„Ich bin schnell ausgeflippt“, erinnert sich der österreichische Schauspieler Simon Schwarz nicht nur an seine Jugendzeit, denn solche Reaktionen waren ihm auch als Erwachsener nicht fremd. Die Lektüre eines Artikels brachte ihm dann die Erkenntnis, unter ADHS zu leiden. Seit der Diagnose kann Schwarz anders mit seiner Störung umgehen. Bildrechte: Wort & Bild Verlag/Foto: DPA Picture alliance/ Starpix/ Alexander TUMA
Schauspieler Simon Schwarz: Späte ADHS-Diagnose hilft ihm, mit kritischen Situationen besser umzugehen
Als der österreichische Schauspieler Simon Schwarz vor einigen Jahren einen Artikel über die Krankheit ADHS bei Erwachsenen las, kamen ihm die Tränen. Der Max-Ophüls-Preisträger, der seit 2013 eine Hauptrolle in den Verfilmungen der Franz-Eberhofer-Krimis von Rita Falk spielt und dort einen pedantischen Privatdetektiv mimt, hatte nach der Artikellektüre plötzlich erkannt, warum es in seinem Leben so chaotisch zugegangen ist.
„All das, was in meinem Leben bisher schiefgegangen war, hat plötzlich Sinn ergeben. Ich begriff, woran ich scheitere und was der Grund dafür ist. Ich habe dann einen psychologischen Test gemacht und hatte recht schnell eine Diagnose“, berichtet der Schauspieler im Interview mit dem Gesundheitsmagazin „Apotheken Umschau“.
Große Schwierigkeiten in der Schule
In der Schule galt er als sozial nicht integrationsfähig und nicht beschulbar. Nachdem er insgesamt sechs Mal die Schule wechseln musste, ging er mit 17 ohne Abschluss ab. „Ich hatte als Kind Schwierigkeiten, meine Emotionen zu kontrollieren, bin schnell ausgeflippt. Mein großer Bruder hatte einen Freund, der war Jugendboxmeister. Ich habe den mal in meiner Wut so verdroschen, dass er auf dem Boden lag und winselte“, sagt der heute 53-Jährige, der eine klassische Ballettausbildung hat und den Teufel in „Jedermann“ bei den Salzburger Festspielen spielte.
Seitdem er die ADHS-Diagnose bekommen hat, kann Schwarz besser mit bestimmten Situationen umgehen. „Ich brauche viel Disziplin. Aber ich habe halt auch einen Beruf gewählt, der ADHS so ein bisschen entgegenkommt. Da ist ja immer viel Abwechslung“, beschreibt der in Wien lebende Schauspieler.
Inzwischen versucht er die positiven Seiten, die ADHS auch hat, besser zu nutzen, spielt in Komödien und tritt mit seinem Kabarett-Programm „Das Restaurant“ mit dem Kabarettisten Manuel Rubey auf. Mit seinem Schauspielkollegen Sebastian Bezzel, mit dem er die Eberhofer-Krimis gedreht und große Erfolge im deutschen Kino und Fernsehen verbucht hat, erkundete er außerdem im Wohnmobil Bayerns Flüsse für die neue Staffel „Bezzel und Schwarz – Die Grenzgänger“.
Das gesamte Interview lesen Sie in der aktuellen Ausgabe der Apotheken Umschau 7A/2024 oder unter www.a-u.de.
Etwa ein Viertel der ADHS-Kinder zeigt Symptome im Erwachsenenalter
Wie Schwarz ergeht es vielen, die in ihrer Kindheit eine ADHS-Diagnose erhalten haben. Zwischen 20 Prozent und 30 Prozent der Betroffenen leiden auch im Erwachsenenalter unter den Symptomen dieser Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung. Bemerkenswert dabei ist, dass im Kindes- und Jugendalter der Anteil der Jungen mit ADHS dreimal so hoch ist wie der Anteil betroffener Mädchen, was sich im Erwachsenenalter fast bei einer 50:50-Verteilung einpendelt. Das kann vielleicht auch daran liegen, dass die Symptome von ADHS sich bei eher hyperaktiven, motorisch unruhigen Jungen und bei eher unaufmerksamen Mädchen unterscheiden und Frauen die ADHS-Diagnose oft viel später erhalten. Oft werden sie nämlich auf Depressionen oder Angststörungen behandelt, bevor die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung erkannt wird.
Alles nur eine Randerscheinung? Mitnichten. Zwei Prozent bis vier Prozent der Erwachsenen in Deutschland sind von ADHS betroffen. Ihr Schicksal: ADHS kann nicht geheilt werden. Das Positive: Ist die Störung diagnostiziert, kann man diese mit speziellen Therapien sehr gut kontrollieren und damit den Alltag mit seinen vielen Herausforderungen bewältigen.
ADHS als Risikofaktor für andere psychische Erkrankungen
Eine 2023 veröffentlichte Studie des Lehrstuhls für Epidemiologie der Universität Augsburg in der renommierten Zeitschrift BMJ Mental Health konnte zeigen, dass ADHS mit schweren Depressionen, posttraumatischen Belastungsstörungen, der Essstörung Anorexia nervosa und Selbstmordversuchen in Verbindung steht. „In Beobachtungsstudien wurde ADHS mit Stimmungs- und Angststörungen in Verbindung gebracht, aber bisher ist nicht bekannt, ob es in einem kausalen Zusammenhang mit anderen psychischen Erkrankungen steht“, erklärt Prof. Christine Meisinger, Wissenschaftlerin am Lehrstuhl für Epidemiologie und Erstautorin der Studie.
Um dies herauszufinden, verwendeten die Forschenden die Mendelsche Randomisierung, eine Technik, bei der genetische Varianten als Stellvertreter für einen bestimmten Risikofaktor, in diesem Fall ADHS, verwendet werden, um genetische Beweise für ein bestimmtes Ergebnis zu erhalten – in dieser Studie für sieben häufige psychische Erkrankungen: schwere klinische Depression, bipolare Störung, Angststörung, Schizophrenie, posttraumatische Belastungsstörung (PTSD), Anorexia nervosa und Suizidalität. „Unsere Studie liefert neue Erkenntnisse über das komplexe Beziehungsgeflecht zwischen psychiatrischen Störungen, die im Zusammenhang mit ADHS stehen“, erklärt Dr. Dennis Freuer, verantwortlich für die statistischen Analysen und Ko-Autor der Studie.
Therapie für ADHS-Patienten muss andere Störungen berücksichtigen
„So gibt es Hinweise auf einen kausalen Zusammenhang zwischen ADHS und einer schweren klinischen Depression. Beide psychischen Störungen können einzeln und gemeinsam das Risiko für eine posttraumatische Belastungsstörung bzw. einen Suizidversuch vergrößern. Ein erhöhtes Risiko für Anorexia nervosa kann jedoch ausschließlich auf ADHS zurückgeführt werden. Auf der anderen Seite gab es keine Hinweise auf einen kausalen Zusammenhang zwischen ADHS und bipolaren Störungen, Angstzuständen sowie Schizophrenie“, so Freuer.
„Diese Studie eröffnet neue Einblicke in die Wege zwischen psychiatrischen Störungen. Daher sollten Patientinnen und Patienten mit ADHS in der klinischen Praxis auf die in dieser Studie untersuchten psychiatrischen Störungen überwacht und gegebenenfalls Präventivmaßnahmen eingeleitet werden“, erklären die beiden Studienautoren Meisinger und Freuer. pm/tok