Am 14. Juni werden viele Apotheken in ganz Deutschland streiken. Die Arzneimittelversorgung bleibt zwar aufrechterhalten – allerdings nur über die Notdienstapotheken. Foto: bnenin/stock.adobe.com/ABDA Bundesvgg. Dt. Apothekerverbände/Montage-PZ

Apotheken streiken in Deutschland: „Das System wird seit Jahren kaputtgespart“

Am 14. Juni werden viele Apotheken in ganz Deutschland streiken. Die Apotheken schließen und erklären den Mittwoch zum bundesweiten Protesttag. Die Arzneimittelversorgung bleibt zwar aufrechterhalten – allerdings nur über die Notdienstapotheken. Die Apothekerschaft reagiert damit auf gesundheitspolitische Entscheidungen der Bundesregierung.

„Jeden Tag müssen Apotheken schließen“

„Für unseren Berufsstand steht fest: Die Bundesregierung hat diesen Protesttag provoziert“, erklärt die Präsidentin der ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, Gabriele Regina Overwiening. „Lieferengpässe, Personalnot und eine seit Jahren bestehende Unterfinanzierung. Weil die Bundesregierung in ihren Gesetzesvorhaben immer wieder die Probleme der öffentlichen Apotheken übergeht, destabilisiert sie die Arzneimittelversorgung in Deutschland. Seit Monaten weisen wir in persönlichen Gesprächen, Interviews und PR-Kampagnen auf die brisante Lage hin. Die Apothekenteams retten jeden Tag Leben, in dem sie alternative Präparate für nicht verfügbare Arzneimittel beschaffen. Anstatt die flächendeckende Versorgung mit Arzneimitteln über die Apotheken vor Ort zu stabilisieren, wird sie geschwächt“, so Overwiening.

Und die ABDA-Präsidentin legt nach: „Jeden Tag müssen Apotheken schließen. Hochschulabsolventinnen und -absolventen unseres Faches können sich immer seltener den Gang in die Selbständigkeit vorstellen, vor allem, weil die wirtschaftliche Perspektive fehlt. Darauf müssen wir aufmerksam machen.“

„Für uns ist es wichtig, dass die Menschen verstehen, dass wir auf deren Seite stehen. Es geht darum, die Politiker aufzuwecken, um das Ruder herumzureißen. Weitere 3000 Apotheken schreiben schon rote Zahlen, weitere Apothekenschließungen sind also in nächster Zukunft zu erwarten.“

Apothekerin Stephanie Isensee von der Pregizer Apotheke am Pforzheimer Leopoldplatz gegenüber Vital-Region.de

„Die Politik muss zum Handeln aufgefordert werden“

Dr. Hans-Peter Hubmann, Vorsitzender des Deutschen Apothekerverbandes (DAV), fügt hinzu: „Trotz steigender Kosten und der Inflationsentwicklung haben die Apotheken in den vergangenen zehn Jahren keine Honoraranpassung erhalten. So kann es nicht weitergehen. Wir müssen die Bevölkerung und die Politik dringend auf unsere schwierige Lage hinweisen. Ich fordere daher alle Kolleginnen und Kollegen dazu auf, sich am bundesweiten Protesttag, dem 14. Juni, zu beteiligen.“ Weiter erklärt Hubmann: „Wir müssen der Gesellschaft zeigen, wie groß die Bedeutung der Apotheken für die Versorgung ist und wie dramatisch es wäre, wenn noch mehr Apotheken als verlässliche, soziale Anlaufstellen vor Ort für immer verschwinden würden.“

„Die Politik muss zum Handeln aufgefordert werden, damit Ihre Arzneimittel und die Ihrer Kinder nicht fehlen. Das System wird seit Jahren kaputtgespart.“

Apothekerin Stephanie Isensee von der Pregizer Apotheke am Pforzheimer Leopoldplatz in einem Flyer für ihre Kunden

Die Pforzheimer Apothekerin Stephanie Isensee (Pregizer Apotheke) wird konkret: „Nahezu 500 verschiedene Wirkstoffe bekommen wir einfach nicht: Fieberarzneimittel für Kinder, viele Antibiotika, auch für Kinder, Blutdrucksenker und Krebsmittel und viele andere mehr.“ Zur Versorgungslücke komme noch die wirtschaftliche Situation der Apotheker hinzu, denn seit über zehn Jahren stehe eine Honoraranpassung für Apotheken aus. „Deshalb schließt alle 27 Stunden eine weitere Apotheke“, so Stephanie Isensee. Ihr Wunsch: Möglichst viele Kunden sollen sich nicht nur am Streiktag bei ihrer Krankenkasse und bei ihren Bundestagsabgeordneten beschweren.

Die ABDA hat zum Protesttag jetzt ihre Mitgliedsorganisationen informiert – auch über die zahlreichen Unterstützungsmaßnahmen, die es seitens der Bundesvereinigung in den kommenden Wochen geben wird. Die Kammern und Verbände wiederum kommunizieren derzeit dazu mit den Apotheken in allen Bundesländern. Auch der diesjährige „Tag der Apotheke“ am 7. Juni wird im Zeichen des politischen Protests stehen. „Kommen Sie mit Ihren Patientinnen und Patienten ins Gespräch, erklären Sie, warum der Protest aller Apotheken die einzige Möglichkeit ist, uns gegenüber der Politik nachhaltig Gehör zu verschaffen. Reden Sie an diesem Tag auch verstärkt mit ihren Lokalpolitikerinnen und -politikern und mit den Medien“, sagt auch DAV-Vorsitzender Hubmann.

Quelle: ABDA/Grafik: Statista.com

Apothekenzahl fällt stetig

18.068 Apotheken gab es Ende 2022 in Deutschland. In den ersten Monaten des laufenden Jahres sollen laut Pressemitteilung der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) über 100 weitere Apotheken geschlossen haben. Die Zahl der Apotheken in Deutschland ist bereits seit Jahren rückläufig – gegenüber dem Jahr 2000 ist sie um 16,3 % gesunken.

Gründe für die Entwicklung sind aus Sicht der Branchenvertreter steigender Kostendruck und Probleme bei der Vergütung. „Die Apotheken brauchen endlich eine angemessene Vergütung! Daher fordern wir eine Erhöhung des in der Arzneimittelpreisverordnung festgelegten Honorars von derzeit 8,35 Euro auf 12 Euro. Und dieses Fixum muss nach zehn Jahren Stillstand regelhaft und automatisiert an die Kostenentwicklung angepasst werden“, so Hubmann. Die ABDA warnt schon seit einigen Jahren vor drohenden Problemen bei der flächendeckenden Arzneimittelversorgung. 2021 kamen in Deutschland auf 100.0000 Einwohner 22 Apotheken – EU-weit waren es im selben Jahr 32.

Quelle: Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte/Grafik: Statista.com

Lieferengpässe bei Medikamenten

Die Liste der Medikamente und Wirkstoffe, bei denen es in Deutschland Lieferengpässe gibt, ist derzeit besonders lang. Insgesamt listet das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte für 2022 über 650 Erstmeldungen von Medikamenten-Lieferengpässen – davon sind indes nicht mehr alle aktuell. Offene Meldungen aus den Vorjahren mit eingerechnet gibt es derzeit bei 335 Arzneimitteln Schwierigkeiten. Zu den wichtigsten Gründen zählen erhöhte Nachfrage (79) und Probleme in der Herstellung (65).

„Wir erwarten eine Steigerung der Lieferdefizite“, so Thomas Preis, Vorsitzender des Apothekerverbandes Nordrhein gegenüber dem Bayerischen Rundfunk. Als wichtige Ursache für die Versorgungsprobleme gilt die Globalisierung: 68 Prozent der Produktionsorte von Wirkstoffen, die für Europa bestimmt sind, liegen im kostengünstigeren Asien, heißt es in der Studie des Pharmaverbands vfa.

Quelle: Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte/Grafik: Statista.com

Versorgung mit Apotheken hierzulande unter EU-Schnitt

Mit 97 Apotheken pro 100.000 Einwohner hat Griechenland die größte Apothekendichte Europas, wie die Statistik der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) zeigt. Damit liegt das Land im Ranking weit vor allen anderen. Zypern auf dem zweiten Platz kommt auf 63, in Spanien sind es 47. Durchschnittlich gibt es in Europa 32 Apotheken je 100.000 Einwohner – Deutschland liegt mit nur 22 deutlich darunter. Die Anzahl der Apotheken in der Bundesrepublik schrumpft schon seit einiger Zeit: Während es im Jahr 2000 bundesweit noch mehr als 21.000 Apotheken gab, waren es 2022 nur noch etwa 18.000 – ein Rückgang von rund 16 Prozent.

Schlusslicht im Vergleich ist allerdings Dänemark, wo es nur neun Apotheken je 100.000 Einwohner sind. Ein Blick in die früheren Statistiken offenbart zudem einen deutlichen Rückgang der Apotheken-Zahl in vielen Nachbarländern Deutschlands. Besonders stark ist die Rate in Belgien gesunken – 2004 stand das Land noch bei 50 Apotheken pro 100.000 Einwohner, 2020 nur noch 41. Ein Grund für den Rückgang in vielen Staaten Europas ist der Aufstieg der Online-Apotheken und damit einhergehende Verschiebung der Käuferschaft in den digitalen Raum.

Quelle: Statista Global Consumer Survey/Grafik: Statista.com

Medikamente werden vor allem vor Ort besorgt

80 Prozent der für den Statista Global Consumer Survey in Deutschland befragten Menschen haben von Oktober 2021 bis September 2022 in einer lokalen Apotheke Medikamente gekauft. Die Grafik zeigt, dass Arzneimittel in Europa vor allem vor Ort besorgt werden. Am höchsten ist der Anteil mit über 90 Prozent in Spanien und Polen.

Die herausgehobene Bedeutung der Apotheke vor Ort zeigen auch Zahlen der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände. Demnach setzen diese hierzulande jährlich rund 60 Milliarden Euro um. Zum Vergleich: Die ecommerceDB beziffert den Erlös der Top-10-Online-Apotheken in Deutschland 2021 auf 2,2 Milliarden Euro.  pm/Statista.com/tok