Es gibt Hunderte von Stoffwechselerkrankungen. Darunter sind seltene, meist angeborene und teils tödlich verlaufende Krankheiten, für die es durch jüngste Erfolge in der pharmazeutischen Forschung neue und auch effektive Therapien gibt. Foto: Sebastian/stock.adobe.com
Von Enzymersatz bis Gentherapie: Auch seltene Stoffwechsel-Erkrankungen effektiv behandeln
Von A wie Acetonurie bis Z wie Zellweger-Syndrom: Es gibt Hunderte von Stoffwechselerkrankungen. Darunter häufige wie Diabetes oder seltene, meist angeborene wie Morbus Gaucher, eher harmlose wie die Laktoseintoleranz oder schwerwiegende wie der Aromatischer L- Aminosäure- Decarboxylase-Mangel (AADC-Mangel).
Die gute Nachricht: „Dank der Forschungsleistungen der pharmazeutischen Industrie steht heutzutage eine ganze Bandbreite von Therapien zur Verfügung: von freiverkäuflichen Produkten über Enzym-Ersatztherapien bis hin zur Gentherapie“, sagt Matthias Wilken, Geschäftsführer Market Access, Märkte und Versorgung beim Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e.V. (BPI). So können viele Menschen mit einer Stoffwechselerkrankung ein Leben mit nur wenigen Einschränkungen führen, und haben vielleicht sogar dieselbe Lebenserwartung wie Menschen ohne diese Erkrankung.
Da aktiv werden, wo sich giftige Stoffe anreichern
Über den Stoffwechsel gewinnt der Körper Energie, der Stoffwechsel lässt den Organismus wachsen. Sei es beim Zucker-, Eiweiß-, Fett- oder Mineralstoffwechsel: Für jeden Schritt beim Stoffwechsel ist ein bestimmtes Enzym zuständig. „Ist es defekt, können Stoffe vom Körper nicht mehr adäquat verwertet werden. In der Folge reichern sich Stoffe an Stellen an, wo sie nicht hingehören, oder es bilden sich giftige Substanzen, die der Körper nicht abbauen kann“, erklärt Dr. Wilken.
Ein bekanntes Beispiel ist die Laktoseintoleranz, die den Zuckerstoffwechsel betrifft: Milchzucker (Laktose) führt bei den Betroffenen zu Verdauungsproblemen, weil ihr Körper zu wenig oder gar keine Laktase produziert – ein Enzym, das den Milchzucker aufspaltet und damit für den Körper verträglich macht. Für die Betroffenen heißt das: auf eine laktosearme Ernährung umsteigen und beim Genuss von Milchprodukten zusätzlich ein Laktase-Präparat einnehmen.
Enzym-Ersatztherapie bei Morbus Gaucher
Bei einigen seltenen Stoffwechselerkrankungen, die meistens angeboren sind, kann eine Enzym-Ersatztherapie die Beschwerden lindern. Bei Morbus Gaucher zum Beispiel: Weil den Menschen mit dieser Erkrankung ein bestimmtes Enzym fehlt, lagern sich spezielle Moleküle des Fettstoffwechsels in Leber, Milz, Knochenmark und anderen Organen ab. „Den Patientinnen und Patienten wird das fehlende Enzym in die Blutbahn gegeben, so dass sich Symptome wie Leberprobleme, Knochenschmerzen oder Blutungsneigung deutlich verbessern“, erläutert Dr. Wilken.
Auch ein weiterer Ansatz, die sogenannte Substratreduktionstherapie, verschafft Abhilfe: „Bei Menschen mit Morbus Gaucher sammelt sich eine unerwünschte Substanz im Körper an, weil sie von dem fehlenden Enzym nicht aufgespalten wird“, erklärt der BPI-Experte. Arzneimittel hemmen die Bildung dieser Substanz. Im Unterschied zur Enzym-Ersatztherapie, die als Infusion gegeben wird, nehmen die Betroffenen bei der Substratreduktionstherapie das Arzneimittel als Kapseln über den Mund ein.
CFTR-Modulatoren bei Mukoviszidose verlängert Leben
Mukoviszidose ist eine ebenfalls seltene, wenn auch allgemein bekanntere Stoffwechselerkrankung, bei der das sogenannte CFTR-Gen defekt ist. In der Folge führt ein mangelhafter Salz- und Wasseraustausch von Zellen zu zähflüssigem Schleim, der lebenswichtige Organe wie Lunge oder Bauchspeicheldrüse verstopft. Die Therapie sieht vielfältig aus: angepasste Ernährung, Inhalationen, Atemübungen, Sport und Physiotherapie sowie Arzneimittel mit Ersatz-Enzymen.
„Eine neuere Entwicklung ist die Therapie mit CFTR-Modulatoren, die auf die verschiedenen Mutationen des defekten Gens zugeschnitten sind. Die Lebenserwartung liegt für ein heute Neugeborenes mit Mukoviszidose bei 57 Jahren und damit mehr als doppelt so hoch wie noch 1980, wo die Betroffenen im Schnitt nicht älter als 25 Jahre alt wurden“, sagt Dr. Wilken.
Gentherapie bei AADC-Mangel
Wie bei der Mukoviszidose beruhen die meisten seltenen Stoffwechselerkrankungen auf einem erblich bedingten Gendefekt. Beim AADC-Mangel zum Beispiel ist das Gen eines Stoffwechsel-Enzyms namens Aromatische L-Aminosäure- Decarboxylase beschädigt, sodass die Motorik, aber auch die geistigen Fähigkeiten der betroffenen Kinder schwer beeinträchtigt sind. Eine Gentherapie schleust eine korrekte Kopie des Gens in das Bewegungszentrum des Gehirns ein. Der Körper kann nun das Enzym selbst herstellen, so dass die Kinder eine Chance haben, sich besser zu entwickeln.
Die Gentherapie bedeutet damit eine neue Generation von Arzneimitteln: „Eine Gentherapie setzt an den Ursachen von schweren Erkrankungen an, die bisher nicht heilbar waren“, betont BPI-Experte Dr. Wilken.
ATMP – eine neue Generation von Arzneimitteln
Die Sehkraft kann erhalten werden. Kindern bleiben schwere Behinderungen erspart, an denen sie sterben würden. Oder bisher unbehandelbare Krebserkrankungen können für Jahre zurückgedrängt werden. Das sind Erfolge einer neuen Generation von Arzneimitteln: den ATMP.
ATMP, das bedeutet „Advanced Therapy Medicinal Products“, im Deutschen als „Arzneimittel für neuartige Therapien“ bezeichnet. Diese Arzneimittel bringen Hoffnung für viele schwerkranke Patienten, bei denen andere Therapien meist ausgeschöpft sind – oder für die es bisher keine Behandlungsmöglichkeiten gibt. Oft handelt es sich um genetisch bedingte, seltene Erkrankungen, oft sind Kinder betroffen.
„Ich habe schon viele Kinder mit angeborenen Erkrankungen sterben sehen“, sagt Prof. Dr. Ulrike Schara-Schmidt, Leiterin der Neuropädiatrie am Universitätsklinikum Essen. Sie behandelt zum Beispiel Kinder, die an einer spinalen Muskelatrophie erkrankt sind. Aufgrund eines Gendefekts gehen bei den betroffenen Kindern alpha-Motoneurone im Vorderhorn des Rückenmarks zu Grunde – Nervenzellen, die für die Steuerung der Skelettmuskulatur zuständig sind. Muskelschwund bis hin zum Tod ist die Folge.
Körper stellt lebensnotwendigen Stoff selbst her
„Es ist unglaublich, welche Möglichkeiten die Gentherapie eröffnet“, so Schara-Schmidt. Durch eine Gentherapie wird der Körper in die Lage versetzt, einen lebensnotwendigen Stoff, der aufgrund eines Gendefekts fehlt, wieder selbst herzustellen. Oder Zellen des Immunsystems werden gentechnisch so aufgerüstet, dass sie Krebszellen erkennen und markieren können, so dass das Immunsystem sie zerstören kann.
„ATMP und insbesondere Gentherapien sind eine Generation von Arzneimitteln, die an den Ursachen einer Erkrankung ansetzen. Eine Heilung ist angestrebt“, sagt Dr. Matthias Wilken, Geschäftsführer Market Access, Märkte und Versorgung beim Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e.V. (BPI).
ATMP sind keine Tabletten und nicht chemisch definiert wie herkömmliche Arzneimittel, sondern bestehen aus Genen, Zellen oder Geweben. Diese biologischen Arzneimittel sind individuell auf die jeweilige Patientin oder den jeweiligen Patienten abgestimmt. Das Produkt wird gespritzt oder als Infusion verabreicht. Oft reicht eine einmalige Behandlung. ATMP unterteilen sich in drei Produktklassen: Gentherapeutika, somatische Zelltherapeutika und biotechnologisch bearbeitete Gewebeprodukte. Insgesamt sind bisher in Deutschland über 20 Arzneimittel (Listen beim Paul-Ehrlich-Institut) aus dem Bereich der ATMP zugelassen. BPI