Offene Meldungen aus den Vorjahren mit eingerechnet gibt es derzeit bei 477 Arzneimitteln Lieferschwierigkeiten. Foto: bnenin/stock.adobe.com

Warten aufs wichtige Medikament: Keine Entspannung bei Lieferengpässen  

Die Liste der Medikamente und Wirkstoffe, bei denen es in Deutschland Lieferengpässe gibt, ist derzeit besonders lang. Insgesamt listet das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte für 2023 fast 500 Erstmeldungen von Medikamenten-Lieferengpässen – davon sind indes nicht mehr alle aktuell. Offene Meldungen aus den Vorjahren mit eingerechnet gibt es derzeit bei 477 Arzneimitteln Schwierigkeiten.

Der mit Abstand wichtigste Grund für Lieferengpässe sind Produktionsprobleme – davon sind 161 Medikamente betroffen. Als wichtige Ursache für die schwierige Versorgungslage gilt die Globalisierung: „68 Prozent der Produktionsorte von Wirkstoffen, die für Europa bestimmt sind, liegen im kostengünstigeren Asien“, heißt es in einer Studie des Pharmaverbands vfa. „Wir erwarten eine Steigerung der Lieferdefizite“, prognostizierte Thomas Preis, Vorsitzender des Apothekerverbandes Nordrhein, im Dezember 2022 dem Bayerischen Rundfunk.  

Quelle: Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte/Grafik: Statista.com

Stark globalisierte und spezialisierte Herstellung von Arzneimitteln

Der Politik ist das Problem durchaus bewusst. Die Bundesregierung will die Versorgung mit Arzneimitteln in Deutschland sicherstellen. Denn hier gab es in den vergangenen Jahren deutlich ansteigende Lieferengpässe – insbesondere bei den patentfreien Arzneimitteln. Um Lieferengpässen entgegenzuwirken, ist es wichtig, die Vielfalt der Arzneimittel-Anbieter zu erhöhen und damit die Arzneimittel-Lieferketten mehr zu diversifizieren.

Lieferengpässe gehören in Deutschland leider schon seit einigen Jahren zum Alltag. Die Ursachen dafür sind vielschichtig und liegen unter anderem in den Strukturen der stark globalisierten und spezialisierten Arzneimittelherstellung. Für manche Wirkstoffe gibt es nur noch wenige Hersteller weltweit. Produktionsausfälle oder Qualitätsprobleme in einer einzelnen Anlage können dann bereits ausreichen, die Arzneimittelversorgung der Patientinnen und Patienten in Europa zu gefährden.

Wenn aus Lieferproblemen ein Versorgungsengpass wird

Eine Umfrage der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) im Jahr 2017 hat ergeben, dass 90 Prozent der Apotheken in einem Zeitraum von drei Monaten Engpässe mit potentiellen Gesundheitsfolgen für Patienten zu verzeichnen hatten. Ist ein bestimmtes Medikament eines bestimmten Herstellers nicht lieferbar, kann es zum Glück oft durch ein wirkstoffgleiches Präparat eines anderen Herstellers ersetzt werden, ohne dass die Arzneimitteltherapie des Patienten beeinträchtigt wird. Gibt es allerdings keine gleichwertigen Alternativen und kann der Patient nicht angemessen versorgt werden, wird aus dem Lieferengpass ein Versorgungsengpass.

„Lieferengpässe, Personalnot und eine seit Jahren bestehende Unterfinanzierung. Weil die Bundesregierung in ihren Gesetzesvorhaben immer wieder die Probleme der öffentlichen Apotheken übergeht, destabilisiert sie die Arzneimittelversorgung in Deutschland. Seit Monaten weisen wir in persönlichen Gesprächen, Interviews und PR-Kampagnen auf die brisante Lage hin. Die Apothekenteams retten jeden Tag Leben, in dem sie alternative Präparate für nicht verfügbare Arzneimittel beschaffen. Anstatt die flächendeckende Versorgung mit Arzneimitteln über die Apotheken vor Ort zu stabilisieren, wird sie geschwächt. Jeden Tag müssen Apotheken schließen“, erklärt Gabriele Regina Overwiening, Präsidentin der ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände.  

Erheblicher Aufwand für Apotheken

Das Management von Lieferengpässen ist für Apotheken mit erheblichem Aufwand verbunden. Sie arbeiten täglich daran, dass aus Lieferengpässen bei einzelnen Medikamenten keine Versorgungsengpässe für ganze Patientengruppen entstehen. Wenn ein bestimmtes Präparat nicht verfügbar ist, muss der Apotheker ein wirkstoffgleiches Medikament beschaffen oder mit dem Arzt wegen eines neuen Rezeptes für einen anderen Wirkstoff in Kontakt treten. Schließlich soll und darf kein Patient unversorgt bleiben.

„Dafür muss die Politik den Apotheken allerdings auch die nötigen Handlungsfreiheiten einräumen. Unter anderem diese Forderung hat die Standesvertretung der Apotheker in einem 10-Punkte-Forderungskatalog aufgestellt. Wichtig ist auch, dass die Apotheken nicht retaxiert werden, wenn sie aufgrund eines Lieferengpasses ein Präparat austauschen. Für das Management der Arzneimittel-Lieferengpässe benötigen die Apotheken zudem eine ausreichende Vergütung“, erklärt > ABDA auf der Verbandswebseite

Bundesweiter Apotheken-Protesttag am 14. Juni

Mit dem sogenannten Lieferengpass-Gesetz will die Ampel-Koalition die Arzneimittelversorgung stabilisieren und die Lieferengpass-Krise entschärfen. Aus Sicht der Apothekerschaft eignen sich die von der Bundesregierung im Gesetzentwurf vorgelegten Maßnahmen allerdings weder dazu, die Versorgung der Patienten zu verbessern, noch dazu die Lage der Apotheken als erste, wohnortnahe Anlaufstelle in der Arzneimittelversorgung zu unterstützen. Die ABDA hat Vertreter der Bundesregierung und der Regierungsfraktionen in zahlreichen Gesprächen auf die schwierige Lage in den Apotheken hingewiesen. Ein Einlenken seitens der Politik ist bislang aber nicht zu erkennen. Deswegen hat die ABDA den 14. Juni zum bundesweiten Protesttag erklärt. An diesem Tag soll die Versorgung nur noch über die Notdienstapotheken aufrechterhalten werden. Mathias Brandt/Statista.com/ABDA/pm/tok