Einbußen der Konzentration, Wortfindungsstörungen und mentale Erschöpfung können Hinweise auf Brain Fog sein. Dieser „Gehirnnebel“ kann aus einer COVID-19-Erkrankung oder einer anderen Virusinfektion, bei Stress oder Migräne entstehen. Foto: Pictosmith/stock.adobe.com
Brain Fog nach COVID-19: So unterstützen Ergotherapeuten Betroffene
Brain Fog (deutsch: Gehirnnebel) ist eines der häufigsten Symptome, die nach einer COVID-19-Erkrankung fortbestehen. „Brain Fog kann auch in anderen Zusammenhängen auftreten wie etwa generell nach Virusinfektionen, bei Stress oder während und nach einem Migräne-Anfall“, rückt Miriam Leventic, Ergotherapeutin im Deutscher Verband Ergotherapie e.V. (DVE), die Folge einer COVID-19-Erkrankung in ein neutrales Licht. Wer erkrankt ist, sollte jedoch, so die Expertin, bei anhaltenden Schwierigkeiten den Arzt aufsuchen.
Einbußen der Konzentration, Wortfindungsstörungen und mentale Erschöpfung können Hinweise auf Brain Fog sein. Mit Pacing, einer Form des Energiemanagements, und weiteren Konzepten und Herangehensweisen aus der Verhaltens- und der Ergotherapie gelingt es nahezu immer, eine Besserung herbeizuführen: Betroffene können es schaffen, trotz ihrer Beeinträchtigungen ihren Alltag zu bewerkstelligen und dem Leben zunehmend etwas Positives abzugewinnen.
Erschöpfung und Energiemanagement
COVID-19 hat im Großen und Ganzen seinen Schrecken verloren. „Die meisten haben die Virusinfektion ein- oder mehrmals ohne nennenswerte Komplikationen durchgemacht“, bekräftigt Ergotherapeutin Leventic die aktuelle Lage. Ergotherapeuten sind mittlerweile mehrheitlich mit Fällen von Post Covid wie etwa Brain Fog konfrontiert; das Robert Koch-Institut (RKI) geht derzeit von etwa 6,5 % Betroffenen mit Post Covid aus. „Unabhängig vom Schweregrad geht Brain Fog fast immer mit einer Erschöpfung einher“, zitiert die Ergotherapeutin Erkenntnisse aus der wissenschaftlichen Literatur.
Energiemanagement ist daher das A und O bei Post Covid und Brain Fog, um Betroffene in die Lage zu versetzen, in ihrem Alltag geschickter mit ihren krankheitsbedingten Schwierigkeiten umgehen zu können. Sie lernen bei Ergotherapeuten unter anderem Techniken und Strategien, um ihre mangelnde Konzentration und Aufmerksamkeit, eingeschränkte Handlungsplanung und -durchführung oder gestörte Verarbeitung auditiver und visueller Reize zu kompensieren.
Ergotherapeutische Bestandsaufnahme des Alltags
Als erstes befassen sich Ergotherapeuten mit dem Alltag ihrer Patienten: Wie verlaufen die einzelnen Tage, wie sieht die Gestaltung der Woche aus und wie ist das Verhältnis zwischen Belastung und Belastbarkeit? Dabei befragen die Spezialisten ihre Patienten sehr detailliert, um jegliches Veränderungspotenzial, sprich Energiesparmaßnahmen einerseits und andererseits mehr Möglichkeiten zum Auftanken, aufzuspüren. Sie finden heraus, an welchen Stellen sich der Alltag von Dingen entrümpeln lässt, die der betroffenen Person entweder unnötig Energie entziehen, ihr weniger bedeuten als andere oder die sie delegieren kann.
Parallel erlernen Menschen mit Brain Fog oder anderen Post-Covid-bedingten Problemen die Methode Pacing, um die jeweils individuellen Belastungsgrenzen aufzuzeigen und einzuhalten. Damit sie Pacing richtig anwenden, üben Ergotherapeuten mit ihren Patienten diese Vorgehensweise so lange, bis sie ihnen in Fleisch und Blut übergegangen ist und bis es ihnen leicht fällt, das Pacing in ihren Alltag zu integrieren. Bei der regelmäßigen Überprüfung stellen Ergotherapeuten fest, ob und wann Patienten die Dauer der Belastung erhöhen können. Durch das konsequente Einhalten der Belastungsgrenzen lassen sich die Zeitspannen für einzelne Tätigkeiten kontinuierlich ausdehnen.
Ressourcen zielgerichtet einsetzen
Unterstützend dazu finden Ergotherapeuten gemeinsam mit den von Brain Fog Betroffenen Kompensationsstrategien, die für Entlastung sorgen: Kalender nutzen, wenn zuvor jemand alle Termine im Kopf hatte. Apps, die Erinnerungsanstöße oder andere Impulse geben. Journaling, eine Methode, um Gedanken, Aufgaben und alles, was im Alltag wichtig ist, schriftlich zu erfassen. All das dient dazu, die vorhandenen Ressourcen zielgerichtet einzusetzen, das Funktionieren im Alltag zu gewährleisten und die mentale Erschöpfung nicht weiter voranzutreiben. Ressourcen spielen eine zentrale Rolle in der ergotherapeutischen Betrachtung, ebenso wie Akzeptanz und Commitment.
Oft sind es jüngere, aktive Menschen, mitten in ihrer beruflichen Karriere, bei denen nach COVID-19 das Post-Covid-Syndrom mit Brain Fog bleibt. Post Covid ist ein Krankheitsbild mit komplexen Belastungen, Erschöpfungsproblemen und kognitiven Ausfällen. Dies psychisch auszuhalten, ist unglaublich schwer, zumal sich das Gedankenkarussell unentwegt dreht, existenzielle Fragen die Betroffenen beschäftigen. Werde ich jemals wieder vollständig gesund? Kann ich ausgelagerte oder delegierte Arbeitsbereiche zurückerobern? Sind die einst hoch gesteckten beruflichen Ziele noch erreichbar? Wie sieht es mit den Finanzen aus?
Brain-Fog-Patienten zu Akzeptanz und Commitment verhelfen
Es ist die Akzeptanz (der Krankheit oder der Situation), die Betroffene oftmals in ihrer Entwicklung vorwärtsbringt. „Ergotherapeut:innen richten klassisch den Fokus auf die vorhandenen Ressourcen“, sagt Miriam Leventic und fährt fort: „Wir holen unsere Patient:innen an dem Punkt ab, an dem sich gerade befinden und machen ihnen dabei immer wieder ihre Ressourcen bewusst, die ihnen helfen, ihre Defizite zu kompensieren; das stärkt sie und verleiht ihnen eine andere Perspektive.“ Das Konzept „Akzeptanz und Commitment“ kommt aus der Verhaltenstherapie und hält verstärkt Einzug in ergotherapeutische Praxen. Zur Akzeptanz, die den Kampf gegen das, was ist, beendet, kommt das Commitment hinzu.
Im Commitment ist unter anderem die persönliche Entfaltung enthalten und genau darum geht es auch bei Ergotherapeuten: Gemeinsam mit der erkrankten Person den inneren Antrieb herauszufinden und zu erkennen, was das Leben für diesen Menschen wertvoll macht. Und daran orientiert das eigene Leben zu planen und auszurichten, damit die wichtigen Dinge stattfinden können. Auch zu schauen, wie sich Erholungsphasen so gestalten lassen, dass sie der Seele guttun.
Neues entdecken, neue Erfolgserlebnisse gewinnen
„Viele entdecken Neues für sich, neue Hobbys, Aktivitäten oder Entspannungsmethoden wie Qi Gong oder Yoga, die Meditation, Konzentration und Bewegung in sich vereinen“, gibt Miriam Leventic Erkenntnisse ihrer Patienten mit Post Covid weiter. Sie berichtet, dass im Gespräch oft auch verloren geglaubte sportliche, handwerkliche oder musikalische Fähigkeiten oder Interessen aus der Vergangenheit wieder in Erinnerung kommen.
All diese Aktivitäten bringen nicht nur die benötigte Erholung, sondern führen oft wichtige Erfolgserlebnisse herbei – ein weiterer positiver Aspekt, auf den Menschen mit Brain Fog ihr Augenmerkt richten können. Denn auch das ist Teil der Reflexion in jeder Stunde: festzustellen, dass tatsächlich schöne Dinge den Alltag prägen und die Wahrnehmung, gar nichts mehr zu können, ein Gedanke, nicht aber Realität ist.
Umfeld von Menschen mit Brain Fog einbeziehen
Ergotherapeuten betrachten den Menschen immer in seiner Gesamtheit, was bedeutet, dass sie die Umgebung und die Menschen aus dem Umfeld mit einbeziehen – bei Post Covid und Brain Fog ist dies unerlässlich. „Ich rate meinen Patient:innen immer, von Anfang an ihre Situation transparent zu kommunizieren“, spricht Ergotherapeutin Leventic aus, was die wenigsten gerne hören. Leventic weiß, wie schwer es den meisten fällt, um Unterstützung zu bitten, selbst wenn von vornherein klar ist, dass ein Weitermachen wie zuvor zum Scheitern verurteilt ist. Gerade im Beruf unterlaufen Menschen mit Post Covid und Brain Fog Fehler, ihre mangelnde Konzentration und verminderte Leistungsfähigkeit fallen unweigerlich auf. Konflikte sind vorprogrammiert, gehen Betroffene nicht direkt auf ihre Kollegen, ihr Team oder ihre Vorgesetzten zu.
Ergotherapeuten bieten im Bedarfsfall an, gemeinsam ein solches Gespräch zu üben. Häufig machen auditive und visuelle Sinnesreize den Menschen mit Brain Fog zu schaffen, was bei der Arbeit zusätzliche Schwierigkeiten schafft. Ergotherapeuten geben auch hierfür Tipps, um Reize abzubauen. Das Ziel: Die Geräuschkulisse während der Arbeit möglichst gering zu halten, sprich Handy auf stumm, keine Musik im Hintergrund oder Gehörschutz tragen, wenn sich der Arbeitsplatz in einem Großraumbüro befindet. Manchmal können Arbeitgeber auch zeitweise ein separates Zimmer zur Verfügung stellen. Um die visuelle Reizüberflutung einzudämmen, empfiehlt es sich, eine spezielle Arbeitsplatzbrille zu tragen, die das Blaulicht des Bildschirms filtert und die Bildschirmeinstellungen entsprechend anzupassen.
Ergotherapeuten enttarnen Energiefresser
„Ein weiterer kritischer Aspekt bei Mitarbeitenden im Büro sind oftmals fehlende Abwechslung und Bewegung während der Arbeit und null Erholung während der Pause“, weiß die Ergotherapeutin. Nicht selten sitzen Menschen die ganze Zeit vor dem Bildschirm und bewegen sich nicht vom Arbeitsplatz weg und sogar die Pause verbringen sie dort, meist mit dem Mobiltelefon in der Hand. „Ein kurzer Gang in die Natur oder der Austausch mit Kolleg:innen bringt frische Energie, sorgt für Entspannung und wirkt motivierend für die restliche Zeit“, empfiehlt Miriam Leventic, die gleichzeitig dafür plädiert, bei Brain Fog den Handygebrauch und die Anwesenheit in den sozialen Medien drastisch zu reduzieren. Wie wenig erholsam das bereits für Menschen ist, die nicht durch Brain Fog belastet sind, ist hinlänglich bekannt.
Abschließend appelliert die Ergotherapeutin an alle, die Post Covid und Brain Fog überwunden haben, nicht in alte Muster zu verfallen, sondern das Gelernte weiter zu verinnerlichen und zu praktizieren. Das Leben geht weiter, aber am besten im mit ergotherapeutischer Hilfe angepassten Modus. pm
Ergotherapeuten in Wohnortnähe findet man auf der Homepage des Verbandes unter https://dve.info/service/therapeutensuche