„Hitzewellen mit Temperaturen über 30 Grad Celsius sind besonders für verletzliche Bevölkerungsgruppen fatal und lebensbedrohlich. Dies trifft vor allem Säuglinge und Kleinkinder, Schwangere, Ältere sowie chronisch Kranke mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Lungenleiden, Krebs und Diabetes, wenn Schutzmaßnahmen ausbleiben“, warnt Kardiologe Prof. Dr. Thomas Meinertz. Foto: sakepaint/stock.adobe.com
Deutsche Herzstiftung zum UN-Klimagipfel: Klimawandel bedroht Herz und Kreislauf
Die Deutsche Herzstiftung warnt vor gesundheitlichen Folgen des Klimawandels für Herz-Kreislauf-Patienten und fordert die Politik zu mehr Anstrengungen zum Schutz vor akuten Folgen extremer Hitze und Luftverschmutzung auf.
Hitzewellen sind „fatal und lebensbedrohlich“
Der Klimawandel zeigt seine Wirkung längst auch in Deutschland: häufige Extremwetterlagen mit hohen Temperaturen, mehr Hitzetote, Wassermangel, Dürre und Waldbrände. Vor allem extreme Hitze stellt eine Bedrohung für die Gesundheit der Menschen dar. Seit rund 20 Jahren treten selbst in Mitteleuropa immer häufiger längere Hitzeperioden auf.
„Hitzewellen mit Temperaturen über 30 Grad Celsius sind besonders für verletzliche Bevölkerungsgruppen fatal und lebensbedrohlich. Dies trifft vor allem Säuglinge und Kleinkinder, Schwangere, Ältere sowie chronisch Kranke mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Lungenleiden, Krebs und Diabetes, wenn Schutzmaßnahmen ausbleiben“, warnt der Kardiologe Prof. Dr. Thomas Meinertz vom Wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Herzstiftung und Chefredakteur der Patientenorganisation anlässlich der Weltklimakonferenz der Vereinten Nationen (UN) in Dubai.
Luftverschmutzung weiterer Risikofaktor
Die Gefahr für Herz und Kreislauf, die von Hitzeereignissen ausgeht – etwa vermehrt Herzinfarkte und Schlaganfälle –, verstärkt sich zudem durch weitere Faktoren wie Luftverschmutzung. Vertreter der Deutschen Herzstiftung und der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG) appellieren daher an die Politik, konsequent Maßnahmen zum Klimaschutz umzusetzen wie das Verringern von Feinstaub und Treibhausgasen.
Darüber hinaus müssen konkrete Maßnahmen zur Klimaanpassung erfolgen. Dazu gehören: Aufklärung der Bevölkerung über die gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels und erforderliche Verhaltensmaßnahmen, Umsetzen von Hitzeaktionsplänen sowie Investitionen in spezielle Infra-Strukturen wie zum Beispiel Hitzeleitstellen, Hitzewarn- und Alarmsysteme für Risikogruppen.
Kostenfreier Ratgeber zu den Folgen des Klimawandels
Anlässlich des UN-Klimagipfels informiert die Herzstiftung Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Interessierte in dem kostenfreien Ratgeber „Überleben – Hitze, Klimawandel und andere Probleme“ über die Folgen des Klimawandels für die kardiovaskuläre und seelische Gesundheit und gibt darin Tipps zur Vorsorge und zum richtigen Umgang mit den Klimaveränderungen. Der Ratgeber kann kostenfrei unter Telefon 069-955128-400 oder unter https://herzstiftung.de/bestellung bestellt werden.
Gravierende Bedrohung für die Gesundheit
Mit großer Sorge verfolgt die Deutsche Herzstiftung die Auswirkungen der Klimaveränderungen auf das Wohl und die Gesundheitssituation von Millionen Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen und anderen chronischen Leiden in Deutschland. Anlass dazu geben allein die Sterblichkeitszahlen des Robert Koch-Instituts (RKI) in den Sommermonaten der Jahre 2018 bis 2020 und 2022 mit ungewöhnlich hohen Temperaturen.
Die Schätzungen des RKI ergeben eine hitzebedingte Übersterblichkeit von 8700 Sterbefällen 2018 und 6900 im Jahr 2019 sowie 4500 hitzebedingte Todesfälle im Sommer 2022. „Hitzeereignisse stellen eine massive Bedrohung für die Gesundheit der Menschen in Deutschland dar“, warnt Herzspezialist Meinertz, vor seiner Emeritierung langjähriger Ärztlicher Direktor des Universitären Herzzentrums Hamburg.
Klimawandel gefährdet mit schädlichem Doppel
Der Klimawandel wirkt sich in vielfältiger Weise aus, vor allem aber über zwei Einflussgrößen: Luftverschmutzung und zunehmende Hitze. Hitze und Luftschadstoffe beeinflussen sich dabei gegenseitig. So bilden sich aufgrund von Sonneneinstrahlung, Hitze und Trockenheit vermehrt Feinstaub und der gasförmige Schadstoff Ozon. Feinstaub und gasförmige Schadstoffe gelangen über die Atemwege (Bronchien) in die Lungenbläschen. Diese Fremdgase und Fremdstoffe aktivieren in den unteren Atemwegen Fresszellen, die Fremdkörpermaterial in den Atemwegen beseitigen. Dies führt zu einer Entzündungsreaktion.
Die Fresszellen bilden zudem aus den eingeatmeten Gasen und Partikeln freie Radikale, hochreaktive Moleküle, die körpereigene Stoffe mit Sauerstoff verbinden. Die dadurch verstärkte Entzündungsreaktion greift auf das gesamte Lungengewebe und später auf den gesamten Körper über. Diese „Low-Level-Entzündungsreaktion“ ist die Antwort des Körpers auf einen chronischen Entzündungsreiz und lässt die Arteriosklerose (Gefäßverkalkung) in allen Gefäßen fortschreiten.
Menschen mit Gefäßschäden stark gefährdet
„Gerade bei Menschen, die bereits Gefäßschäden aufweisen und die chronischer Luftverschmutzung ausgesetzt sind, kann sich die Situation so verschlechtern, dass es vorzeitig zu Herzinfarkt oder Schlaganfall kommt“, erläutert Meinertz und fügt hinzu: „Aber auch der akute Kontakt mit stark verschmutzter Luft kann ernsthafte Folgen für das Herz-Kreislauf-System haben. Abgase, insbesondere von Dieseltreibstoff, können die Blutplättchen von Patienten mit koronarer Herzkrankheit, kurz KHK, aktivieren und so zum Entstehen eines Herzinfarktes beitragen.“ Nach Expertenschätzungen ist bei etwa fünf Millionen Menschen in Deutschland eine KHK bekannt.
Darum sind hohe Temperaturen gefährlich für Herz und Kreislauf
Unser Organismus kann normalerweise für seine Kühlung sorgen und sich vor Hitze schützen: durch Erweitern der Gefäße und durch Schwitzen. Bei Hitze werden die Blutgefäße der Haut beispielsweise weit gestellt, damit Wärme nach außen abgegeben werden und der Körper abkühlen kann. Hierdurch sinkt zugleich der Blutdruck, was das Herz dazu veranlasst, schneller zu schlagen.
Zur Regulation der Temperatur dient außerdem das Schwitzen. Mit dem Verdunsten des Schweißes verliert der Körper Flüssigkeit und Elektrolyte (Blutsalze, etwa Kalium und Natrium) – der Körper trocknet aus, wenn der Verlust nicht durch Trinken ausgeglichen wird. Ohne diesen Ausgleich verändern sich die Fließeigenschaft und die Gerinnungsfähigkeit des Blutes. „Das kann bei Hitze das Risiko für Herzinfarkt, Schlaganfälle, Venenthrombosen und Lungenembolien erhöhen“, so Meinertz.
Hält eine Hitzeperiode länger an, sind unsere natürlichen Kühlsysteme im Dauereinsatz. Ein gesunder Mensch toleriert das mehr oder weniger gut. „Aber Personen mit Herz-Kreislauf-Problemen wie Bluthochdruck oder Herzschwäche können anhaltende Hitzephasen mit über 30 Grad Celsius erhebliche gesundheitliche Schwierigkeiten bereiten“, erklärt Kardiologe Meinertz.
Klimaschutz ist Gesundheitsschutz
Gegen die Klimakrise sind Maßnahmen zum Schutz des Klimas und zur Anpassung an das veränderte Klima gleich wichtig. Zum Klimaschutz müssen Treibhausgase und Feinstaub verringert werden. Das hilft unserer Gesundheit, der Umwelt und dem Klima – und auch der Wirtschaft, weil sich die Maßnahmen langfristig auch ökonomisch auszahlen. Beispiele für notwendige Maßnahmen zur Klimaanpassung sind:
- die Aufklärung der Bevölkerung über die Risiken von Klimaveränderungen und über notwendige Verhaltensmaßnahmen (bei chronischer Erkrankung und Hitzewelle z. B. Konsultation des Arztes hinsichtlich Medikamentenanpassung; bei Lungen-/Atemwegsproblemen medizinische Vorkehrungen bei Wohnort in Waldbrandregion),
- das Umsetzen von Hitzeaktionsplänen sowie Investitionen in spezielle Infrastrukturen, beispielsweise klimatisierte öffentliche Räume, Hitzeleitstellen oder Hitze-/Extremwetterwarn- und Alarmsysteme,
- eine Stadtplanung für möglichst viele Grünflächen und Luftschneisen gegen besonders hohe Temperaturen in den Innenstädten sowie Ausrichten der Verkehrsinfrastruktur zugunsten öffentlicher Verkehrsmittel, Rad- und Fußwege.
Großer Handlungsbedarf in Deutschland
„Bei einigen der genannten Handlungsempfehlungen besteht in Deutschland allerdings ein großer Nachholbedarf“, sagt der Internist Dr. Ludwig Brügmann, Gründungsmitglied der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG). Nur wenige Kommunen hätten bislang Hitzeaktionspläne verabschiedet und umgesetzt.
Deutschland sei bundesweit auf große Hitze nicht vorbereitet – „im Gegensatz zu Frankreich, wo Hitzeschutz gesetzlich verankert ist, sodass die Kommunen verpflichtet sind, bei großer Hitze klimatisierte öffentliche Räume und Trinkwasser kostenlos zur Verfügung zu stellen und gefährdete Bevölkerungsgruppen zu warnen und zu betreuen“, so Brügmann. Vorreiter in Sachen Hitzeschutz sei hierzulande Berlin.
Wer sich ums Klima kümmert, ändert oft positiv den Lebensstil
Nach dem Prinzip „Klimaschutz ist Gesundheitsschutz“ lassen sich Verhaltensänderungen für Klimaschutz teilweise gut mit gesundheitsförderlichen Effekten verbinden. „Wer sich durch einen neuen Lebensstil gegen den Klimawandel engagiert, verbessert zugleich durch Umstellung der Ernährung, etwa auf die herzgesunde Mittelmeerküche, und vermehrte körperliche Aktivität seinen Gesundheitszustand“, sagt Prof. Meinertz.
Die Politik müsse allerdings die Basis dafür schaffen, dass Verhaltensumstellungen sowie Maßnahmen der Klimaanpassung kein Privileg nur für finanziell besser gestellte Bevölkerungsgruppen sind. Nur dann ist eine nachhaltige umwelt- und klimaverträgliche Entwicklung – noch – möglich und machbar. pm