Mobbing löst bei Betroffenen immer schmerzhafte Gefühle wie Demütigung, Wertlosigkeit und sehr viel Schlimmeres aus. Das Selbstvertrauen von Mobbingopfern schrumpft mit jedem Angriff. Foto: Martin/stock.adobe.com

Mobbing: Opfern und Tätern fehlt oft Selbstvertrauen – beide brauchen Hilfe

Mobbing ist eine subtile Form von Gewalt und hat viele Facetten. „Mobbing ist langfristig angelegtes Schikanieren und richtet sich gezielt gegen Einzelne“, stellt Levi Hackbarth, Ergotherapeut im Deutschen Verband Ergotherapie e.V. (DVE), fest und fügt hinzu: „Mobbing ist unbedingt von einem Konflikt zu unterscheiden.“

Konflikte können gerade im Kindesalter wichtige Erfahrungen sein und sich entwicklungsfördernd auswirken. Im Gegensatz zu Mobbing, das bei den Betroffenen immer schmerzhafte Gefühle wie Demütigung, Wertlosigkeit und sehr viel Schlimmeres auslöst; das Selbstvertrauen von Mobbingopfern schrumpft mit jedem Angriff. Ergotherapeuten setzen genau da an: Sie stärken das Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl betroffener Kinder, Jugendlicher oder Erwachsener. Und zwar das von Mobbingopfern ebenso wie das von Mobbern, die genauso, wenn nicht noch dringender Hilfe benötigen.

Andere Personen physisch oder psychisch verletzen

Mobber:innen zielen darauf ab, eine andere Person physisch oder psychisch zu verletzen, sie zu beschimpfen, zu beleidigen, zu erniedrigen oder auszugrenzen und dadurch zu isolieren. Mobbing kann – setzt sich das Mobbingopfer nicht zur Wehr – längere Zeit, manchmal über Jahre hinweg andauern. „Niemand kann eine solche systematische und wiederholte Schikane aushalten“, betont Ergotherapeut Levi Hackbarth.

Zudem nimmt er einen Wandel wahr. Seit Corona hat sich das Mobbing stärker in die digitale Welt verlagert. War zuvor das Mobbing für Kinder und Jugendliche beispielsweise mit dem Schulwechsel oder dem Ende der Schulausbildung vorüber, setzt sich das Quälen und Attackieren heute in vielen Fällen online fort. Selbiges gilt für Erwachsene, die den Arbeitgeber oder den Wohnort wechseln.

Ausgrenzen findet statt, indem die gemobbte Person beispielsweise nicht in WhatsApp-, Freundes- oder andere Gruppen aufgenommen oder von gemeinsamen Aktivitäten ausgeschlossen oder nicht mehr eingeladen wird. Eine perfide Vorgehensweise, die Betroffenen zunächst nicht immer gleich auffällt. Das soziale Miteinander ist jedoch ganz wesentlich für Menschen – jede und jeder möchte Anschluss finden und dazugehören.

Auswirkungen von Mobbing

Mobbing ist alles andere als ein Spaß oder ein Kavaliersdelikt. Darüber sollten sich Mobber im Klaren sein, denn sie schaden ihrem Opfer massiv; je länger, umso schwerwiegender sind die Auswirkungen. Bei Schülern fallen zunächst oft die schulischen Leistungen ab, Jugendliche oder Erwachsene, die studieren oder arbeiten, verlieren zunehmend Energie, ihnen unterlaufen Fehler und sie können ihr Potenzial nicht entfalten.

Gesundheitliche Probleme, abnehmende Selbstwertgefühle und Selbstvertrauen, der Rückzug von früheren Aktivitäten und Treffen, aber vor allem psychische Folgen wie Angstzustände und Depressionen, Schlaf- oder Essstörungen können Anzeichen und Folgen von Mobbing sein. Manchen erscheint Suizid der einzige Ausweg aus dieser vermeintlich hoffnungslosen Situation des Ausgeliefertseins.

Auf jeden Fall etwas unternehmen

„Leider trauen sich viele nicht, etwas zu sagen, doch gibt es Hilfe“, sagt Hackbarth und ermuntert alle, unbedingt etwas zu unternehmen: „Es hört sonst nicht auf.“ Wer als Betroffener oder als außenstehende Person erkennt, was vorgeht und will, dass sich etwas ändert, kann sich an unterschiedliche Stellen wenden. Für Kinder sind meist die eigenen Eltern, Großeltern oder Lehrer Vertrauenspersonen. Entsprechende Äußerungen oder Signale von Kindern sollten Erwachsene daher unbedingt ernst nehmen, verständnisvoll und empathisch reagieren.

Darüber hinaus gibt es für Mobbing im Kindes- und Jugendalter Anlaufstellen wie den Kinderschutzbund oder das Jugendamt. Andere niederschwellige Angebote, bei denen man teils anonym bleiben kann, sind Telefonseelsorge oder Internetportale. Ebenso unterstützen kirchliche oder andere soziale Einrichtungen mit Ratschlägen und Tipps. Oft kommt von dort die Empfehlung, sich zusätzlich Hilfe bei Ergotherapeuten zu holen. Haus- oder Kinderärzte verordnen ergotherapeutische Interventionen.

Ergotherapeuten bauen Vertrauen auf

Eine der Stärken von Ergotherapeuten ist außer ihrem einfühlsamen Vorgehen ihre strukturierte und analytische Herangehensweise. Kommen Mobbingopfer zum ersten Mal in eine ergotherapeutische Praxis, gilt es zunächst ihr Vertrauen zu gewinnen. Gleichzeitig fragen Ergotherapeuten eine Reihe von Dingen ab, um herauszufinden, wie es um die psychische und physische Situation ihrer Klienten bestellt ist. Hierzu nutzen sie Assessments; das sind Test- und Bewertungsverfahren in Form von Fragen oder Beobachtungen.

Handelt es sich um Kinder, die Mobbing ausgesetzt sind, nutzen Ergotherapeuten beispielsweise den AFS (Angstfragebogen Schule) oder den ALS (Aussagen-Liste zum Selbstwertgefühl für Kinder und Jugendliche). Damit können sie differenziert in die verschiedenen Lebens- und Verhaltensbereiche wie Schule, Freizeit und Familie schauen und feststellen, um welche Probleme es geht und woher sie rühren.

Für Erwachsene, die sich Hilfe bei Ergotherapeuten suchen, gibt es wiederum spezielle Vorgehensweisen und Ansatzpunkte, die sich ebenso mit dem Arbeitsumfeld wie mit anderen Bereichen befassen, wo Mobbing stattfinden kann. Ein weiterer Pluspunkt, der die ergotherapeutische Intervention von anderen Therapien abgrenzt, ist die Möglichkeit, das Umfeld einzubeziehen.

Bei Kindern und Jugendlichen holen Ergotherapeuten an erster Stelle die Eltern mit ins Boot. Wenn erwünscht und sinnvoll, setzen sie sich mit den Lehrkräften zusammen oder hospitieren im Unterricht. Die Eltern verbringen die meiste Zeit mit den Kindern. Daher ist es von zentraler Bedeutung, dass sie lernen, ihren Kindern in Konfliktsituationen ein gutes Vorbild zu sein und sich den Kindern gegenüber so zu verhalten, dass ihr Selbstvertrauen wächst. Die Eltern und das Elternhaus müssen für Kinder, die Mobbing ausgesetzt sind ein sicherer Hafen sein; das ist ein wesentlicher Teil der Stabilisierung durch Ergotherapeuten.

Bei Erwachsenen stehen die eigene Stabilisierung, das Stärken von Selbstwert und Selbstvertrauen und der Umgang mit Konfliktsituationen im Vordergrund. v

Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen stärken

Parallel sorgen Ergotherapeuten bei ihren Interventionen dafür, dass es ihren Klienten über Erfolgserlebnisse gelingt, Selbstwirksamkeit zu erfahren und ihr Selbstvertrauen aufzubauen. Bei Kindern heißt das: spielerisch. Den ohnehin belasteten Kindern soll es eine Freude und nicht etwa eine Pflicht sein, also lassen Ergotherapeuten sie beispielsweise Parcours mit verschiedenen Aufgaben absolvieren. Balancieren, Klettern, Aufgaben lösen – so werden die Kinder körperlich und geistig gefordert. Die Schwierigkeitsgrade legen Ergotherapeuten so an, dass es für die Kinder anstrengend ist und sie sich konzentrieren müssen, sie es aber schaffen können.

Nur so sind die Kinder am Ende des Tages zufrieden und stolz auf die eigene Leistung. Das ist ein wichtiger Baustein für mehr Selbstvertrauen und selbstbewusstes Auftreten.

Ein weiterer Aspekt ist Schlagfertigkeit. „Es gibt Spiele, um diese Fertigkeit zu trainieren und es macht total viel Spaß mit anzusehen, wie teils verschüchterte oder zurückhaltende Kinder mit immer mehr Witz und Scharfsinn auf Situationen reagieren“, schwärmt Hackbarth von seinen diesbezüglichen Erfahrungen. Gerne empfiehlt er daher den Eltern Spiele wie „Happy Horst“ oder „Donnergrummel“ auch für zu Hause. Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen kann darüber hinaus ein Mobbing-Tagebuch helfen, sich die belastenden Situationen „von der Seele zu schreiben“.

Mobber oftmals selbst Opfer

Nichts, aber rein gar nichts entschuldigt Mobbing. Und dennoch: Mobbing lässt sich auch als eine Art Hilfeschrei der Mobber interpretieren. Es sind nicht immer nur Langeweile, Machtstreben oder Gruppenzwang, die Mobber veranlassen, andere zu drangsalieren. „Oft hat man auf Seiten der Mobber:innen ein sehr ähnliches Profil wie auf Seiten der Mobbingopfer“, erwähnt Hackbarth ausdrücklich.

Mobber haben oft selbst Schlimmes erlebt, kommen mit ihren unausgeräumten familiären oder persönlichen Problemen nicht zurecht und verschaffen sich so einen Kanal, um ihren Frust abzulassen und die eigene Hilflosigkeit zu überspielen. Ergotherapeuten betrachten Mobber nicht per se als böse. Sie brauchen genauso Hilfe wie Mobbgingopfer. Aufbauen von Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen sorgen dafür, dass sie von ihrem schädigenden Verhalten anderen gegenüber ablassen und an ihrer eigenen, positiven Entwicklung arbeiten. pm/DVE