institute for Health Economics hat sich 31 europäische Länder über einen Zeitraum von fast 30 Jahren angeschaut – und beeindruckende Fakten zu Krebserkrankungen zusammengetragen. Demnach gibt es zwar immer mehr Neudiagnosen – doch auch die Überlebensraten steigen. Unter anderem habe die „Einführung neuer, effektiverer Krebsmedikamente“ dazu beigetragen, heißt es. Fast 200 neue Onkologika hat die Arzneimittelbehörde EMA seit 1995 zugelassen.
Höhere Anzahl von Krebsfällen und niedrigere Sterberate
Schon bald könnten Krebserkrankungen in Europa die Herz-Kreislauf-Erkrankungen überholen und Todesursache Nummer 1 sein. Doch die Fakten, mit denen The Swedish Institute for Health Economics (IHE) in einem aktuellen Bericht aufwartet, sind dennoch ermutigend: Zwar erkranken immer mehr Menschen an Krebs: 2,1 Millionen neue Fälle zählte man 1995. 2022 waren es rund 3,2 Millionen (+ 52 %). Doch zum einen werde diese Entwicklung hauptsächlich dadurch getrieben, dass die Bevölkerung immer älter wird. Und zum anderen stehen bis zu 50 Prozent aller Neuerkrankungen im Zusammenhang mit Risikofaktoren wie Rauchen, Übergewicht, UV-Strahlung und sind „theoretisch vermeidbar“.
Trotz deutlich steigender Inzidenz nimmt die Mortalität nicht im selben Tempo zu. 2022 waren es rund 1,5 Millionen Menschen, die ihr Leben in Folge eines Tumors verloren – ein Plus von rund 25 Prozent im Vergleich zu 1995. Seit 2008 scheint sich gar eine Stabilisierung abzuzeichnen. Und: In fast allen Ländern sinken die altersstandardisierten Sterberaten – für diese Daten wurden die Effekte von Bevölkerungswachstum und -alterung herausgerechnet. Sie zeigen: Es gelingt immer besser, Krebs in seine Schranken zu weisen.
Fortschritte in der Krebsversorgung und höhere Überlebensrat
Woran das liegt? „Fortschritte in der Krebsversorgung“ hatten, so das IHE, „verbesserte Überlebensraten bei den meisten Krebsarten“ zur Folge. Dabei hat die „Einführung neuer, effektiverer Onkologika“ eine Rolle gespielt – „auch wenn es schwierig ist, den exakten Beitrag, der von Tumorart zu Tumorart variiert, zu ermitteln.“ Die größten Verbesserungen gab es jedenfalls bei hämatologischen Krebserkrankungen – und dort gab es auch eine besonders große Zahl an neuen Medikamenten. 5-Jahres-Überlebensraten von über 90 Prozent sind inzwischen zum Beispiel bei Brust-, Prostata- oder Hautkrebs sowie Hodgkin-Lymphomen möglich. Doch bei manchen Krebsarten wie Blasen- oder Hirnkrebs gab es kaum Fortschritt.
Nathalie Moll, Generaldirektorin des europäischen Pharmaverbands EFPIA, der den IHE-Bericht in Auftrag gegeben hat, sagt: „Es ist sehr ermutigend zu sehen, wie neue Medikamente und Diagnostika die Überlebensraten der Patient:innen bei den meisten Krebsarten weiter verbessern. Von 5-Jahres-Überlebensraten jenseits der 90 Prozent konnten wir noch vor einem Jahrzehnt nur träumen.“
Krebserkrankungen: Mehr Menschen könnten gerettet werden
Doch zur ganzen Wahrheit gehört auch: Nicht alle Menschen in Europa profitieren gleichermaßen vom medizinischen Fortschritt. „Es gibt ein Muster, wonach wohlhabendere Länder eher höhere Überlebensraten registrieren als ärmere Länder“, schreiben die IHE-Experten. Wenn alle 15 Länder, für die entsprechende Daten vorlagen, so hohe Überlebensraten erreichen würden wie Spitzenreiter Schweden, dann könnten jedes Jahr fast 200.000 Menschenleben gerettet werden.
„Eventuell ist überraschend, dass der Ausgabenanteil für Krebs an den gesamten Gesundheitsausgaben über die vergangenen Jahrzehnte relativ stabil bei rund sechs bis sieben Prozent geblieben ist“ – trotz steigender Krankheitslast. In absoluten Zahlen belaufen sich die direkten Kosten auf 146 Milliarden Euro in Europa (2023). Einen immer größeren Anteil daran haben Arzneimittel: Doch der Anstieg hier wurde „durch weniger Krankenhauseinweisungen und kürzere Klinikaufenthalte“ kompensiert.
Und weil es gelungen ist, die Krebssterblichkeit bei den unter 65-Jährigen über die vergangenen drei Jahrzehnte deutlich zu senken, sind immer weniger Produktivitätsverluste – etwa durch Frührente, Krankheitstage, vorzeitigen Tod – zu verzeichnen. Die indirekten Kosten, die Krebserkrankungen außerhalb des Gesundheitssystems verursachen, sind daher heute niedriger als noch 1995.
Krebsforschung: „Neue Durchbrüche am Horizont“
Zwischen 1995 und 2024 hat die Arzneimittelbehörde EMA 194 neue Krebsmedikamente zugelassen. Der Innovationsmotor läuft immer schneller: Gab es anfangs im Durchschnitt ein neues Präparat pro Jahr, sind es heute (2021 bis 2024) rund 14 Innovationen pro Jahr. Im gesamten Untersuchungszeitraum wurden zudem 318-mal bereits zugelassene Medikamente für eine neue Indikation verfügbar.
„Die Krebsbehandlung hat sich mit der Einführung zielgerichteter Therapien zur Jahrtausendwende sowie mit den Nobelpreis-gewürdigten Immuntherapien in den 2010ern stark verändert“, erklären die Fachleute. Darunter sind innovative Wirkstoffklassen wie Antikörper-Wirkstoff-Konjugate, bispezifische Antikörper und CAR-T-Zelltherapien. Viele Arzneimittel verfolgen den Ansatz der Präzisionsmedizin – und sind an eine Biomarker-Testung gekoppelt, um diejenigen Patienten, die davon profitieren können, schon vor der Behandlung herauszufiltern.
Doch damit nicht genug: Krebserkrankungen bleiben ein Fokus der weltweiten Forschung – die Onkologie macht rund 29 Prozent aller neu startenden klinischen Studien aus. Die Hoffnungen liegen zum Beispiel auf neuen zellbasierten Therapien, therapeutischen Krebsimpfstoffen oder Behandlungsansätzen mit onkolytischen Viren.
Nicht alle haben Zugang zu neuen Medikamenten
„Bei weitem nicht alle Patient:innen in Europa haben Zugang zu diesen Medikamenten“, so das IHE. Lücken gibt es vor allem in Zentral- und Osteuropa. Und auch mit Blick auf die Präzisionsmedizin hapert es noch vielerorts: Nicht alle in Frage kommende Patienten erhalten eine Biomarker-Testung – den Betroffenen entgeht damit womöglich die Chance auf eine auf ihren Tumor zugeschnittene Behandlung. Die Fragen rund um Ressourcen, Finanzierung und gleichberechtigten Zugang werden also auch in Zukunft Thema für gesundheitspolitische Entscheidungsträger bleiben. Pharma-Fakten.de
Weiterführender Link: https://ihe.se/en/newly-published-cancer-comparator-report-in-europe/