
Hochbetagte Patienten über 80 Jahren liegen mit durchschnittlich 8,1 Tagen fast doppelt so lange im Krankenhaus wie Menschen unter 60 Jahren. Die durchschnittlichen Krankenhauskosten je Einwohner waren bei den über 80-Jährigen mit 3351 Euro im Jahr 2023 fast sieben Mal so hoch wie bei den unter 60-Jährigen mit 470 Euro. Foto: bilderstoeckchen/stock.adobe.com
Immer mehr Hochbetagte im Krankenhaus: Ohne Strukturreformen drohen Überlastung der Kliniken und eine Kostenexplosion
22 Prozent aller Menschen, die 2023 im Krankenhaus behandelt wurden, sind über 80 Jahre alt. Das ist eines der Ergebnisse einer Analyse des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) für den Krankenhaus-Report 2025. Damit hat sich der Anteil Hochaltriger im Krankenhaus seit 2005 fast verdoppelt. Damals machten sie 13 Prozent aller Krankenhausfälle aus.
„Dieser Trend wird sich fortsetzen, denn wie gesagt: Die Boomer kommen!“, prognostizierte der stellvertretende Geschäftsführer und Krankenhausexperte des WIdO, Dr. David Scheller-Kreinsen, bei der Präsentation des Reports. „Die Gruppe der Hochaltrigen ist diejenige, die am stärksten wächst. Und wir stehen erst am Anfang.“
Mehr Krankheitsbilder gleichzeitig macht die Behandlung komplexer
Menschen dieser Altersgruppe leiden oft unter mehreren Erkrankungen und Krankheitsbildern gleichzeitig, was deren Behandlung komplexer macht und den medizinischen und pflegerischen Bedarf erhöht. „Nahezu alle Erkrankungsgruppen sind mit dem Lebensalter positiv assoziiert“, heißt es dazu im Krankenhaus-Report 2025. „Insbesondere nimmt die Behandlungsprävalenz bei Krankheiten des Kreislaufsystems, bei Ernährungs-und Stoffwechselkrankheiten, bei Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems und bei Symptomen, die keiner Erkrankung zugeordnet werden können, im Altersverlauf kontinuierlich zu“.
Krankheiten des Herz-Kreislauf-Systems sind demnach bei den 65- bis 79-Jährigen mit mehr als 75 Prozent in Deutschland führend. Dieser Wert steigt bei den über 80-Jährigen auf mehr als 90 Prozent. Drei Viertel dieser Bevölkerungsgruppe leiden unter einer Ernährungs- und Stoffwechselkrankheit – etwa Diabetes – sowie einer Beeinträchtigung des Muskel- und Skelett-Apparats. Mit dem Alter wächst auch der Anteil derer mit Symptomen oder klinischen Untersuchungsergebnissen, die keiner klassifizierbaren Diagnose zugeordnet werden können, auf bis zu 75 Prozent.
Demenz kommt zum Therapiebedarf verschärfend hinzu
Hinzu kommen mit steigendem Alter demenzielle Erkrankungen. Der Krankenhaus-Report verweist in diesem Zusammenhang unter anderem auf die General Hospital Study (GHoSt) im Auftrag der Robert-Bosch-Stiftung. Laut dieser Untersuchung gehören entsprechende Krankheitsbilder mittlerweile zum Arbeitsalltag in Kliniken.
„Von den rund 1500 untersuchten über 65-jährigen Patientinnen und Patienten zeigten 19,8 Prozent leichte und 20,2 Prozent schwerere kognitive Beeinträchtigungen. Die Gesamtprävalenz einer komorbiden Demenz betrug 18,4 Prozent, darunter waren 6,8 Prozent der Untersuchten leicht, 6,6 Prozent mittelschwer und fünf Prozent schwer erkrankt“, zitiert der Krankenhaus-Report die Untersuchung. Umgerechnet seien dies 23.000 Personen mit manifester Demenz und zusätzlich 24.000 Personen mit leichten kognitiven Störungen, die täglich in deutschen Kliniken behandelt würden.
Lange Liegezeit in der Klinik erhöht die Kosten
Hochbetagte Patienten über 80 Jahren liegen mit durchschnittlich 8,1 Tagen auch fast doppelt so lange im Krankenhaus wie Menschen unter 60 Jahren. Die durchschnittlichen Krankenhauskosten je Einwohner waren bei den über 80-Jährigen mit 3351 Euro im Jahr 2023 fast sieben Mal so hoch wie bei den unter 60-Jährigen mit 470 Euro.
Die Kosten für stationäre Behandlungen nehmen im Erwachsenenalter im sektoralen Vergleich den größten Anteil an den Gesamtausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung ein, wobei der Anteil mit dem Alter kontinuierlich wächst und in jeder Altersgruppe ab 40 Jahren bei Männern grundsätzlich leicht höher ist als bei Frauen. Das WIdO hat diese Entwicklung bei den AOK-Versicherten für den Krankenhaus-Report genauer untersucht.

Versorgungsmuster für Hochaltrige haben sich nicht angepasst
Gleichzeitig machen die Analysen des Krankenhaus-Reports deutlich, dass sich die Versorgungsmuster bei den hochaltrigen Patienten in den vergangenen zehn Jahren kaum verändert haben: Nach wie vor entfällt über die Hälfte der Ausgaben für die Versorgung hochbetagter Menschen auf den Krankenhausbereich. Der regionale Vergleich zeigt große Unterschiede bei der Häufigkeit von Krankenhaus-Aufenthalten der über 80-Jährigen: Während 2023 im Land Nordrhein-Westfalen mit der höchsten Krankenhausdichte im Schnitt 68 Krankenhaus-Aufenthalte Hochbetagter je 100 Einwohner zu verzeichnen waren, waren es in Baden-Württemberg nur 50 Klinikbehandlungen je 100 Einwohner. „Überspitzt könnte man sagen: Wo es besonders viele Krankenhäuser gibt, landen auch besonders viele Hochbetagte in der Klinik“, sagte Dr. David Scheller-Kreinsen, stellvertretender WIdO-Geschäftsführer und Mitherausgeber des Reports.
Der Krankenhaus-Report zeigt verschiedene Ansätze auf, wie die Versorgungsstrukturen verbessert werden können, um eine Überforderung der Kliniken und massive Ausgabensteigerungen in den nächsten Jahren zu verhindern. Dazu gehört aus Sicht der Experten vor allem die Verhinderung stationärer Behandlungen durch Stärkung der vor- und nachklinischen Versorgung: „Wir müssen dafür sorgen, dass nur die Menschen im Krankenhaus behandelt werden, deren stationäre Behandlung nicht vermieden werden kann“, so Scheller-Kreinsen. Eine Stärkung der ambulanten Versorgung sei für die Betroffenen in der Regel medizinisch sinnvoller, ökonomisch günstiger und könne helfen, die kostbaren Krankenhaus-Ressourcen „sparsam und zukunftsfest“ einzusetzen.
1,4 Millionen pflegesensitive Krankenhausfälle pro Jahr vermeidbar
Laut einer Analyse des WIdO für den Report hätten bei einer besseren ambulanten Versorgung sogenannter „pflegesensitiver Fälle“ in der Arztpraxis, im Pflegeheim oder zuhause allein im Jahr 2022 rund 1,4 Millionen Krankenhausaufenthalte vermieden werden können. Das entspricht etwa 36 Prozent aller Krankenhausfälle pflegebedürftiger Personen. Als pflegesensitive Fälle bezeichnen die Experten Krankenhausfälle Pflegebedürftiger mit Erkrankungen wie Herzinsuffizienz oder Diabetes, die idealerweise von einem niedergelassenen Arzt oder im Pflegesetting versorgt werden sollten. Am höchsten ist das Potenzial vermeidbarer Krankenhaus-Aufenthalte in Bayern mit 295 Fällen je 1000 Pflegebedürftige, am niedrigsten in Bremen mit 203 Fällen je 1000 Pflegebedürftige.
„Bis zum Jahr 2050 wird die Anzahl der Hochaltrigen um mehr als 50 Prozent anwachsen. Gleichzeitig sinkt die Anzahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter deutlich. Eine Überlastung der Kliniken und eine Überdehnung der GKV-Finanzen durch die steigende Zahl dieser Fälle können wir nur durch grundlegende Strukturreformen und eine konsequente Ambulantisierung der Versorgung hochbetagter Menschen verhindern“, sagte AOK-Vorständin Carola Reimann. Die sogenannten sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen, die mit der Krankenhausreform geschaffen werden sollen, seien in diesem Zusammenhang „ein richtiger Ansatz“, so Reimann. Aus Sicht der AOK sollten sie aber – anders, als bisher in der Krankenhausreform vorgesehen – nur im Ausnahmefall stationäre Leistungen erbringen. „Der Fokus sollte ganz klar auf der ambulanten Versorgung mit Übernachtungsmöglichkeit und auf der Anschlussversorgung nach einem Krankenhausaufenthalt liegen“, forderte die AOK-Vorständin. Gerade hochbetagte Menschen, die keine High-Tech-Medizin in einem Akut-Krankenhaus benötigen, sondern hauptsächlich eine grundlegende Diagnostik, gute pflegerische Betreuung und Überwachung, könnten dann von dieser Versorgungsform profitieren.
Lernen von europäischen Nachbarn bei prä- und poststationärer Versorgung
Eine strukturell andere Organisation der Versorgung Hochaltriger vor und nach einem Krankenhaus-Aufenthalt forderte auch Professor Dr. Clemens Becker, Leiter der „Unit Digitale Geriatrie“ am Geriatrischen Zentrum des Universitätsklinikums Heidelberg. Deutschland erziele bei deutlich höheren Kosten schlechtere Ergebnisse, beispielsweise bei der Lebenserwartung.
Der Experte plädierte dafür, aus den Erfahrungen im europäischen Ausland zu lernen und das Gesundheitssystem mit Blick auf die demografischen Herausforderungen neu zu fokussieren. „Wir müssen runter mit den Ausgaben für Arzneimittel und die stationäre Versorgung und stattdessen mehr in die Allgemeinmedizin und die Prävention investieren. Das verbessert die Versorgung Hochaltriger und ist gleichzeitig günstiger“, sagte Becker. Dänemark und die Niederlande hätten bereits entsprechende Weichenstellungen vorgenommen und seien damit deutlich besser auf den demografischen Wandel eingestellt, so der Experte.
Auch könne man von Projekten wie „Hospital@Home“ in der Schweiz lernen, mit denen stationäre Aufenthalte reduziert und die häusliche Versorgung gestärkt werden. Dabei spiele auch die Delegation ärztlicher Leistungen eine wichtige Rolle, die zu einer deutlichen Stärkung der pflegerischen und therapeutischen Berufe beitragen könne. „Wenn eine deutliche Verkürzung der Verweildauern erreicht werden soll, muss im Gegenzug die Postakutversorgung besser organisiert werden“, betonte Becker. Hierzu gehörten ein flächendeckendes Angebot an geriatrischer Rehabilitation und eine besser koordinierte Kurzzeitpflege.
Info
Der diesjährige Krankenhaus-Report beleuchtet auf mehr als 500 Seiten verschiedene Aspekte der stationären Versorgung Hochbetagter. Er enthält Daten und Fakten zur aktuellen Versorgung dieser Gruppe und zur Abschätzung des künftigen Versorgungsbedarfs – auch im internationalen Vergleich. Zudem thematisiert er verschiedene Stationen im Versorgungspfad von der Notaufnahme über die intensivmedizinische Versorgung bis zur Geriatrie. Spezifische Versorgungsfragen und Managementherausforderungen, die mit der Behandlung dieser besonders vulnerablen Patientengruppe verbunden sind, werden im Report vertieft. Dazu gehören die Themen Fragilität, Demenz, postoperatives Delir, Polypharmazie oder der Einsatz digitaler Versorgungselemente sowie das Entlassmanagement. Nicht zuletzt geht es in dem Report um Ansätze zur Vermeidung nicht notwendiger Krankenhaus-Aufenthalte Hochaltriger. In der Rubrik „Zur Diskussion“ befasst sich der Report zudem mit dem aktuellen Stand der Krankenhausreform und bietet eine Analyse zum Thema Krankenhaus-Insolvenzen. pm