Wenn das Gehirn querschießt – Umweltgifte und ein ungesunder Lebensstil erhöhen teils drastisch die Chance, Opfer einer Alzheimer- oder Parkinson-Erkrankung zu werden. Foto: Naeblys/stock.adobe.com
Umweltschadstoffe tragen zum Anstieg von Parkinson und Alzheimer bei
Der Anstieg neurodegenerativer Alterserkrankungen wie Alzheimer und Parkinson ist höher als erwartet. Die Prävalenz nimmt insbesondere bei Parkinson überproportional zu, also deutlich mehr, als allein durch die Überalterung der Gesellschaft erklärt werden kann. Offensichtlich spielen Lifestyle- und auch Umweltfaktoren eine Rolle.
Eine aktuelle Kohortenstudie zeigt, so berichtet es das DeutschesGesundheitsPortal, dass Jahrzehnte nach Exposition mit dem Lösungsmittel TCE das Parkinson-Risiko bei US-Veteranen um 70 % höher war als bei jenen, die dieser Substanz nicht ausgesetzt waren.
Demografischer Wandel bringt mehr Alzheimer- und Parkionsonerkrankte
Der demografische Wandel führt in der Gesellschaft zwangsläufig zu einer Zunahme altersassoziierter Erkrankungen, unter anderem der Alzheimer- und Parkinson-Erkrankung. Beide gehören zu den chronischen neurodegenerativen Erkrankungen, die bisher nicht heilbar oder kausal behandelbar sind. Die Erkrankungen haben zwar vordergründig unterschiedliche Symptome, es gibt jedoch verschiedene Gemeinsamkeiten, wie den Untergang von Neuronen mit progredienter Symptomatik. Bei beiden Erkrankungen treten auf molekularer Ebene fehlerhafte Proteinstrukturen auf (Beta-Amyloid, Tau-Protein und α-Synuclein), die sich (an unterschiedlichen Orten) im Gehirn ablagern und zum Nervenzellverlust beitragen. Die Forschung deckt immer mehr Details der molekularen Pathomechanismen auf.
Ungesunder Lebensstil fördert Demenz
Eine mögliche Ursache beider Erkrankungen sind Genmutationen, allerdings ist die Mehrzahl der Fälle ist nicht auf die Genetik zurückzuführen. Auch lebensstilbedingte Faktoren spielen nachweislich eine Rolle: Die Vermeidung beziehungsweise rechtzeitige adäquate Korrektur dieser Risikofaktoren könnte laut Bericht der „Lancet Commission“ etwa 40 % aller Demenzerkrankungen verhindern.
Zu diesen Faktoren zählen ein niedriger Bildungsstand, Schwerhörigkeit, Depression, Bluthochdruck, Rauchen, Übergewicht, körperliche Inaktivität, Diabetes mellitus und der Mangel an sozialen Kontakten. Im letzten Bericht wurden drei weitere Faktoren mit gesicherter Evidenz hinzugefügt, dies sind (wiederholte) Schädel-Hirn-Traumen, exzessiver Alkoholkonsum und Luftverschmutzung.
Lange Liste verdächtiger Substanzen
Dass Partikelschadstoffe aus der Luft und Umwelttoxine sich akut auf das Nervensystem auswirken, zeigt sich bei Vergiftungen. Doch in welchem Zusammenhang stehen Umwelttoxine mit neurodegenerativen Alterserkrankungen? Die Liste „verdächtiger“ Substanzen ist lang; neben Feinstaub werden Pflanzenschutzmittel/Pestizide, Lösemittel (zum Beispiel Toluol), Mineralöle, chemische Weichmacher, Bisphenol A (BPA), Mikroplastik und Nanopartikel genannt, aber auch neurotoxische Metalle (wie Blei, Quecksilber, Cadmium, Mangan). Mit einigen dieser Stoffe werden insbesondere typische biochemische Parkinson-Merkmale in Verbindung gebracht, wie etwa mitochondriale Dysfunktion, Störungen der Metallhomöostase und Aggregation von Proteinen.
Seit längerer Zeit wird die mögliche Rolle des industriellen Lösungsmittels Trichlorethylen (TCE) bei der Entstehung von Parkinson diskutiert. Gerade erschien eine Publikation, die den Verdacht auf toxische Effekte von TCE deutlich erhärtet und Grundlage künftiger Evidenz sein kann.
US-Studie: Lösungsmittel im Trinkwasser fördert Parkinson
Die US-amerikanische bevölkerungsbasierte Kohortenstudie untersuchte das Parkinson-Risiko bei Marineangehörigen (n=172.128), die zwischen 1975 und 1985 für mindestens drei Monate in Camp Lejeune, North Carolina, stationiert waren. Dort war es in dieser Zeit zu einer Verunreinigung des Trinkwassers mit verschiedenen volatilen organischen Lösungsmitteln gekommen. Die höchsten Konzentrationen betrafen TCE: die Werte überstiegen das bis zur 70-Fache der zulässigen Menge.
Die heutigen Veteranen waren bei ihrer Ankunft im Camp ungefähr 20 Jahre alt und haben durchschnittlich zwei Jahre dort gelebt. Verglichen wurde diese Kohorte mit einer zweiten (n=168.361), die in Camp Pendleton, Kalifornien, stationiert war (ohne Trinkwasserkontamination). Die demografischen Merkmale der beiden Kohorten waren vergleichbar (wie etwa 95-96 % Männer). Die Nachuntersuchungen stammen aus den Jahren 1997 bis 2021, das mittlere Alter der Nachuntersuchten betrug knapp 60 Jahre.
Insgesamt hatten 430 Veteranen eine Parkinson-Erkrankung entwickelt, 279 aus Camp Lejeune (Prävalenz 0,33%) und 151 aus Camp Pendleton (Prävalenz 0,21%). Somit war das Parkinson-Risiko in multivariablen Rechenmodellen statistisch für Veteranen aus Camp Lejeune um 70 % höher (OR 1,70; p<0,001) und sie hatten auch ein um 15 % erhöhtes kumulatives Risiko für prodromale Parkinson-Diagnosen, das heißt Symptome, die Jahrzehnte vor einer Parkinsonerkrankung gehäuft auftreten wie Tremor, Angsterkrankungen und erektile Dysfunktion.
Die Publizierenden weisen darauf hin, dass gerade bei den potenziell prodromal Erkrankten in der noch relativ jungen Population vermutlich in den nächsten Jahrzehnten viele weitere Parkinson-Fälle diagnostiziert werden könnten.
Ernährung und Bewegung beeinflussen die Gesundheit im Alter
„Die Auswirkung von Umwelttoxinen wie TCE auf das Parkinson-Risiko zu erforschen, ist ausgesprochen wichtig“, erklärt Prof. Dr. med. Daniela Berg, Kiel, stellvertretende Präsidentin der DGN. „Noch lässt sich eine Kausalkette zwischen Exposition und einer späteren Parkinson-Erkrankung nicht nachweisen. An dieser Fragestellung und der Quantifizierung des Risikos arbeiten derzeit mehrere internationale Forschergruppen.“
Dennoch sieht die Expertin auch jenseits des aktuellen Studienergebnisses viele Indizien für den Zusammenhang zwischen Umweltgiften und den Anstieg neurodegenerativer Erkrankungen. So ist beispielsweise die altersstandardisierte Punktprävalenz von Parkinson in den Ländern Nordafrikas und des Mittleren Ostens in den letzten 30 Jahren um über 15 % gestiegen. „Hier spielen natürlich auch Lebensstilfaktoren eine Rolle, wie Ernährung – einerseits Mangelernährung, andererseits Übernahme von Ernährungsgewohnheiten der Industrienationen mit hochprozessierten, zuckerreichen Fastfood-Nahrungsmitteln –, weniger Bewegung und Exposition gegenüber Schadstoffen aus zunehmender Industrialisierung. Auch ist bekannt ist, dass die EU seit den 80er-Jahren ihren giftigen Müll in viele dieser Länder exportiert, wo Menschen, zum Teil sogar Kinder, ihn auf den Halden ungeschützt sortieren.“
Wie Prof. Dr. Peter Berlit betont, hängen ein gesunder Lebensstil und eine gesunde Umwelt immer eng miteinander zusammen. „Ein erster wichtiger Schritt muss nun sein, Substanzen, die neurodegenerative Prozesse auslösen, zu identifizieren, ihr Risiko zu beziffern und diese dann konsequent zu vermeiden.“ DGP