Schlecht hörende Menschen verarbeiten weniger akustische Reize. Das Gehirn ist dann weniger gefordert, die geistige Leistungsfähigkeit nimmt ab, das Alzheimer-Risiko steigt. Foto: Daisy Daisy/stock.adobe.com

Hörverlust strapaziert das Gehirn: Im mittleren Alter ist Schwerhörigkeit wichtigster Risikofaktor für Alzheimer

Ein nachlassendes Hörvermögen wird oft nicht ernst genommen. Viele scheuen aus Eitelkeit den Gang zum Arzt, weil sie kein Hörgerät tragen möchten. Das kann schwerwiegende Folgen haben. Zum Beispiel die Alzheimer-Krankheit.

Warum ist Schwerhörigkeit schädlich fürs Gehirn?

„Schwerhörigkeit ist der wichtigste Alzheimer-Risikofaktor im mittleren Lebensalter. Tritt sie bei 45- bis 65-Jährigen auf und bleibt unbehandelt, ist das Risiko für eine Alzheimer-Erkrankung im Alter deutlich erhöht“, erklärt Dr. Linda Thienpont, Leiterin Wissenschaft der gemeinnützigen Alzheimer Forschung Initiative (AFI).

 „Ab Mitte 50 kann das Hörvermögen durch altersbedingten Verschleiß schlechter werden. Das sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen, sondern das Gehör regelmäßig von einer Fachärztin oder einem Facharzt untersuchen lassen. In den meisten Fällen können Defizite durch ein Hörgerät ausgeglichen werden“, so Thienpont. Wird eine Hörhilfe ärztlich verordnet, übernimmt die Krankenkasse die Kosten bis zu einer Obergrenze. Ist die Hörschwäche krankheitsbedingt, sollten die Ursachen behandelt werden. Das können zum Beispiel Durchblutungs- und Stoffwechselstörungen oder Schäden an der Halswirbelsäule sein.

Bei Hörverlust organisiert sich das Gehirn neu

Durch einen Hörverlust verändert sich das Gehirn und organisiert sich neu. Das haben amerikanische Forscher rund um Professorin Anu Sharma am Institut für Sprach- und Hörwissenschaften an der University of Colorado herausgefunden. Um das Fehlen des Hörsinns zu kompensieren, treten andere Sinne wie zum Beispiel das Sehen oder der Tastsinn in den Vordergrund und übernehmen Aufgaben des Hörens. Dieser Wandel tritt bereits drei Monate nach Beginn einer leichten Schwerhörigkeit ein. Während bei einem gut hörenden Menschen die Hörrinde ausschließlich für die Verarbeitung von Höreindrücken zuständig ist, wird diese bei einem Hörverlust nachweislich von den übrigen Sinnen beansprucht.

„Wir können sehen, dass das Sprachverständnis abnimmt, je mehr die anderen Sinne übernehmen,“ so Professorin Sharma. Dieser Effekt tritt in Folge der neuen Aufgabenverteilung im Gehirn aufgrund der fehlenden akustischen Signale durch die Hörminderung ein. Im Rahmen der Studie spielte man Probanden ausschließlich visuelle Reize vor. Hierbei wurden Testpersonen mit und ohne Hörverlust untersucht und ihre Gehirnaktivitäten gescannt. Bei den schwerhörigen Studienteilnehmern wurden Reaktionen der Hörrinde verzeichnet, die bei gut hörenden Menschen nicht auftreten, da Seheindrücke normalerweise nicht in diesem Bereich verarbeitet werden.

Gehirn muss sich bei Schwerhörigkeit mehr anstrengen

Die Studie wies außerdem eine erhöhte Anstrengung im Gehirn durch einen Hörverlust nach. Der Frontallappen des Großhirns, welcher für die Aufnahme und Verknüpfung von Sinneseindrücken zuständig ist, zeigt schon bei leichten Einschränkungen des Gehörs eine deutlich höhere Aktivität als bei einem Menschen ohne Hörminderung. Das erklärt Professorin Sharma dadurch, dass sich Menschen mit leichter Schwerhörigkeit mehr anstrengen müssen, um alles Gesprochene richtig zu verstehen. Diese Mehranstrengung durch die zusätzliche kognitive Belastung kostet Energie und die Betroffenen ermüden schneller.

Die Ergebnisse legen nahe, dass eine frühe Versorgung mit Hörgeräten den Änderungen im Gehirn vorbeugt, so meldete es die Fördergemeinschaft Gutes Hören. Das Tragen von Hörgeräten hilft den Betroffenen Sprache wieder besser zu verstehen und das Gehirn weniger zu belasten. Alltägliche Situationen werden dadurch erleichtert, außerdem steigern Hörsysteme nachweislich die Konzentrationsfähigkeit und fördern die Orientierung und Leistungsfähigkeit.

Dazu kommt, dass sich viele Menschen ihrer Schwerhörigkeit nicht bewusst sind, da diese meistens schleichend einsetzt. Die Folge ist, dass sich die Betroffenen allmählich an das nachlassende Hören gewöhnen und sich die Änderungsprozesse im Gehirn verstärken. Experten raten daher zu regelmäßigen Hörtests ab dem 40. Lebensjahr, um den eigenen Hörstatus stets im Blick zu haben. Auf diese Weise wird eine Hörschwäche rechtzeitig erkannt und kann mit der modernen Hörsystemtechnik effektiv ausgeglichen werden. Einen Fachbetrieb in der Nähe findet man unter www.fgh-info.de.

Vorbeugen-Broschüre der AFI

Neben Schwerhörigkeit gibt es elf weitere Risikofaktoren, die eine Alzheimer-Krankheit begünstigen. In der Broschüre „Alzheimer vorbeugen – Gesund leben, gesund altern“ sind alle Faktoren ausführlich erklärt. Die Broschüre kann kostenlos bestellt werden bei der gemeinnützigen Alzheimer Forschung Initiative e.V., Kreuzstr. 34, 40210 Düsseldorf; Telefonnummer 0211 – 86 20 66 0; Webseite: www.alzheimer-forschung.de/alzheimer-vorbeugen.

Seit 1995 fördert die Alzheimer Forschung Initiative e.V. (AFI) mit Spendengeldern Forschungsprojekte engagierter Alzheimer-Forscherinnen und –forscher stellt kostenloses Informationsmaterial für die Öffentlichkeit bereit. Bis heute konnte die AFI 390 Forschungsaktivitäten mit über 16,2 Millionen Euro unterstützen. Interessierte und Betroffene können sich auf www.alzheimer-forschung.de fundiert über die Alzheimer-Krankheit informieren und Aufklärungsmaterial anfordern.   AFI/FGH/tok