Modernste Krebstherapien können bereits Großes leisten und werden in manchen Fällen auch aufs kleineste Parameter hin individuell maßgeschneidert, was den Behandlungserfolg positiv prägt. Aber angesichts von Gesetzesvorlagen und Finanzproblemen bei Kliniken sind, so Marco Danz, Director Regional Market Access beim Biotechnologie-Unternehmen Gilead Sciences, immer mehr neue Medikamente nicht oder nicht mehr in Deutschland verfügbar. Foto: tongpatong/stock.adobe.com

Innovative Krebstherapien: Nur für manche Patienten verfügbar?

Immunonkologika, zielgerichtete Medikamente, Gentherapien: Neue Behandlungsmöglichkeiten haben bei vielen Krebsarten die Prognosen der Betroffenen deutlich verbessert. Doch nicht alle Menschen in Deutschland erhalten diese Innovationen, nicht alle bekommen die medizinische Versorgung, die ihnen zusteht.

Mit Marco Danz, Director Regional Market Access beim Biotechnologie-Unternehmen Gilead Sciences, hat Pharma-Fakten.de für Vital-Region.de darüber gesprochen, was sich ändern muss.

Deutschland hat eine gute Gesundheitsversorgung. Oder?

Marco Danz: In der Theorie haben wir in der gesetzlichen Krankenversicherung einen umfangreichen medizinischen Leistungskatalog, der sowohl ambulante wie auch stationäre Leistungen beinhaltet, die alle Versicherten unabhängig von Einkommen, Alter, sozioökonomischem Status oder Wohnort in Anspruch nehmen können.

Aber?

Danz: Diese Theorie ist leider zu oft nicht Realität. Das muss sich ändern. Es ist im Interesse aller Akteure im Gesundheitssystem, dass die bestmöglichen Therapien – gerade auch in Form von Innovationen – den jeweiligen Patient:innen zur richtigen Zeit am richtigen Ort zur Verfügung stehen.

Woran hapert es?

Danz: An vielen Stellen. Das deutsche Gesundheitssystem ist für überbordende Bürokratie bekannt. Wenn es zu lange dauert, bis eine bestimmte, innovative Therapie beantragt und genehmigt ist, ist das Zeit, die schwerkranke Menschen nicht haben. Herausforderungen ergeben sich zudem aus der demografischen Entwicklung: Die Bevölkerung altert, neben Krebs werden auch Krankheiten wie Bluthochdruck oder Herzleiden zunehmen – der Bedarf an ärztlicher Versorgung steigt.

Gleichzeitig trifft die demografische Entwicklung die Mediziner:innen selbst – sie suchen vergeblich Praxisnachfolger:innen, vor allem in strukturschwachen Regionen. Die Folge ist, dass keine wohnortnahe Versorgung sichergestellt werden kann. Immer mehr Menschen finden keine hausärztliche Praxis, die sie aufnimmt. Die Wartezeiten für fachärztliche Termine werden länger. Medizinisches Personal hat immer weniger Zeit für die einzelnen Menschen.

Außerdem sind die Ärzt:innen, die im laufenden Betrieb mehr als genug zu tun haben, mit einer regelrechten Explosion medizinischen Wissens konfrontiert.

Danz: Genau, insbesondere in der Onkologie hat sich innerhalb weniger Jahre so viel verändert. Es stellt eine große Herausforderung dar, den Überblick über alle Innovationen und neuesten Erkenntnisse zu behalten.

Wie ist die Situation in der stationären Versorgung?

Danz: Dass viele Krankenhäuser finanziell wie personell am Limit sind, ist ja kein Geheimnis. Doch es muss eine wohnortnahe Grund- und Notfallversorgung sichergestellt werden. Die Krankenhausreform der Bundesregierung soll im kommenden Januar in Kraft treten – in der Vergangenheit wurden monetäre Anreize falsch gesetzt. Nun will die Politik das ändern und zum Beispiel mit Vorhaltepauschalen dafür sorgen, dass notwendige Leistungsbereiche wie die Geburtshilfe einen Geldbetrag dafür erhalten, dass sie schlicht da sind. Auch wird eine Umstrukturierung der onkologischen Versorgung angestrebt. Es geht darum, onkologische Spitzenmedizin in regionalen Zentren zu erhalten. Patient:innen werden in Zukunft allerdings mit längeren Anfahrtswegen rechnen müssen.

Die Ampel-Parteien haben 2022 das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) verabschiedet. Aus Sicht der Pharmaindustrie ist das nicht gerade einer besseren Gesundheitsversorgung zuträglich.

Danz: Im Gegenteil. Es hat die Rahmenbedingungen, wie neue Arzneimittel in Deutschland erstattet werden, immens verschlechtert, vor allem auch hinsichtlich der Planbarkeit. Für eine Industrie, die von langen Entwicklungszeiten gekennzeichnet ist, ist dies Gift. Der medizinische Fortschritt erfolgt meist Schritt für Schritt – und seltener in großen Sprüngen. Das gilt für die Onkologie, aber auch zum Beispiel bei HIV: Das Virus muss kein Todesurteil mehr sein. Früh erkannt und richtig behandelt können die meisten Betroffenen gut damit leben, eine normale Lebenserwartung erreichen – und sind nicht mehr ansteckend. Möglich war das nicht von jetzt auf gleich: Es ist das Ergebnis von unaufhörlicher Forschung, die die Versorgung über die vergangenen Jahrzehnte Arzneimittel für Arzneimittel besser gemacht hat.

Doch diese sogenannten Schrittinnovationen honoriert das GKV-FinStG in der Regel nicht mehr. Immer mehr neue Medikamente sind in Folge des Gesetzes nicht oder nicht mehr in Deutschland verfügbar. Dies stellt nicht nur für die Onkologie ein großes Problem dar, sondern gefährdet auch die Erfolge bei derzeit gut behandelbaren Erkrankungen: Wie wir in der COVID-Pandemie erfahren haben, mutieren Viren – wie auch Bakterien – und erfordern somit die Entwicklung neuer Medikamente, die weiterhin wirken. Auch ist vielfach eine Heilung oder gezielte Ausrottung, zum Beispiel von HIV, noch nicht möglich.

Wie lässt sich die Versorgung von Krebs-Patient:innen insgesamt verbessern?

Danz: Aufgrund der Komplexität und Vielzahl an „Baustellen“ müssen unbedingt alle Akteure im Gesundheitssystem zusammenarbeiten – Ärzte- und Apothekerschaft, Politik, Krankenkassen, Industrie, Wissenschaft und Patientenorganisationen. Wir von Gilead haben dazu das Austauschformat „Let´s X-Change – Focus on Oncology“ ins Leben gerufen. Bei unseren Veranstaltungen können alle gemeinsam über Herausforderungen sprechen und patientenorientierte Lösungsansätze erarbeiten.

Zu welchen Ergebnissen kamen Sie auf Ihrer jüngsten Veranstaltung?

Danz: Im Prinzip geht es um drei Punkte: Wie kommen Therapien zum richtigen Patienten, zum richtigen Zeitpunkt, am richtigen Behandlungsort?

Was meinen Sie mit dem „richtigen Patienten“?

Danz: Die Behandlungsmöglichkeiten bei Krebs werden immer komplexer und personalisierter. Ob eine Therapie für einen Menschen in Frage kommt, hängt unter anderem von individuellen Tumormerkmalen ab. Um sicherzustellen, dass eine präzise Diagnostik und qualitativ hochwertige Behandlung erfolgt, braucht es vermehrt interdisziplinären Austausch, koordinierte Bildgebungsverfahren, niedermolekulare Labordiagnostik sowie nicht zuletzt Behandler:innen, die sich zusammensetzen und gemeinsam den Überblick über wissenschaftliche Entwicklungen in der Onkologie behalten und die richtigen Entscheidungen für ihre Patient:innen treffen können. Im innovativen Bereich der Zelltherapie versucht man beispielsweise den Rahmen über Struktur- und Prozesskriterien per Richtlinie bundeseinheitlich zu schaffen.

Wichtig ist auch, dass die Patient:innen möglichst schnell Zugang zu der benötigten Therapie erhalten.

Danz: Genau. Es gilt Prozesse zu beschleunigen, also etwa den Informationsaustausch zwischen ambulanter und stationärer Versorgung oder zwischen den Leistungserbringern und der Selbstverwaltung. Es geht um eine bessere Datenverfügbarkeit – es braucht mehr Digitalisierung, das würde zum Beispiel schon beim Terminmanagement helfen.

Kommen wir zum „richtigen Behandlungsort“.

Danz: Da gibt es viele Stellschrauben. Eine davon: Die Patient:innen sollten bereits vor der Behandlung in einem Krankenhaus einsehen können, wie die zu erwartende Ergebnisqualität aussieht. Soll heißen: Es braucht transparente, messbare Parameter, welche Aufschluss darüber geben, wo sie – in Bezug auf ihre individuelle Erkrankung – die beste Versorgung bekommen.

Daten zeigen zum Beispiel, dass die Prognose bei Prostatakrebs unter anderem von der Erfahrung der operierenden Chirurg:innen abhängt. Daher ist es wichtig, dass sich onkologische Einrichtungen auf bestimmte Krebsarten oder Behandlungsmethoden spezialisieren. Zumal eine Behandlung, die bestimmte Qualitätsstandards einhält, dem System Geld sparen kann, weil Komplikationen und Folgekosten reduziert werden. Letztlich profitieren also nicht nur die Patient:innen, sondern auch das Gesundheitswesen und die Gesellschaft als Ganzes.