„Unbehandelte oder zu spät behandelte psychische Erkrankungen im Kindesalter können im schlimmsten Fall das gesamte Leben beeinflussen – mit allen negativen Folgen für die soziale, schulische und berufliche Teilhabe“, warnt Cornelia Metge, Beisitzerin im BPtK. Foto: Queenmoonlite Studio/stock.adobe.com

Psychotherapeuten: Versorgung psychisch kranker Menschen kann nicht warten

Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) hat jüngst ein Konzept zur Weiterentwicklung der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung vorgestellt. Mit dem vorgeschlagenen Maßnahmenbündel sollen gezielt die langen Wartezeiten auf eine Psychotherapie in ländlichen und strukturschwachen Regionen und in der Versorgung von Kindern und Jugendlichen abgebaut werden.

Zusätzlich soll für Patienten, die einen besonderen Unterstützungsbedarf haben, der Zugang zur psychotherapeutischen Versorgung erleichtert werden. Die BPtK greift damit entsprechende Ziele des Koalitionsvertrags der Bundesregierung auf. Damit die Verbesserungen die Patienten noch in dieser Legislaturperiode erreichen, fordert die BPtK, die Vorschläge schnellstmöglich in Gesetzesreformen zu berücksichtigen.

Neue Kassensitze vorwiegend im ländlichen Raum

„Menschen mit psychischen Erkrankungen brauchen jetzt Verbesserungen“, mahnt Dr. Andrea Benecke, Präsidentin der BPtK. „Unsere Forderungen – ganz besonders die zur Bedarfsplanung – müssen deshalb noch in das erste Versorgungsgesetz aufgenommen werden. Wir fordern eine Absenkung der Verhältniszahlen in der psychotherapeutischen Bedarfsplanung um mindestens 20 Prozent“, so Benecke weiter. „87 Prozent der auf diese Weise geschaffenen zusätzlichen Kassensitze würden außerhalb von Großstädten entstehen. Außerdem würden die zusätzlichen Sitze den historisch schlechter versorgten Städten in Ostdeutschland und im Ruhrgebiet zugutekommen.“

Versorgungslücken im Osten

Die Zahlen sprechen für sich: Drei bis neun Monate müssen Patienten in Deutschland laut BPtK auf einen Therapieplatz warten. Ein Grund hierfür ist die hohe Nachfrage. Ein anderer Grund ist die begrenzte Zahl der Psychotherapeuten. Laut Gesundheitsberichterstattung des Bundes nahmen 2021 rund 31.300 Psychologische Psychotherapeuten an der vertragsärztlichen Versorgung teil – das sind rund 38 je 100.000 Bundesbürger. Deutlich besser ist die Versorgung in den Stadtstaaten – so kommen in Berlin auf 100.000 Einwohner 72 Psychotherapeuten, in Bremen sind es 68, in Hamburg 66. Besonders schlecht ist das Platzangebot dagegen im überwiegenden Teil Ostdeutschlands, wie der Blick auf die Statista-Grafik zeigt.

Positiv ist indes, dass die Zahl der Psychotherapeuten in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen ist. Zum Vergleich: 2015 waren es nur rund 22.500. Ebenfalls deutlich gestiegen ist die Zahl der Psychologie-Studierenden – waren im Wintersemester 2014/15 rund 65.000 Studenten für dieses Fach eingeschrieben, waren es zuletzt fast 105.100.

Quellen: GBE, Statistisches Bundesamt / Grafik: Statista.com

Wer zu spät in Therapie kommt, den bestraft das Leben

„Unbehandelte oder zu spät behandelte psychische Erkrankungen im Kindesalter können im schlimmsten Fall das gesamte Leben beeinflussen – mit allen negativen Folgen für die soziale, schulische und berufliche Teilhabe“, warnt Cornelia Metge, Beisitzerin im Vorstand der BPtK. „Wir fordern deshalb, dass über die Absenkung der Verhältniszahlen in der psychotherapeutischen Bedarfsplanung auch mehr Sitze für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie geschaffen werden und künftig in einer eigenen Bedarfsplanungsgruppe geplant werden.“ Aufsuchende Angebote und sektorenübergreifende Unterstützung sind für psychisch kranke Kinder und Jugendliche sowie ihre Familien ebenso besonders wichtig.

Weniger Hürden für ambulante Komplexversorgung

Ein wichtiger Fokus des Konzepts der BPtK liegt auf der Verbesserung der Versorgung von Patienten mit schweren psychischen Erkrankungen, länger andauernder Arbeits- oder Schulunfähigkeit und nach Krankenhausbehandlung. „Die Hürden der Richtlinie zur ambulanten Komplexversorgung müssen beseitigt werden, damit mehr Patienten mit schweren und komplexen psychischen Erkrankungen von diesem Angebot profitieren können“, sagt BPtK-Vizepräsident Dr. Nikolaus Melcop. „Außerdem sollte nach der Entlassung aus dem Krankenhaus die Bereitstellung einer ambulanten Anschlussbehandlung gesetzlich gefördert werden, damit Patienten zeitnah eine ambulante psychotherapeutische Weiterbehandlung erhalten.“

„Mit unserem Sechs-Punkte-Konzept zeigen wir, dass eine bedarfsgerechte und passgenaue Verbesserung der Versorgung nötig und möglich ist“, resümiert Benecke. „Jetzt ist die Politik am Zug. Eine Fortsetzung der stillen Rationierung durch künstliche Verknappung von Therapieplätzen lehnen wir ab.“