
In Deutschland trifft die Diagnose Hüftfraktur jährlich bis zu 9 Prozent der über 65-Jährigen. Oft treten sogar schwere Komplikationen mit einer vergleichsweise hohen Todesrate von über 10 Prozent auf. Foto: Photographee.eu/stock.adobe.com
Jeder elfte Senior erleidet nach Stürzen eine bedrohliche Hüftfraktur — mit Ergotherapeuten Gleichgewicht und Mobilität verbessern
Das Alter bringt Veränderungen wie nachlassende Muskelkraft, eingeschränktes Gleichgewicht und andere gesundheitliche Beeinträchtigungen mit sich, die wiederum ein erhöhtes Sturzrisiko nach sich ziehen. Ab dem Rentenalter häufen sich die Fälle von Hüftfrakturen. Und bei jedem zehnten betroffenen Senior sind die Folgen solcher Sturzverletzungen sogar tödlich.
„Spätestens ab 65 empfiehlt es sich, sich mit den Themen Sturz und Sturzgefahren auseinanderzusetzen“, legt Elmar Weinbeer, Ergotherapeut im Deutschen Verband Ergotherapie e.V. (DVE), nahe. Ergotherapeuten bieten Senioren Optionen an, um der Sturzgefahr vorzubeugen. Denn: Sich vor solchen Unfallgefahren zu schützen ist wichtig und machbar.
Hüftfraktur oft mit lebensgefährlichen Folgen
In Deutschland trifft die Diagnose Hüftfraktur jährlich bis zu 9 Prozent der über 65-Jährigen. Die landläufig als Oberschenkelhalsbruch bekannte Verletzung ist zu Recht gefürchtet. Oft treten sogar schwere Komplikationen mit einer vergleichsweise hohen Todesrate auf: Über 10 Prozent überleben die Folgen ihrer sturzbedingten Verletzung wegen einer Thrombose, Lungenembolie oder Lungenentzündung nicht. Aber auch schon eine verlorene Mobilität kann das Leben von Senioren auf den Kopf stellen, die zum Beispiel mit einer starken Gehbehinderung als Sturzfolge nicht mehr wie gewohnt aktiv und selbstständig am Leben teilnehmen können. Psychische Probleme sind da vorprogrammiert.
Wer sich — am besten sein Leben lang — viel bewegt, macht daher schon eine Menge richtig. Durch Bewegung lässt sich bekanntermaßen vielen Alterszipperlein etwas entgegensetzen; ausreichende und richtige Aktivitäten können das eigene Sturzrisiko eindämmen. Aber reicht das? „Wer auf Nummer sicher gehen möchte, ist mit einer entsprechenden Sturzprophylaxe besser beraten“, bestätigt Weinbeer. Ergotherapeuten bieten zur Sturzprophylaxe Kurse in der Gruppe oder Einzelberatungen an. Wer bereits eine gesundheitliche Einschränkung hat oder etwa wegen einer Wirbelsäulenfraktur nur noch über eine verminderte Gehfähigkeit verfügt, kann von seinem Arzt eine Blankoverordnung mit der Diagnose SB1 erhalten. Dann übernehmen Krankenkasse oder -versicherung die Kosten für therapeutische Maßnahmen zur Sturzprophylaxe.
Verbesserung von Gleichgewicht und Mobilität
Um die aktuelle persönliche Situation ihrer Patienten und Klienten in Mobilität und Sturzrisiko besser beurteilen zu können, führen Ergotherapeuten zunächst Tests wie beispielsweise den in der Geriatrie (Altersmedizin) üblichen sogenannten „Timed Up and Go-Test“ durch. Darüber hinaus fließen ihre Erfahrungen und die Beobachtungen, die sie machen ebenso wie eine Gang- und Bewegungsanalyse mit in ihre erste Einschätzung ein. Besteht bereits eine erhöhte Sturzgefahr? Und welche Ansätze kommen in Betracht?
„Sehr beliebt — und man sollte nie unterschätzen, wie wichtig es ist, dass die Menschen das mögen, was sie tun — sind Kurse in der Sturzpräventions-Gruppe“, berichtet der Weinbeer aus seiner Praxis. Seit Jahren führt er Gruppentrainings mit Senioren durch. Was als zehnwöchiger Kurs für ältere Menschen begann, hat sich zur Dauereinrichtung mit mehreren Gruppen entwickelt, die parallel laufen. „Der soziale Aspekt, die regelmäßigen Treffen mit anderen in derselben Lebensphase und -situation motivieren enorm, ebenso wie die lockere Stimmung, die alle miteinander erzeugen“, erklärt der Ergotherapeut. Gemeinsam trainieren Senioren bei ihm sämtliche Basics, die nötig sind, um sich in jeder Situation souverän zu bewegen, sicher zu gehen oder zu laufen.
Alltagskompetenz und Selbstsicherheit von Senioren fördern
Dazu gehören Elemente wie Kraftaufbau, Gleichgewicht, Reaktionsfähigkeit oder Schrittgeschwindigkeit. Wer das als langweiliges Üben abtut, wird bei Ergotherapeuten eines Besseren belehrt, denn hier geht es nicht um das rein funktionale Ausüben bestimmter Bewegungen, sondern es besteht immer ein Alltagsbezug. Das Gehen üben die Senioren unter Moderation ihres Ergotherapeuten analog zu Situationen, wie sie sie täglich erleben. Sie gehen mit dem Schirm in der Hand, mit Einkaufstasche am Arm oder einem Tablett mit Geschirr und in anderen Konstellationen ihres Alltags. Oder sie haben in den Weg gelegte Hindernisse und Stolpersteine zu überwinden; auch gehen sie gemeinsam spazieren.
Bei älteren Menschen nimmt die Fähigkeit, sich beim Gehen miteinander zu unterhalten und sich dabei anzusehen, mit zunehmendem Alter ab. Senioren neigen dazu, stehenzubleiben, wenn sie anderen etwas sagen. „Ein solches Verhalten wäre an sich nicht schlimm“, sagt Weinbeer, „aber es zeugt von der eigenen Unsicherheit“. Daher geht es beim ergotherapeutischen Training zur Sturzprophylaxe sowohl um die körperlichen Fähigkeiten als auch um das Verknüpfen der Sinne. Es gilt, den gesamten Organismus wieder herauszufordern und fit zu halten und Unsicherheiten so weit als möglich auszumerzen. So wächst das Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten, die Senioren entwickeln wieder ein gutes Körper- und Selbstbewusstsein — eine wichtige Voraussetzung, um die Sturzgefahr einzudämmen.
Angehörige und das Umfeld von Senioren einbinden
Eine maßgebliche Rolle spielt auch das Umfeld, welches Ergotherapeuten häufig mit in ihre Interventionen einbeziehen. Sie hören sich die Sichtweise, Sorgen und Wünsche von Angehörigen an, was durchaus von dem abweichen kann, was die betroffenen Senioren sich vorstellen. Ergotherapeuten versuchen dann, einen Konsens zu erreichen und vermitteln, um die Bedürfnisse aller Familienangehörigen zu berücksichtigen — immer mit dem Blick auf die Fähig- und Möglichkeiten der älteren Menschen.
So gelingt es meistens, Missverständnisse auszuräumen und Befindlichkeiten zu klären. „Die eigenen Kinder neigen in jede Richtung dazu, die Fähigkeiten der altgewordenen Eltern falsch einzuschätzen“, weiß Weinbeer. Das Ziel ist immer, die Senioren gerade in Hinblick auf die Sturzprophylaxe so in die Teilhabe zu bringen, dass sie sich entweder aktiver beteiligen oder dass es nicht zu einer Überforderung kommt, falls das Umfeld sie über die Maßen einbindet und fordert. Optimalerweise sollten alle an einem Strang ziehen, denn unterm Strich geht es darum, Senioren so zu befähigen, dass sie so lange als möglich aktiv, selbstbestimmt, sturzfrei und gesund in den eigenen vier Wänden leben können.
Info
Informationsmaterial zu den vielfältigen Themen der Ergotherapie gibt es bei den Ergotherapeuten vor Ort. Ergotherapeuten in Wohnortnähe findet man hier auf der Webseite des Verbandes. pm