
Speziell ausgebildete Ergotherapeuten unterstützen Betroffene nach einer Langzeiterkrankung mit individuellen Therapien auf dem Weg zurück ins Berufsleben. Foto: Kzenon/stock.adobe.com
Mit Hilfe von Ergotherapeuten nach einer Langzeiterkrankung zurück in den Beruf
Nach einem Unfall oder einer längeren Erkrankung wollen die meisten Betroffenen vor allem eins: ihr altes Leben zurück, was meist auch bedeutet, zurück in den Beruf. „Es ist gesetzlich geregelt, dass Arbeitgeber:innen dies ermöglichen müssen“, bestätigt Marian Waßmann, Ergotherapeut im Deutscher Verband Ergotherapie e.V. (DVE) und erwähnt, dass die meisten Unternehmen ohnehin „ihre Leute“ weiter beschäftigen wollen.
Dank der zielgerichteten Interventionen von Ergotherapeuten werden Betroffene ab dem frühestmöglichen Zeitpunkt in jeder Hinsicht auf die berufliche Wiedereingliederung vorbereitet und für genau ihre Tätigkeit fitgemacht. Sobald die Leistungsfähigkeit der Patienten es erlaubt und davon auszugehen ist, dass sie den Anforderungen an ihrem Arbeitsplatz wieder gewachsen sind, begleiten hierfür geschulte Ergotherapeuten das Wiedereingliederungsverfahren in Betrieben.
Gezielte und individuelle Vorbereitung auf die Rückkehr
Die Erkrankungen und Verletzungen, die eine längere Arbeitsunfähigkeit nach sich ziehen, sind vielfältig – so, wie die Menschen und ihre jeweiligen Tätigkeiten. Waßmann bringt viele zurück in den Beruf. Seine Klientel ist bunt gewürfelt, vom Berufsfahrer über Mitarbeitende in Büros bis hin zu Menschen, die offshore auf Ölplattformen arbeiten – alles ist dabei und unterschiedlicher geht es nicht.
„Je gezielter und gründlicher Menschen auf exakt die Gegebenheiten und Rahmenbedingungen in ihrem persönlichen Tätigkeitsbereich vorbereitet sind, desto leichter fällt ihnen die Rückkehr in Beruf und Arbeit“, erklärt Waßmann. Ob die Phase der Wiedereingliederung möglichst gut und möglichst schnell gelingen kann, beruht auch darauf, dass seine Berufskollegen zunächst in den Reha-Kliniken und danach in den niedergelassenen Praxen optimale Vorarbeit geleistet haben. Darauf kann sich Waßmann in aller Regel verlassen, denn berufliche Wiedereingliederung gehörte schon in den Anfängen der Ergotherapie zum Kerngeschäft, auch wenn sie erst später so bezeichnet wurde. Damals hatten Ergotherapeuten, zunächst Beschäftigungs- und Arbeitstherapeuten genannt, in Deutschland heimgekehrte Soldaten in das Arbeits- und Berufsleben integriert.
Die exakten Anforderungen des einzelnen Arbeitsplatzes kennen
Was steckt hinter ihrem Erfolg? Ergotherapeuten fokussieren sich auf das Individuum und seine ganz besonderen, persönlichen Fähigkeiten, Bedürfnisse und Anliegen und ebenso auf die Betätigung – in diesem Fall die Arbeit. „Es ist im Bereich der beruflichen Wiedereingliederung von elementarer Bedeutung, Menschen gezielt vorzubereiten; jede:n nach ,Schema F‘ ein bestimmtes Gewicht heben, über Kopf arbeiten oder alle denselben Parcours absolvieren zu lassen, passt höchstens stellenweise und hat nichts mit zeitgemäßem Vorgehen zu tun“, verdeutlich der Ergotherapeut die zentralen Aspekte seiner Arbeit.
Bei Ergotherapeuten geht es darum, den Arbeitsplatz und die einzelnen Tätigkeiten bis in alle Einzelheiten zu erfassen. In einem ersten Gespräch bitten sie ihre Patienten daher, ihren Arbeitsplatz zu beschreiben. In vertiefenden Fragen klären Ergotherapeuten, wie ein typischer Arbeitstag aussieht, welche Aufgaben im Einzelnen zu erfüllen sind und in welchen Körperhaltungen dies geschieht. Auch wollen sie wissen, ob mit Maschinen und Werkzeugen gearbeitet wird, wenn ja, mit welchen, ob der- oder diejenige tragen muss, wenn ja, wieviel, wie weit, wie oft und so weiter und so weiter. Ein entsprechender, speziell hierfür entwickelter Fragenkatalog bildet die Grundlage, um wirklich jeden auch noch so ungewöhnlichen Arbeitsplatz mitsamt seinen Rahmenbedingungen transparent zu machen.
Fortwährend die Leistungsfähigkeit prüfen
Ein weiterer Parameter, der bei der beruflichen Wiedereingliederung eine Rolle spielt, ist die Leistungsfähigkeit der Patienten. Ist geklärt, welche Anforderungen am Arbeitsplatz bestehen, führen Ergotherapeuten die ersten Testungen und Evaluationen, also Bewertungen, durch. „Ergotherapeut:innen testen anfangs und dann immer wieder, wo steht der Patient beziehungsweise die Patientin und wie weit sind die derzeitigen Fähigkeiten von dem entfernt, was er oder sie für ihre beruflichen Aufgaben benötigt“, sagt Waßmann.
Der Ergotherapeut veranschaulicht dies exemplarisch: „Der oder die Bäckereifachverkäufer:in muss vor Beginn der beruflichen Wiedereingliederung unter anderem in der Lage sein, Backbleche auf einer bestimmten Höhe in den Ofen zu schieben, Fliesenleger:innen und andere Handwerker:innen müssen sich hinknien, auf den Boden kommen, auf Leitern steigen oder Gewichte tragen können, Mitarbeitende in Büros und Verwaltungen müssen imstande sein, längere Zeit zu sitzen, sich gegebenenfalls auf komplexe Sachverhalte zu konzentrieren und mehr.“
Um das Training so realitätsnah als möglich zu gestalten, nutzen Ergotherapeuten vorzugsweise Therapiegerätesysteme, an denen nahezu jeder Arbeitsplatz mit seinen typischen Arbeits- und Bewegungsabläufen, Arbeitsmaterialien und Werkzeugen nachgestellt werden kann.
Berufliche Wiedereingliederung individuell gestalten
Oft sind Hilfsmittel nötig, um nach überstandener Erkrankung oder Verletzung wieder am Arbeitsplatz bestehen zu können. Werkzeuge, die aus superleichtem Material sind, Griffverdickungen, um einen Hammer oder ein anderes Tool besser fassen zu können – Ergotherapeuten kümmern sich von Anfang an darum, dass benötigte Hilfsmittel besorgt oder organisiert und wenn möglich vom Kostenträger finanziert werden.
Waßmann berichtet von einem Fall, bei dem eine Frau eine Hand wegen einer zu schweren Verletzung nicht mehr zum Schreiben nutzen konnte. Die Abhilfe: eine besondere Tastatur, bei der die Tasten kleiner und enger beieinander liegen, sodass betroffene Personen auch mit nur einer Hand noch schnell tippen können. So finden sich für jede und jeden individuelle Lösungen, damit es gut gewappnet mit der beruflichen Wiedereingliederung losgehen kann.
„Die ersten Tage im Betrieb sind zum ,Warming-up‘ da: Aufgelaufene E-Mails checken, Übergaben und andere aktuelle Dinge mit Kolleg:innen besprechen und erledigen – da können die Berufsrückkehrer schon ein erstes Urteil fällen und herausfinden, ob sie klarkommen“, beschreibt Waßmann sein Vorgehen. Der Ergotherapeut kommt frühestens ab dem dritten oder vierten Tag in den Betrieb, um zu schauen, wie es läuft, sofern der Kostenträger das unterstützt.
Gemeinsam mit seinen Patienten begeht der Ergotherapeut den Arbeitsplatzes, begutachtet ergonomische Gegebenheiten und adaptiert und passt bei Bedarf noch mehr an, um das Arbeiten weiter zu erleichtern oder Abweichungen oder vielleicht auch Kompromisse mit dem Arbeitgeber herbeizuführen. Auch Veränderungen des Wiedereingliederungsplans gehören zu den Aufgaben von Ergotherapeuten: Sind die geplanten Arbeitszeitsteigerungen möglich, kann es schneller oder muss es langsamer gehen?
Knowhow-Transfer an der DVE Akademie für Ergotherapeuten
Das Wissen, das mit den vielen unterschiedlichen Tätigkeiten, Anforderungen und Menschen verknüpft ist, hat Marian Waßmann zunächst von seinem Arbeitgeber erworben und dann durch seine lange Berufserfahrung weiter ausgebaut. Diesen Erfahrungsschatz und alles weitere, worauf es im Bereich der beruflichen Wiedereingliederung ankommt, gibt er gerne weiter. In Fortbildungen der Akademie des DVE (Deutscher Verband Ergotherapie e.V.) vermittelt er seinen Berufskollegen, auf welche Knackpunkte es besonders zu achten gilt und wie ein transparentes Miteinander zum Erfolg führt.
„Schlussendlich, und das macht die Arbeit dann besonders erfreulich, ist es so, dass auch die meisten Arbeitgeber mit uns an einem Strang ziehen, um geschätzte Mitarbeiter:innen und deren Können und Wissen im Unternehmen zu behalten“, resümiert Ergotherapeut Waßmann. Dank ihm und seiner im Bereich der beruflichen Wiedereingliederung speziell qualifizierten Berufskollegen gelingt es in vielen Fällen, Menschen nach einer längeren Zeit der Arbeitsunfähigkeit vollumfänglich in ihr Unternehmen zurückzubringen. pm
Info
Informationsmaterial zu den vielfältigen Themen der Ergotherapie gibt es bei den Ergotherapeuten vor Ort. Ergotherapeuten in Wohnortnähe findet man auf der Homepage des Verbandes unter https://dve.info/service/therapeutensuche und hier geht es zum Podcast dve-podcast.podigee.io