Die Pflege für behinderte Menschen oder Senioren ist teuer. Zugleich gibt es einen Reformstau in der Pflegeversicherung. Eine Prognos-Analyse macht Bedarf und Wirksamkeit einer Ausweitung der Steuerfinanzierung deutlich. Foto: marcus_hofmann/stock.adobe.com
Prognos-Gutachten der AOK bestätigt Reformdruck in der Pflegefinanzierung
Vor dem Start der Haushaltswoche im Bundestag hat der AOK-Bundesverband ein Gutachten zur Finanzierung der Sozialen Pflegeversicherung (SPV) veröffentlicht. Damit weist die Gesundheitskasse auf die Dringlichkeit von Reformen hin und fordert die zeitnahe Bereitstellung von Steuermitteln zur Finanzierung versicherungsfremder Leistungen im Bundeshaushalt 2025.
Steigende Beitragssätze sind zu erwarten
Das Gutachten wurde im Auftrag der AOK vom Wirtschaftsforschungsunternehmen Prognos erstellt. Es zeigt, dass bei moderater Entwicklung der Pflegeprävalenzen sowie bei Fortschreibung des aktuellen Status Quo bezüglich Einnahmen und Ausgaben in der SPV mit einem Anstieg des Finanzbedarfs von aktuell 59 Milliarden Euro auf 93 Milliarden Euro im Jahr 2030 zu rechnen wäre. Auf insgesamt 226 Milliarden Euro käme man bis zum Jahr 2060.
Der Beitragssatz würde damit bis 2030 von aktuell 3,4 Prozent auf 4,1 Prozent ansteigen, zwischen 2047 und 2056 weiter auf 4,55 Prozent klettern und bis 2060 auf 4,35 Prozent absinken. Das Gutachten verdeutlicht, dass eine Ausweitung der Steuerfinanzierung den Beitragssatz im Mittel um -0,50 Prozentpunkte entlasten kann. Basis der Analyse sind Daten aus dem Jahr 2023.
Gutachten unterstreicht Reformbedarf
„Das Gutachten unterstreicht den dringenden Reformbedarf und vor allem die Notwendigkeit von Steuermitteln zur Finanzierung der Sozialen Pflegeversicherung“, kommentiert Dr. Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, die Ergebnisse.
„Die zu erwartenden Defizite werden dabei nicht nur langfristig bis 2060 deutlich, sondern vor allem auch kurz- und mittelfristig bis 2030. Den enormen Handlungsdruck hat erst diese Woche auch der Bundesrechnungshof bestätigt. Die Regierung muss noch in dieser Legislaturperiode und damit auch bereits in der kommenden Haushaltswoche ins Handeln kommen und Bundesmittel für die SPV einplanen. Sonst drohen Beitragssatzsteigerungen, mit negativen Folgen für das Vertrauen in die gesamte SPV und ihre Funktionsfähigkeit“, so Reimann.
Steuerfinanzierung versicherungsfremder Leistungen kann Beiträge senken
Das Gutachten beleuchtet die Wirkung von drei Reformbausteinen zur Ausweitung der Steuerfinanzierung. Die Berechnungen von Prognos für das mittlere Szenario ergeben dabei, dass der Beitragssatz im gesamten Betrachtungszeitraum des Gutachtens bis 2060 um durchschnittlich -0,50 Prozentpunkte entlastet werden kann, wenn die Rentenversicherungsbeiträge für pflegende Angehörige aus Steuermitteln finanziert würden, die Bürgergeldpauschale erhöht und ein Steuerkapital zur Weiterentwicklung des Pflegevorsorgefonds eingeführt werden würde.
2030 würde der Beitragssatz dann bei 3,7 Prozent liegen, anstatt bei prognostizierten 4,1 Prozent ohne diese Reformmaßnahmen; im Jahr 2060 wären es 3,8 Prozent statt 4,35 Prozent.
Pflege ist Aufgabe der gesamten Gesellschaft
„Pflege ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und die Kosten sollten auf viele Schultern verteilt werden“, so AOK-Vorständin Reimann. Und: „Das Gutachten zeigt, dass zusätzliche Steuerzuschüsse gut geeignet sind, um den Druck auf den Beitragssatz im demografischen Wandel zu verringern.“ Dafür müssten aber alle drei Reformbausteine umgesetzt werden. Reimann ergänzt: „Das kürzlich veröffentlichte IGES-Gutachten der Bundesregierung hat die Erhöhung der Bürgergeldpauschalen außen vorgelassen, obwohl diese schon für sich allein genommen für eine Entlastung der Beitragszahlenden in Höhe von 7,3 Milliarden Euro im Jahr 2060 sorgen und den Beitragssatz im Mittel um -0,15 Prozentpunkte senken würde. Die Finanzierung versicherungsfremder Leistungen ist Aufgabe des Staates.“
Wirkung der Ausweitung der Beitragsgrundlagen
Im Gutachten wurde auch berechnet, welche Wirkung eine Ausweitung der Beitragsgrundlage auf den Beitragssatz haben könnte. Eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze der SPV auf das Niveau der Gesetzlichen Rentenversicherung in Kombination mit einer Verbeitragung weiterer Einkunftsarten wie beispielsweise von Kapitalerträgen, würde im mittleren Szenario den Beitragssatz um durchschnittlich -0,35 Prozentpunkte senken.
„Eine dadurch entstehende finanzielle Mehrbelastung der Beitragszahlenden lehnen wir als AOK-Gemeinschaft ab. Vielmehr muss die Ampel ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag zur finanziellen Entlastung der Sozialen Pflegeversicherung einlösen“, fordert die AOK-Vorstandsvorsitzende.
Auch die Einführung eines zusätzlichen Steuerkapitals, die Prognos in der Grundlogik zum Aufbau eines Generationenkapitals in der Rentenversicherung nachgezeichnet und berechnet hat, könnte dem Gutachten zufolge eine stärkere Entlastung bringen, wenn der Staat dazu Steuermittel einbringen würde. Ein denkbarer Finanzausgleich zwischen Sozialer und Privater Pflegeversicherung würde laut Gutachten im Mittel für eine Entlastung von -0,3 Prozentpunkten sorgen.
Finanzreform durch Strukturreformen ergänzen
Neben einer Finanzreform fordert die AOK in ihrem aktuellen Positionspapier zur Weiterentwicklung der Pflege weitgehende Strukturreformen, insbesondere zur Stärkung der Pflege vor Ort und zur Ausweitung von Maßnahmen zur Prävention von Pflegebedürftigkeit.
Reimann: „Wenn wir die Probleme in der Pflege lösen wollen, brauchen wir eine Kombination aus Finanz- und Strukturreformen. In unserem Positionspapier haben wir vorgestellt, wie ein Reformkonzept für eine bedarfsgerechtere und effizientere Gestaltung der Pflege aussehen könnte.“ AOK
Zum Positionspapier geht es hier: https://www.aok.de/pp/bv/pm/positionspapier-weiterentwicklung-pflege/
Zum Prognos-Gutachten geht es hier: https://www.aok.de/pp/bv/pm/prognos-gutachten-pflegefinanzierung