Einzigartiges Präventionsprojekt gegen K.O.-Tropfen und ihre üblen Folgen
Sie wirken schnell, machen wehr- und willenlos und können nur eine kurze Zeit nachgewiesen werden: sogenannte K.O.-Tropfen. Meist werden diese ihren Opfern heimlich ins Getränk geschüttet – Betroffenen wird der Konsum so oft erst im Nachhinein bewusst. Ein interdisziplinäres Kooperationsprojekt stärkt jetzt Aufklärung und Betreuung bei K.O.-Tropfen-Vorfällen.
Auch im Ulmer Nachtleben sind K.O.-Tropfen ein allgegenwärtiges Thema. Um die Nachsorge und Betreuung von Betroffenen zu verbessern, starten das Institut für Rechtsmedizin am Universitätsklinikum Ulm (UKU) und die Stadt Ulm – Team Chancengerechtigkeit und Vielfalt gemeinsam das Projekt „Kampf dem K.O.“. Das Land Baden-Württemberg unterstützt das bundesweit einzigartige Präventionsprojekt mit rund 375.000 Euro.
Gerichtsverwertbare Zusatzuntersuchungen
„Die Stadt Ulm bietet ideale Voraussetzungen für die Realisierung eines solchen Projekts. Durch die Gewaltambulanz kann hier das notwendige medizinische und toxikologische Know-how bereitgestellt werden. Als kleine Großstadt mit einer überschaubaren und gut vernetzten Partyszene und dem dort bereits gut etablierten Projekt „NACHTSAM“ bietet Ulm eine gute Ausgangsbasis zur statistischen Erfassung von unfreiwilliger K.O.-Mittel-Gabe“, so Dr. Ute Leidig, Staatssekretärin im Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg.
Bei Verdacht auf K.O.-Tropfen führt das Institut ab 1. Januar 2024 gerichtsverwertbare Zusatzuntersuchungen durch. Hierdurch soll sowohl die ärztliche Nachsorge optimiert, als auch die Umstände der Betroffenen besser aufgeklärt werden.
Zentral dämpfende Substanzen machen wehrlos
Unter dem Begriff „K.O-Tropfen“ versteht man eine Vielzahl von schnell wirkenden, zentral dämpfenden Substanzen. Die bekanntesten, als K.O.-Tropfen eingesetzten Wirkstoffe, sind γ-Hydroxybuttersäure (wie GHB oder Liquid Ecstasy), Ketamin, Benzodiazepine, Antihistaminika oder Anticholinergika. Diese Substanzen können eine Person – je nach Dosierung – handlungsunfähig und wehrlos machen. Hinzu kommt, dass die farb- und geruchslosen Substanzverbindungen zum Großteil schnell vom Körper abgebaut werden und daher nur ein sehr kurzes Zeitfenster der Nachweisbarkeit besteht.
„Unsere Mission ist es, nicht nur die Versorgung von Betroffenen zu optimieren, sondern auch die Umstände dieser Vorfälle bestmöglich aufzuklären. Denn Vorfälle mit K.O.-Tropfen haben nicht nur kurzfristige Auswirkungen, sondern können auch langfristige Folgen für die Opfer haben und diese jahrelang begleiten“, erklärt Prof. Dr. Sebastian Kunz, Ärztlicher Direktor des Instituts für Rechtsmedizin am UKU. Bei Verdacht auf K.O.- Tropfen führt das Institut zukünftig im Rahmen der klinischen Routine gerichtsverwertbare chemisch-toxikologische Zusatzuntersuchungen durch. Auf diese Weise kann schneller und sicherer geklärt werden, ob Patienten unwissentlich K.O.-Tropfen zu sich genommen haben.
„Über die Verabreichung von K.O.-Tropfen ist leider viel zu wenig bekannt. Bisher gibt es weder lokal noch bundesweit eine fundierte statistische Datenerhebung oder auch nachhaltige Präventionsmaßnahmen, um über die Risiken von K.O.-Tropfen aufzuklären. Hier setzt das Kooperationsprojekt „Kampf dem K.O.“ an und kann mit der Erprobung von Präventionsmaßnahmen und Hilfestellungen für Betroffene, landes- wie auch bundesweit wichtige Weichen stellen“, bekräftigt Staatssekretärin Dr. Leidig zum Start des Projekts.
Das interdisziplinäre Kooperationsprojekt „Kampf dem K.O.“ vereint die Expertise des Instituts für Rechtsmedizin, der Zentralen Interdisziplinären Notaufnahme des UKU, der Zentralen interdisziplinären Notaufnahme des Bundeswehrkrankenhauses Ulm, der Donauklinik Neu-Ulm sowie der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe am UKU. „Wir sind stolz darauf, dieses wegweisende Projekt gemeinsam mit unseren Kooperationspartnern umsetzen zu können. Durch die enge Verzahnung von Rechtsmedizin und klinischer Praxis schaffen wir zukünftig eine umfassende Antwort auf das besorgniserregende Problem der K.O.-Tropfen und tragen langfristig dazu bei, die Sicherheit im Ulmer Nachtleben zu erhöhen“, sagt Prof. Kunz.
Die Partner
Im Universitätsklinikum Ulm werden jährlich rund 50.000 Patienten stationär behandelt. Hinzu kommen knapp 300.000 ambulante Quartalsfälle. Rund 6000 Mitarbeiter leisten an den Standorten des Klinikums universitäre Spitzenmedizin. Mit 29 Kliniken und 16 Instituten bietet das Universitätsklinikum den Patienten eine stationäre und ambulante Krankenversorgung auf höchstem Niveau. Das Universitätsklinikum Ulm verfügt über 1200 Betten und ist das größte Klinikum zwischen Ost-Württemberg, Schwäbischer Alb, Bodensee und Allgäu. An der Ulmer Universität absolvieren rund 4.000 Studierende ein Studium an der Medizinischen Fakultät. Das Universitätsklinikum Ulm ist eines von vier Universitätsklinika in Baden-Württemberg.
Die Erfindungen gegen K.O.-Tropfen aus der Region
„Jeder kennt jemanden, der irgendwie schon mal mit K.O.-Tropfen in Kontakt war“, erzählte Jungunternehmerin Kim Eisenmann 2019 der „Pforzheimer Zeitung“. Nachdem die damals 30 Jahre alte Karlsruherin einen solchen Fall im Bekanntenkreis erlebt hatte, entwickelte sie gemeinsam mit ihrem Freund Sven Häuser, der an der Hochschule in Pforzheim studierte, das Armband „Xantus“. Wird der Tropfen eines Getränkes auf einen der darauf liegenden Testpunkte gegeben, verfärbt sich der Bereich. Eisenmanns Worten zufolge können Drinks so auf die bekanntesten K.O.-Tropfen getestet werden.
Wer einmal die erschreckende Wirkung von sogenannten K.O.-Tropfen am eigenen Leib erlebt hat oder Zeuge davon wurde, was die sedierenden Drogen anrichten können, der vergisst es nie wieder. So erlebte es auch Lina Dilger. Die Tiefenbronnerin war in Berlin feiern. Mit einem 18-jährigen jungen Mann. 2 Uhr nachts, ein Techno-Club. Beide holen sich Getränke an der Bar – und tauschen sie. „Innerhalb von Minuten war er nicht mehr ansprechbar, konnte nicht mehr stehen“, erinnert sich die BWL-Studentin. „Vom Normalzustand in die Bewusstlosigkeit.“
Das Erlebnis erschüttert Dilger. Sie beginnt, sich darüber zu informieren, wie man sich vor K.O.-Tropfen schützen kann. Die Studentin entdeckt bei ihren Nachforschungen zum Thema ein Produkt aus den USA, das hierzulande noch nicht patentiert ist: ein Arm- und Haarband, das gleichzeitig als Getränkeabdeckung benutzt werden kann. Lina Dilger gründet ihr Start-up „Safedrink“, beginnt, die Bänder aus Polyester und Elastan, die zugleich waschmaschinentauglich und flüssigkeitsabweisend sind, in China produzieren zu lassen.