
„Länder wie Großbritannien werden längst aktiv gegen Fehlernährung bei Kindern“, sagt Andreas Winkler von der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch. Die Bundesregierung schaue hingegen, „weiter tatenlos zu, wie McDonalds, Nestlé und Co. ihr Junkfood an Kinder vermarkten – und die Lebensmittellobby feiert“. Foto: оLeo Studio – KI-generiert/stock.adobe.com
Konsequenter Kinderschutz: Großbritannien startet Werbeverbot für Junkfood und Softdrinks
In Großbritannien gilt ab Januar 2026 eine gesetzliche Beschränkung für Werbung, die sich gezielt an Kinder richtet und für ungesunde Lebensmittel wirbt. Für Deutschland ist eine solche Beschränkung weiterhin nicht geplant. Wer es aber mit der Gesundheit von Kindern und Jugendlichen ernst meint, sollte darauf achten, dass Junkfood und Süßgetränke nicht auch noch durch Werbung als begehrenswert ins Bewusstsein gepresst werden.
Ab sofort – und damit sogar schon vor dem offiziell gesetzlichen Start zum 1. Januar 2026 – läuft im Vereinigten Königreich zwischen 5.30 Uhr und 21 Uhr eine Werbebeschränkung. Zu Zeiten, wo Kinder besonders häufig vor dem Fernseher sitzen, läuft also keine Werbung mehr für ungesunde Lebensmittel wie Softdrinks, Chips oder Fast Food. Im Internet ist die Werbung für ungesunde Lebensmittel sogar rund um die Uhr verboten. Ziel dieser Werbebeschränkung ist es, Fettleibigkeit bei Kindern – und alle damit im Lebensverlauf einhergehenden Krankheiten – zurückzudrängen.
Breites Bündnis für Werbebeschränkungen in Deutschland
In Deutschland hatte in der vergangenen Legislaturperiode der damalige Bundesernährungsminister Cem Özdemir (Grüne) versucht, Werbeverbote für ungesunde Produkte auf den Weg zu bringen. Er konnte sich damit aber gegen den Koalitionspartner FDP nicht durchsetzen. Die AOK unterstützte Özdemirs Initiative ausdrücklich und war damit Teil eines breiten Bündnisses, dass von der Politik die Abkehr von der freiwilligen Selbstbeschränkung der Lebensmittelindustrie forderte und sich für gesetzliche Werbebeschränkungen einsetzte, um Kinder besser zu schützen.
Nach dem Bruch der Ampel-Koalition wurde das Ziel nicht weiterverfolgt. Die schwarz-rote Koalition hat im Koalitionsvertrag keinerlei Werbebeschränkungen beschlossen. Sie hält an der freiwilligen Selbstbeschränkung der Lebensmittelindustrie fest. Verbände wie foodwatch oder die Deutsche Adipositas Gesellschaft fordern dagegen von der Politik strengere Werbeschranken für ungesunde Lebensmittel nach dem Vorbild Großbritanniens.
AOK engagiert sich für weniger Zucker in Lebensmitteln
Neben dem Engagement für Werbebeschränkungen hat sich die AOK-Gemeinschaft in der Vergangenheit, etwa in der Kampagne #wenigerZucker oder im Rahmen des Zuckergipfels, wiederholt dafür stark gemacht, den Zuckergehalt in süßen Lebensmitteln und Softdrinks zu reduzieren. Initiativen wie die Influencer-Kampagne #minusZucker oder der Zuckerkompass zur Stärkung der Ernährungskompetenz in Schulen sowie die sogenannte 66-Tage-Challenge sollen zudem junge Menschen immer wieder aufklären und motivieren, auf süße Snacks öfter zu verzichten und gesunde Alternativen auszuprobieren.
„Wir müssen die Individuen dazu motivieren, sich trotz einer ungesunden Umgebung gesund zu verhalten“, sagt Oliver Huizinga, Abteilungsleiter Prävention im AOK-Bundesverband. Besonders wichtig sei es, jüngere Erwachsene zu erreichen, weil ein hohes Körpergewicht in jungen Jahren die führende Ursache für spätere Lebensjahre mit Gesundheitseinschränkungen sei, so der AOK-Präventionsfachmann. Die 66-Tage-Challenge solle dazu beitragen, eine Routine zu schaffen, um eigene Verhaltensweisen zu verändern.
Verbände fordern deutsches Werbeverbot für Junkfood
Verbände in Deutschland fordern strenge Werbeschranken für ungesunde Lebensmittel nach dem Vorbild Großbritanniens. Um Fettleibigkeit bei Kindern zurückzudrängen, werden solche Produkte dort seit heute nur noch nach 21 Uhr im TV beworben, im Internet gar nicht mehr. „Länder wie Großbritannien werden längst aktiv gegen Fehlernährung bei Kindern“, sagte Andreas Winkler von der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch zu G+G. Die Bundesregierung schaue hingegen, „weiter tatenlos zu, wie McDonalds, Nestlé und Co. ihr Junkfood an Kinder vermarkten – und die Lebensmittellobby feiert“. Das Bundesernährungsministerium lehnt gesetzliche Verbote ab. „Die Bürgerinnen und Bürger sollen selbst entscheiden, was in den Einkaufskorb oder auf den Teller kommt“, erklärte ein Sprecher auf Anfrage.
„Für an Kinder gerichtete Lebensmittelwerbung existiert bereits ein System der Selbstregulierung durch die Verhaltensregeln zur Lebensmittelwerbung des Deutschen Werberats“, so der Sprecher von Minister Alois Rainer (CSU) weiter. Es sei im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag der Länder verankert. Im Koalitionsvertrag sei vereinbart worden, von zusätzlichen Werbebeschränkungen abzusehen. Die Deutsche Adipositas Gesellschaft (DAG) forderte dagegen, bei diesem Thema keine Zeit zu verlieren und endlich zu handeln. „Hierzu fehlt aktuell aber leider immer noch der politische Wille, trotz aller offensichtlichen Notwendigkeit“, so der Politische Geschäftsführer Sebastian Kruse zu G+G.
„Özdemir wollte mit seinem ‚Kinderlebensmittelwerbegesetz‘ auch in Deutschland Werbung für Ungesundes endlich einschränken, genau wie es Kinderärzte, Ernährungsexpertinnen und Verbraucherorganisationen seit Langem fordern“, so Foodwatch-Experte Winkler. „Doch die Lebensmittellobby hat mit einer massiven Kampagne, unterstützt von FDP und Union, die Pläne für mehr Kinderschutz vereitelt.“ Junkfood-Werbeschranken, eine Limo-Steuer und ein gesundes, kostenloses Schulessen seien drei konkrete Maßnahmen, die die Bundesregierung jetzt auf den Weg bringen müsse. Auch die DAG fordert eine Einschränkung von Werbung für ungesunde Lebensmittel, die sich an Kinder und Jugendliche richtet, um „die „Adipositas-Epidemie langfristig zu stoppen“. Zudem seien verbindliche Empfehlungen zur Einschränkung des Konsums von Süßgetränken notwendig.
Kein wirkliches Interesse der Lebensmittelindustrie
Eine Analyse der freiwilligen Zuckerreduzierung der Industrie bewertete Dr. Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, vor rund zwei Jahren mit deutlichen Worten: „Der heute vorgestellte Sonderbericht zum Anteil von Zucker, Fett und Salz in Nahrungsmitteln für Kinder ist ernüchternd. Über vier Jahre nach dem Start der Nationalen Reduktions- und Innovationsstrategie belegen die aktuellen Auswertungen des Max Rubner-Instituts erneut, dass die Lebensmittelindustrie kein wirkliches Interesse an der Veränderung ihrer Rezepturen zum Wohle der Kindergesundheit hat. Bestes Beispiel hierfür sind die bei Jungen und Mädchen beliebten Erfrischungsgetränke, bei denen die Zuckerwerte im Durchschnitt sogar wieder gestiegen sind.“
Und die AOK-Bundesvorstandsvorsitzende legtr nach: „Die Ergebnisse sind ein weiterer Beleg dafür, dass wir im Kampf gegen ernährungsbedingte Krankheiten nicht mit Lippenbekenntnissen weiterkommen. Was es braucht, sind verpflichtende Reduktionsziele für die Produzenten. Darüber hinaus bedarf es schnellstmöglich weiterer Maßnahmen wie eine Beschränkung von an Kinder gerichteter Werbung für zuckerreiche und hochkalorische Lebensmittel.“ pm/tok
Britische Zuckersteuer als Vorbild
„Kinder müssen vor dem übermäßigen Konsum zucker- und fetthaltiger Lebensmittel geschützt werden – zum Beispiel durch gezielte Werbeverbote und die Einführung einer Zuckersteuer. Die Gewinninteressen der Lebensmittellobby dürfen nicht länger über das Wohl der Kinder gestellt werden“, sagte Bundesärztekammer-Präsident Dr. Klaus Reinhardt Anfang Januar.
Ist die britische Zuckersteuer bei Softdrinks ein Vorbild für Deutschland? Die Einführung einer Zuckersteuer ist ein bedeutendes gesundheitspolitisches Instrument zur Reduzierung des Zuckerkonsums und zur Prävention ernährungsbedingter Erkrankungen. Großbritannien hat im April 2018 die „Soft Drinks Industry Levy“ eingeführt, eine gestaffelte Steuer auf zuckerhaltige Getränke. Diese Steuer erhebt Abgaben von 18 Pence (Stand 7. Mai 2025 rund 21 Cent) pro Liter für Getränke mit 5 bis 8 Gramm Zucker pro 100 ml und 24 Pence (Stand 7. Mai 2025 rund 28 Cent) pro Liter für Getränke mit mehr als 8 Gramm Zucker pro 100 ml.
Die Auswirkungen dieser Maßnahme sind signifikant:
1 – Der durchschnittliche Zuckergehalt in Softdrinks sank von 5,3 Gramm auf 3,8 Gramm pro 100 ml, was einer Reduktion von etwa 30 Prozent entspricht.
2 – Kinder reduzierten ihren täglichen Zuckerkonsum um etwa 5 Gramm, Erwachsene um 11 Gramm.
3 – Die Einnahmen aus der Steuer beliefen sich im Fiskaljahr 2021/22 auf 334 Millionen Pfund (Stand 7. Mai 2025 rund 393 Millionen Euro).