Das Defizit der Pflegeversicherung wird schnell deutlich höher. „Wir können es nicht zulassen, dass das Sicherheitsbedürfnis verloren geht, das die Menschen mit der Daseinsvorsorge verbinden“, sagt Johannes Bauernfeind, Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg. Foto: Andrey Popov/stock.adobe.com
Johannes Bauernfeind: „Tatenlos auf steigende Beitragssätze zu schauen, ist keine Option“
„Die Pflegeversicherung ist nicht insolvent, ihr droht auch nicht die Insolvenz“, betonte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach zu Beginn dieser Woche. „Das mag für den Moment zwar richtig sein, aber es lässt sich nicht wegdiskutieren, dass die Pflegeversicherung in Deutschland vor enormen finanziellen Herausforderungen steht – und politisches Handeln dringend erforderlich ist“, sagt Johannes Bauernfeind, Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg.
Defizit steigt dramatisch an
„In diesem Jahr liegt das Defizit der Pflegeversicherung voraussichtlich bei 1,6 Milliarden Euro, im kommenden Jahr bei 4,2 Milliarden Euro. Bei einem Finanzvolumen von über 60 Milliarden Euro sind das immerhin 3 beziehungsweise 7 Prozent Finanzierungslücke. Das muss in Berlin endlich wahrgenommen werden und es müssen Gegenmaßnahmen ergriffen werden“, sagt Bauernfeind. Das Geld fehlt, ist das Eine. Das Andere ist ein gesamtgesellschaftliches Risiko.
„Wir können es nicht zulassen, dass das Sicherheitsbedürfnis verloren geht, das die Menschen mit der Daseinsvorsorge verbinden. Dazu gehört eine verlässliche gesundheitliche und pflegerische Versorgung vor Ort. Sonst droht ein massiver Vertrauensverlust in den Staat und seine Institutionen – und unsere demokratische Grundordnung gerät (weiter) unter Druck“, so der AOK-Landeschef.
Versicherungsfremde Leistungen durch Steuern finanzieren
Was schlägt Bauernfeind vor, um möglichst schnell die Pflegeversicherung finanzieren zu können? „Eine kurzfristig wirksame Maßnahme zur finanziellen Stabilisierung der Pflegeversicherung wäre eine sachgerechte und verlässliche Finanzierung von versicherungsfremden Leistungen durch Steuermittel. Das würde den Beitragssatz in der Pflegversicherung deutlich entlasten. Und wie bereits im Koalitionsvertrag zugesagt, sollte der Staat endlich die Finanzierung der Rentenbeiträge von pflegenden Angehörigen übernehmen und höhere Pauschalen für Bürgergeld-Beziehende bereitstellen.“
Dabei gehe es um mehr als nur finanzielle Löcher zu stopfen. „Der Bundesgesundheitsminister muss aufpassen, dass nicht weitere Säulen der Sozialversicherung ins Wanken geraten. Denn auch die gesetzliche Krankenversicherung befindet sich finanziell in schwerem Fahrwasser. Ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl besteht noch Zeit, nachhaltige Finanzkonzepte vorzulegen und die Versprechen aus dem Koalitionsvertrag einzulösen. Tatenlos auf die steigenden Beitragssätze zu schauen, ist keine Option.“ pm