HIVISION 100 fordert: Es muss einfacher werden, sich auf HIV testen zu lassen. Mobile Testangebote sollten ausgebaut werden – nach dem Motto: Kommt der Mensch nicht zum Testen, muss der Test zum Menschen kommen. Foto: gamjai/stock.adobe.com

Welt-AIDS-Tag: Deutschland muss sich nicht nur bei HIV-Tests steigern

UNAIDS hat sich viel vorgenommen – und das nicht nur am Welt-Aids-Tag am 1. Dezember: Bis 2030 soll die HIV-Epidemie weitgehend beendet sein. In den verbleibenden sechs Jahren muss noch viel passieren, denn immer noch infizieren sich weltweit jedes Jahr rund 1,3 Millionen Menschen neu. Auch Deutschland muss einen Endspurt hinlegen: Die HIV-Testraten sind zu niedrig; zu viele Menschen mit HIV fallen durch das Raster. Die Initiative HIVISION100 will das ändern.

Deutschland scheitert wohl an UNAIDS-Zwischenzielen

Die große Angst vor Aids – die Zeiten sind hierzulande zum Glück vorbei. Das hat viele Gründe. Der wichtigste: Das HI-Virus ist zwar nicht besiegt, kann aber mit den heutigen Arzneimitteltherapien so eingedämmt werden, dass Menschen mit HIV ein nahezu normales Leben führen und auch niemanden mehr anstecken können.

Eine gute Nachricht, wie Pharma-Fakten.de berichtet. Allerdings sind HIV und AIDS weitgehend aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden. Dr. Roger Vogelmann, Schwerpunktarzt für HIV-Medizin, sagt: „Das Thema ist für die Mehrheit der Bevölkerung nicht relevant und spielt in den Medien, außer am Welt-AIDS-Tag, nahezu keine Rolle. Leider sind sich auch die Menschen mit potentiellem Risiko diesem nicht bewusst.“ Das hat Folgen: Nach heutigem Stand erreicht Deutschland die Zwischenziele von UNAIDS nicht, nach denen bis 2025…

…95 Prozent aller Menschen mit HIV von ihrem positiven Status wissen,

…davon 95 Prozent eine antiretrovirale Therapie erhalten,

…und davon bei wiederum 95 Prozent die Viruslast unter der Nachweisgrenze liegen soll.

Deutschland schwächelt bei HIV-Diagnoserate

Auf den ersten Blick klingt es nicht sehr herausfordernd, die Diagnoserate um 5 oder mehr Prozentpunkte zu erhöhen. Doch die Menschen müssen erstmal erreicht werden, weiß der Infektiologe Dr. Martin Viehweger: „Vor allem Menschen in weniger privilegierten Lebenssituationen haben weniger Zugang zu Information, Aufklärung, Testung, Begleitung. Dazu können ländliche Regionen, aber auch Erfahrungen mit Diskriminierung, Gewalt und/oder Ausgrenzung sowie Marginalisierung zählen – oder einfach der fehlende Zugang zu Information und Testangeboten.“ Denn auch das ist ein Thema: Viele Betroffene leiden stärker unter dem Stigma der Erkrankung als unter der Erkrankung selbst.

Deutschland schwächelt beim ersten Ziel; die Diagnoseraten stagnieren bei 90 Prozent. Das bedeutet, dass rund 8600 Menschen in Deutschland nicht wissen, dass sie infiziert sind. Sie gefährden massiv ihre Gesundheit, denn in der HIV-Medizin gilt die Regel: „Hit hard and early.“ Nur mit hochwirksamen Kombinationstherapien ist dem HI-Virus zu Leibe zu rücken („hard“); nur mit einem möglichst frühen Behandlungsbeginn lassen sich Komplikationen vermeiden („early“). Nur dann kann ein Mensch mit HIV die Lebenserwartung eines Gesunden erreichen.

HIV-Epidemie beenden? Konsequenz fehlt   

Das Paradoxe: Alle Instrumente sind vorhanden, um das Virus einzudämmen. Zwar beißt sich die Forschung an der Entwicklung von HIV-Impfstoffen seit rund drei Jahrzehnten die Zähne aus. Aber die Kombination aus wirksamen Arzneimitteln zur Therapie, zur Prä- bzw. Postexpositionsprophylaxe (PrEP, PEP) und die Testmöglichkeiten reichen im Grunde aus, um die Epidemie massiv einzudämmen. Was fehlt, ist: Konsequenz.

Wo liegen die Hürden? Das wollten sie bei Gilead Sciences wissen. Das Biotech-Unternehmen hat in der Behandlung von Menschen mit HIV mehrfach Geschichte geschrieben. Deshalb haben sie dort HIVISION100 ins Leben gerufen. Um all das Wissen und die Erfahrung an einen Tisch zu bringen. Um einen Plan zu entwickeln, wie Deutschland die UN-Ziele noch erreichen oder übertreffen kann. Um dem Virus seine Grenzen aufzuzeigen.

Den Anfang machte eine Online-Umfrage (siehe Grafik). „Was hindert uns an einer höheren Diagnoserate?“ wurden Experten aus Medizin, Apotheke und Community gefragt. Das zeigte: Es gibt strukturelle Hürden (zu wenige Testangebote, ein Stadt-Landgefälle in der Versorgung, geringe mediale Präsenz), es gibt Hürden in der Praxis (zum Beispiel Schwierigkeiten beim Erkennen früher Symptome) und es gibt Hürden auf Bevölkerungsebene. Das sind vor allem mangelndes Wissen, eine sich daraus ableitende geringe Risikowahrnehmung und folglich eine geringe Bereitschaft, sich testen zu lassen.

Quelle: HIVISON100/Grafik: Pharma-Fakten.de

HIV-Diagnosen erhöhen: Drei Fokusbereiche

Diese Ergebnisse waren der Startpunkt, um Maßnahmen zu entwickeln, damit die HIV-Diagnoseraten steigen. Dabei wurden drei Fokusbereiche identifiziert:

Vernetzung

Dahinter steht der Gedanke, dass Experten voneinander lernen und ihre Erfahrungen austauschen können – auch indikationsübergreifend. Infektiologin Katharina Cron: „Man muss nicht immer das Rad neu erfinden und vor allem braucht es Synergien aus verschiedensten Richtungen für die Sisyphosaufgabe ,Erhöhung der Diagnoserate‘.“ Ein Nationales HIV-Forum als jährlich wiederkehrendes Event könnte die auf Projektebene gemachten Erfahrungen allen zur Verfügung stellen. Das sind Projekte wie Netzwerk Plus der Frankfurter Aids-Hilfe, die eine Online-Fortbildungsreihe entwickelt hat, um die Vernetzung und Fortbildung zu stärken – und damit dazu beiträgt, dass Menschen mit HIV besser versorgt werden.

Vereinfachung

Es muss einfacher werden, sich testen zu lassen. Das gilt vor allem für die ländlichen Gebiete, wo nicht nur ärztliche Angebote seltener sind, sondern auch ein anderes Thema präsenter ist, wie Diplom-Pädagogin Ulrike Alban weiß: „HIV wird auf dem Land meist stärker stigmatisiert als in Städten. So schämen sich viele über sexuell übertragbare Krankheiten zu sprechen.“ Mobile Testangebote sollten ausgebaut werden – nach dem Motto: Kommt der Mensch nicht zum Testen, muss der Test zum Menschen kommen.

Bildung und Fortbildung

Es fehlt an Wissen und an vernetztem Wissen. Das aber ist elementar, um die Menschen dazu zu bewegen, sich testen zu lassen. Miteingebunden werden sollten etwa Hebammen, Physiotherapeuten, Sozialarbeiter und Pflegekräfte. Dazu hat das Steering Committee von HIVISION100 ein ganzes Bündel von Ideen zusammengetragen: Das geht von gezielten Infokampagnen für einzelne Berufsgruppen über Social-Media-Kampagnen bis hin zu Angeboten für Schulen. Aufklärung und Fortbildung sind „Dauerbaustellen“, sagt Siegfried Schwarze, Vorstand von Projekt Information e.V.: „Fortlaufend wachsen junge Menschen heran, denen HIV und Aids neu erklärt werden müssen.“ Das Motto von Projekt Information: „Das schlimmste an AIDS ist, über AIDS nichts zu wissen.“

HIVISION100: Menschen testen und behandeln

HIVISION100 ist das gebündelte Wissen jener, die im ganzen Land jeden Tag dafür sorgen, dass Menschen mit HIV getestet und gut behandelt werden. HIVISION100 ist ein Angebot, das Gilead vor allem mit politischen Entscheidungsträgern diskutieren will: „Wir engagieren uns schon seit Jahrzehnten im Kampf gegen HIV und AIDS“, sagt Martin Flörkemeier, Senior Director Public Affairs. „Es ist gelungen, aus einer tödlich verlaufenden Infektion eine chronische Erkrankung zu machen. Aber: Innovative Therapien reichen nicht aus. Deshalb wollen wir mit HIVISION100 die Diagnoserate so weit wie möglich in Richtung 100 Prozent bringen. Das schaffen wir nicht allein. HIV zu beenden, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.“

Ob die (fast) 100 Prozent realistisch sind? „Warum nicht? Wir haben die benötigten Instrumente, um die HIV-Epidemie zu beenden“, erklärt Dr. Christian Macher, Deutschland-Chef von Gilead. „Es liegt nun an allen Beteiligten, egal ob Pharmafirma, Ärzteschaft, Patientenvertretung oder Politik, ob wir dazu gemeinsam die Kraft aufbringen werden.“    Pharma-Fakten