
Immuntherapien greifen die Tumorzellen nicht direkt an, sondern aktivieren das Immunsystem, sodass es selbst gegen sie vorgehen kann. Die Abbildung zeigt therapeutische Antikörper (links), die Krebszellen attackieren. Foto: Juan Gärtner/stock.adobe.com
Krebs-Immuntherapie: Geschenkte Lebenszeit und die Chance auf Heilung
2011 erhielt eine erste Immuntherapie gegen Krebs die Zulassung, weitere Wirkstoffe folgten mit den Jahren. Die Erwartungen waren schon damals groß – doch niemand konnte die Studiendaten von heute vorhersehen. Sie zeigen, wie sehr Patienten über viele Jahre von der Immunonkologie profitieren.
Die Immuntherapien haben Leben geschenkt, wo vorher kaum mehr Hoffnung bestand, wie Pharma-Fakten berichtet.

Als die Hoffnungen nur auf der Chemotherapie lagen
„Wir konnten den Betroffenen eine Chemotherapie anbieten. Manchmal – in seltenen Fällen – half das. Aber es gab fast nie ein langfristiges Ansprechen auf die Behandlung.“ So blickt der US-amerikanische Melanom-Experte Jedd Wolchok auf die Zeit zurück, als es noch keine Immunonkologie gab. Anders gesagt: Die Prognose bei schwarzem Hautkrebs im fortgeschrittenen Stadium war denkbar ungünstig. Die Überlebensrate von Menschen, die vor rund einem Jahrzehnt mit einer solchen Diagnose konfrontiert waren, lag nach nur einem Jahr bei etwa 25 Prozent. Das heißt: Die große Mehrheit (circa 75 Prozent) hat die ersten 12 Monate nicht überstanden.
Ebenso dramatisch schildert es die Onkologin Tina Cascone gegenüber dem Newsportal BIOPHARMADIVE mit Blick auf Lungenkrebs: „In den 90er-Jahren ging ich auf die medizinische Hochschule und in den frühen 2000ern war ich in einer onkologischen Niederlassung. Wir hatten die alte, platinum-basierte Chemotherapie – und sonst nicht viel anzubieten.“
Der Einzug der Immunonkologie
Doch dann kam 2011 – und damit die Zulassung einer ersten Immuntherapie. Immuntherapien greifen die Tumorzellen nicht direkt an, sondern aktivieren das Immunsystem, sodass es selbst gegen sie vorgehen kann. Onkologe Hussein Tawbi erinnert sich noch daran, als er 2010 von Studiendaten beim Melanom erfuhr: „Wir schnappten tatsächlich nach Luft.“ Über die folgenden Jahre dürfte es Experten wie Tawbi noch des Öfteren so ergangen sein, denn es kamen weitere immunonkologische Präparate hinzu, die neue Wirkmechanismen verfolgten und auch andere Krebsarten adressierten.
Trotz dieser Fortschritte konnte damals wohl niemand vorhersehen, was sich in den Studiendaten und in der ärztlichen Praxis von heute zeigt. Beispiel fortgeschrittener Hautkrebs – hier können Mediziner eine Kombination aus zwei unterschiedlichen Immuntherapien (PD-1- und CTLA-4-Checkpoint-Inhibitoren) einsetzen:
- Zehn Jahre nach Beginn der Behandlung leben laut Studiendaten noch 43 Prozent der Betroffenen. Zur Erinnerung: Vor rund einer Dekade lebten schon nach dem ersten Jahr nur noch 25 Prozent der Patienten. Das mediane Überleben – also die Zeit, innerhalb derer die Hälfte der Menschen verstorben ist – liegt heute nicht mehr bei wenigen Monaten, sondern bei sechs Jahren.
- Mehrere Wissenschaftler kommen angesichts dieser Daten im „The New England Journal of Medicine“ zu dem Schluss: „Der nachhaltige Nutzen von Immuncheckpoint-Inhibitoren, wie er sich über die lange Nachbeobachtungsperiode in dieser Studie gezeigt hat, unterstreicht das Heilungspotenzial für Menschen mit fortgeschrittenem Melanom […]“. Soll heißen: Manche Patienten könnten dank der immunonkologischen Kombinationstherapie geheilt sein – das werden die Daten der Zukunft zeigen.
Immunonkologie: Neue Perspektive
„Viele Melanom-Patient:innen haben mit den modernen Arzneimitteln eine Chance auf Langzeitüberleben“, so Dr. Holger Krönig, Senior Medical Director Hematology & Oncology bei Bristol Myers Squibb. Und auch bei vielen anderen Krebsarten – etwa in der Lunge oder der Brust – eröffnen Immuntherapien Perspektiven, die es früher nicht gab. „Wir haben Patienten mit metastasiertem Lungenkrebs, die zehn Jahre leben – und das mit zwei Tabletten am Tag“, erzählte Mediziner Professor Dr. Jürgen Wolf 2023 auf einer Veranstaltung. Früher lag das mediane Überleben dieser Menschen bei wenigen Monaten.
BIOPHARMADIVE.com berichtet von einer Lungenkrebspatientin, die 2015 – den Tod vor Augen – eine neuartige Immuntherapie erhielt: 2016 beendete sie die Behandlung – und seitdem gibt es keine Krebs-Anzeichen mehr. Eine andere Patientin, die nach mehreren vorangegangenen Behandlungen nun eine Kombi aus Immun- und Chemotherapie bekommt, erklärt: „Man sagt mir, dass das eine Behandlung auf Lebenszeit sein wird.“ Sie könne sich „gut vorstellen“, damit für den Rest ihres Lebens glücklich zu sein, „denn die Nebenwirkungen sind minimal und verkraftbar.“
Geschenkte Lebenszeit für viele, Heilung für manche
Was für den einen Menschen die perfekte Lösung ist, funktioniert bei anderen nicht; das Ansprechen auf die Therapie, die möglichen Nebenwirkungen – all das kann von Patient zu Patient sehr unterschiedlich sein. So ist das immer in der Medizin. Und daher gilt: Die Immuntherapie ist kein Wundermittel. Bei vielen Betroffenen und Krebsarten liefen die Hoffnungen bislang ins Leere – nicht umsonst sind Tumorerkrankungen nach wie vor ein Hauptfokus forschender Pharmaunternehmen. Aber vielen Menschen hat die Immunonkologie Lebenszeit geschenkt, die vorher nicht denkbar war; für manche könnte sie gar Heilung bedeuten. Das hätte vor rund einem Jahrzehnt niemand ahnen können. Was wohl in zehn Jahren sein wird?

Mehr Krebsfälle, mehr Forschung und Entwicklung
Die Krebslast wird künftig stark ansteigen – weltweit um 61 Prozent bis 2050. Dann werden 32 Millionen Neudiagnosen jährlich und weltweit zu verzeichnen sein. 2022 waren es 20 Millionen.
Die Antwort darauf kann nur mehr Forschung und Entwicklung sein. Und es braucht Strategien, um weltweit die Versorgungsgerechtigkeit zu erhöhen. Das geht aus dem Report „Global Oncology Trends 2024“ des IQVIA-Instituts hervor.
Neue Therapien, neue Behandlungsstandards
„Die in diesen Projektionen berechnete Krankheitslast zeigt, dass neue Behandlungsmöglichkeiten eine entscheidende Bedeutung dabei spielen, um das Überleben und die Lebensqualität zu verbessern“, heißt es in dem Bericht. Die gute Nachricht ist: Die Onkologie ist und bleibt für Pharmaunternehmen das Forschungsgebiet mit der höchsten Priorität. Und: „Neue Therapien für fortgeschrittene Krebserkrankungen basierend auf den allerneusten wissenschaftlichen Erkenntnissen befinden sich in der Entwicklung oder wurden bereits zugelassen. Neue Therapien in der Onkologie werden zunehmend hochgradig zielgerichtet und bieten Präzisionsmedizin für Subpopulationen von Patient:innen, die möglicherweise bisher nicht von traditionellen Behandlungsstandards profitiert haben.“
Global betrachtet wurden im Jahr 2023 25 neue Arzneimittel eingeführt, die auf neuen Wirkansätzen beruhen. In den vergangenen fünf Jahren (2019-2023) waren es insgesamt 125 neue Substanzen. Dies ist ein gewaltiger Sprung – fast eine Verdopplung – gegenüber den fünf Jahren (2014-2018) zuvor, in denen lediglich 67 neue Medikamente auf die Märkte kamen.
Steigende Überlebensraten
Daten aus den USA zeigen, was für einen Effekt die neuen Therapien haben. Die 5-Jahresüberlebensraten steigen kontinuierlich; das gilt besonders dort, wo die Therapiemöglichkeiten bisher bescheiden waren. Bei einer der tödlichsten Tumorerkrankungen – Bauchspeicheldrüsenkrebs – machten die Überlebensraten seit 2007 einen Sprung um 160 Prozent: von 6,15 Prozent auf 16 Prozent. Bei Krebs der Brust (91 Prozent) oder Prostata (98 Prozent) ist die Forschung schon viel weiter.
Seit 2019, so das IQVIA-Institut in seinem Bericht, ist die Zahl der durchgeführten Krebstherapien jährlich um 9 Prozent gestiegen. Das ist die Folge der zunehmenden Krebslast und von besserem Zugang zu Therapien – gerade auch in Ländern mit niedrigerem Einkommen. Trotzdem bleiben große regionale Unterschiede; so variieren die Behandlungsraten mit CAR-T-Zelltherapien zwischen 70 Prozent in Italien und 25 Prozent in Brasilien. Auch molekulare Testkapazitäten sind oft nicht ausreichend vorhanden, um Präzisionsmedikamente gezielt einsetzen zu können. Es brauche „maßgeschneiderten Strategien“, um die Versorgung auch in diesen Regionen zu verbessern, so das Institut. pm/Pharma-Fakten