Wichtig in den Wechseljahren: Regelmäßige Bewegung ist ein Baustein der Diabetestherapie. Bildrechte/Foto: Abbott GmbH
Diabetes und Frauen: der unterschätzte Risikofaktor Wechseljahre
Diabetes Typ 2 zählt neben Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu den häufigsten chronischen Krankheiten in Deutschland. Ein Risikofaktor, der durch die Gendermedizin zunehmend in den Mittelpunkt der Forschung rückt: die Wechseljahre. Denn wenn die Sexualhormonproduktion versiegt, steigt das Risiko für die Entstehung von Übergewicht, Diabetes Typ 2 und koronare Komplikationen.
Auch Frauen mit Typ-1- oder Typ-2-Diabetes können dann Schwierigkeiten mit dem Diabetesmanagement bekommen. In Deutschland sind aktuell circa 9 Millionen Frauen in den Wechseljahren. Gründe genug, ihr Wohlbefinden nicht nur am internationalen Tag der Frauengesundheit am 28. Mai in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken, findet die Gynäkologin Dr. Judith Bildau. In einem Interview für Vital-Region.de erklärt die Expertin, wie sich der Stoffwechsel ab dem 40. Lebensjahr verändert. Dabei stellt sie auch effektive Präventionsmaßnahmen vor.
Frau Dr. Judith Bildau, Sie engagieren sich für die Aufklärung von Frauen über die Auswirkungen der Wechseljahre auf die Gesundheit. Wieso ist das so wichtig?
Dr. Judith Bildau: Es herrscht eine große Unwissenheit, wenn es um die Menopause und ihre gesundheitlichen Folgen geht. Besonders in der ersten Phase, der sogenannten Perimenopause, kommen vermehrt Frauen zu mir in die Praxis, weil es ihnen aufgrund starker Schwankungen des Östrogen- und Progesteronspiegels nicht gut geht. Sie leiden zum Beispiel unter Schweißausbrüchen, Schlafstörungen, Hitzewallungen oder Müdigkeit. Diese Symptome sind durchaus quälend, doch es gibt auch langfristige Auswirkungen der Wechseljahre, von denen viele Betroffene nichts wissen. So beeinflusst der Wegfall der Sexualhormone den Kohlenhydrat- und Fettstoffwechsel, die Gefäße und den Bewegungsapparat. Mir ist es wichtig, Frauen darüber aufzuklären, dass mit der Menopause das Risiko für die Entstehung von Übergewicht, Typ-2-Diabetes, Herzerkrankungen und Osteoporose steigt, denn es gibt wirksame Präventionsmöglichkeiten.
Warum haben Frauen in den Wechseljahren ein deutlich erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines Diabetes Typ 2?
Dr. Judith Bildau: Die hormonellen Veränderungen in der Menopause wirken sich auch auf den Energiestoffwechsel aus. Der Gesamtenergieverbrauch und der Muskelanteil nehmen ab, während der Körperfettanteil – besonders in der Bauchregion – steigt. Letzteres begünstigt eine Insulinresistenz der Zellen, die wiederum zu erhöhten Zuckerwerten und der Entwicklung von Typ-2-Diabetes führen kann.
Beeinflusst die Menopause auch die Therapie eines bereits bestehenden Diabetes?
Dr. Judith Bildau: Studien zeigen, dass Frauen mit Diabetes in den Wechseljahren weniger oft die Zielwerte für HbA1c, LDL-Cholesterin oder Blutdruck erreichen. In der Sprechstunde berichten Frauen, die an Typ-1-Diabetes oder Typ-2-Diabetes erkrankt sind, mit Beginn der Wechseljahre von vermehrten Schwierigkeiten beim Diabetesmanagement. Verantwortlich für das Auf und Ab der Zuckerwerte ist die hormonell bedingt schwankende Insulinempfindlichkeit der Zellen. Deshalb halte ich die kontinuierliche Zuckermessung für extrem wichtig, um Entgleisungen und deren Folgeschäden zu vermeiden.
Welchen Einfluss hat die Menopause bzw. die Zeit danach auf mögliche Folgeerkrankungen des Diabetes?
Dr. Judith Bildau: Östrogen wirkt wie ein Gefäßputzer, denn es hält die Gefäße geschmeidig, erhöht das gute HDL-Cholesterin und senkt das schlechte LDL-Cholesterin. Mit dem Wegfall des Östrogens steigt nicht nur die Insulinresistenz der Zellen und infolgedessen der Zuckerwert im Blut, sondern auch das LDL-Cholesterin. Deshalb haben postmenopausale Frauen ein höheres Risiko für mit Diabetes assoziierte koronare Herzerkrankung (KHK) als altersgleiche Männer mit Diabetes. Übrigens: Auch das Osteoporose bedingte Frakturrisiko ist deutlich höher als bei Frauen ohne Diabetes.
Die menopausale Umstellung kann drei bis zehn Jahre dauern: Wie können Frauen das Risiko, in dieser Zeit an Diabetes zu erkranken, minimieren?
Dr. Judith Bildau: Ich empfehle, auf einen gesunden Lebensstil zu achten. Eine vitalstoffreiche, blutzuckerstabilisierende Ernährung, regelmäßige Bewegung und Stressabbau sind ab dem Alter von 40 Jahren extrem wichtig. Ein Mix aus Ausdauer- und Krafttraining stärkt die Muskeln, aktiviert den Energieverbrauch, stabilisiert den Bewegungsapparat und kann das Frakturrisiko bei Osteoporose reduzieren. Ich halte es auch für sinnvoll, die Versorgung mit Mikronährstoffen wie zum Beispiel Vitamin D, Kalzium, aber auch Omega-3-Fettsäuren im Blick zu behalten und gegebenenfalls zu substituieren. Frauen, die einen Schwangerschaftsdiabetes hatten oder eine genetische Veranlagung zu Typ-2-Diabetes, empfehle ich, ihren Langzeitzucker (HbA1c-Wert) regelmäßig kontrollieren zu lassen.
Was können Frauen mit Diabetes tun, um in guter Verfassung durch diese Zeit des Wechsels zu kommen?
Dr. Judith Bildau: Es gelten die bereits genannten Lebensstilempfehlungen, aber Frauen mit Typ-1- oder Typ-2-Diabetes sollten in dieser Lebensphase diszipliniert und engmaschig den Zuckerwert messen, um die Zuckereinstellung zu optimieren und akuten, mittel- und langfristigen Komplikationen und Folgeerkrankungen vorzubeugen. Dies hilft auch gegen Verunsicherungen beim Diabetesmanagement, denn einige Wechseljahresbeschwerden, zum Beispiel Schweißausbrüche, ähneln Unterzuckerungssymptomen. Die kontinuierliche Glukosemessung via Smartphone kann Schwankungen rechtzeitig aufdecken und ein schnelles Gegensteuern ermöglichen. Weil der Sensor 14 Tage lang rund um die Uhr die Glukosewerte und den Trend an das Smartphone sendet und über optionale Alarme auch vor Über- und Unterzuckerungen (Hyper- oder Hypoglykämien) warnt, fühlen sich Anwenderinnen sicher.
Kann eine menopausale Hormonersatztherapie (MHT) diabetesbedingte Risiken reduzieren?
Dr. Judith Bildau: Der Ausgleich des Hormonmangels durch die Gabe von bioidentischen Hormonen hat das Ziel, Wechseljahresbeschwerden zu lindern und Langzeitfolgen des Östrogenmangels vorzubeugen. Bioidentische Hormone können sich günstig auf Insulinsekretion, Glukoseaufnahme, Insulinempfindlichkeit der Zellen, die Gefäße und das HDL-Cholesterin auswirken und das Risiko, einen Typ-2-Diabetes zu entwickeln, senken. Studien belegen, dass Frauen mit Diabetes durch eine Hormonersatztherapie die Nüchternglukosewerte und den HbA1c verbessern.
Warum ist Stressmanagement ein wichtiger Baustein, um mit Diabetes gut durch die Wechseljahre zu kommen?
Dr. Judith Bildau: Auch die Progesteronproduktion lässt in den Wechseljahren nach. Dies kann Schlafstörungen, Stimmungsschwankungen, Muskel- und Gelenkschmerzen sowie einen erhöhten Kortisolspiegel zur Folge haben. Diese Beschwerden belasten den Körper und die Psyche. Es ist wichtig zu verstehen, dass Stresshormone die Insulinresistenz der Zellen und einen hohen Zuckerwert begünstigen. Viele Frauen sind doppelt belastet, denn sie kümmern sich um die Familie und gehen einem Beruf nach. Diesen Frauen rate ich unbedingt eine gute Balance im Leben finden und Stress abzubauen. Dies gelingt übrigens mit Bewegung besonders gut.
Kann die kontinuierliche Glukosemessung (CGM), zum Beispiel mit dem FreeStyle Libre System von Abbott, das Diabetesmanagement von Frauen in den Wechseljahren erleichtern?
Dr. Judith Bildau: Ja, denn ein kontinuierliches Glukosemesssystem (CGM-System) vereinfacht die Glukosemessung und bietet Anwenderinnen Sicherheit durch die minütliche Übertragung der Zuckerwerte und Trends. So können Frauen mit Diabetes schnell auf hormonbedingte Schwankungen des Zuckerwertes reagieren und gegensteuern. Ebenso wichtig finde ich aber, dass die kontinuierliche Glukosemessung wie eine Art Biofeedback wirkt. Anwenderinnen können lernen, welche Lebensstilfaktoren den Zuckerwert nach oben treiben beziehungsweise senken. Zusätzlich zur Nutzung moderner Diabetestechnik würde ich Frauen in den Wechseljahren raten, eine gezielte Diabetes- und Ernährungsschulung zu machen, um die Auswirkungen der Wechseljahre auf ihren Stoffwechsel zu verstehen und Präventionsstrategien zu erlernen. pm