Menschen sind soziale Wesen. Einsamkeit wirkt auf den Körper wie ein negativer Stressor, daher wird mehr Kortisol ausgeschüttet. Der innere Dauerstress führt zu gesundheitlichen Problemen. Foto: aubriella – KI-generiert/stock.adobe.com

Einsamkeit macht krank: Fast jeder Dritte in Baden-Württemberg fühlt sich allein

Einsamkeit ist in Baden-Württemberg weit verbreitet – und betrifft Menschen aller Altersgruppen, Lebenssituationen und Regionen. Das zeigt eine neue landesweite Studie der Bertelsmann Stiftung mit finanzieller Unterstützung des Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Integration, die erstmals landesweit Zahlen zur Einsamkeit erhoben hat. Demnach hängen Einsamkeitserfahrungen weniger mit geografischen, sondern vor allem mit sozialen, gesundheitlichen und wirtschaftlichen Faktoren zusammen.

Nicht von ungefähr hat die Weltgesundheitsorganisation World Health Organisation (WHO) die Einsamkeit als „Pandemie des 21. Jahrhunderts“ deklariert. Die baden-württembergische Landesregierung reagiert mit Ideenwettbewerben, neuen Projekten und gezielter Förderung sozialer Begegnungsräume, um dem besorgniserregenden Trend entgegenzuwirken.

Gesundheitsminister Manne Lucha: „Einsamkeit ist kein individuelles Problem“

„Die Studie zeigt: Einsamkeit ist kein individuelles Problem, sondern betrifft die Gesellschaft in ihrer Breite. Wir müssen die strukturellen Gründe für zunehmende Einsamkeit stärker in den Blick nehmen und das Thema gleichzeitig enttabuisieren“, sagte der Minister für Soziales, Gesundheit und Integration Manne Lucha in Stuttgart. So seien beispielsweise Personen mit geringem Einkommen, gesundheitlichen Einschränkungen oder Behinderungen, prekären Arbeitsverhältnissen oder Migrationshintergrund besonders gefährdet. Die höchste Einsamkeitsbelastung wurde bei Menschen zwischen 30 und 65 Jahren festgestellt, aber auch Ältere sowie Menschen unter 30 sind stark betroffen.

„Einsame Menschen zu unterstützen, ist eine gemeinsame Verantwortung von Staat und Zivilgesellschaft. Im Zusammenwirken können sie innovative und tragfähige Lösungen entwickeln, um Einsamkeit wirksam zu begegnen und den sozialen Zusammenhalt zu stärken. Dabei kommt sozialen Orten und Begegnungsräumen eine besondere Bedeutung zu“, sagte Dr. Anja Langness, Gesundheitsexpertin der Bertelsmann Stiftung.

Für die Studie wurden 1842 Personen befragt, die repräsentativ für die Bevölkerung Baden-Württembergs im Hinblick auf Schulabschluss, Regierungsbezirk, Alter sowie die Kombination aus Alter und Geschlecht sind.

30,1 Prozent der Befragten in Baden-Württemberg fühlten sich moderat einsam und 8,1 Prozent stark einsam.

In der Gruppe der Befragten, die den Zusammenhalt in der Nachbarschaft als schlecht bewertete, lag auch die moderate Einsamkeit mit 43 Prozent höher als bei denjenigen, die den Zusammenhalt neutral (30 Prozent) oder gut bewerteten (24 Prozent).

Menschen mit niedrigem Einkommen unter 2000 Euro gaben signifikant häufiger an, moderat einsam (31 Prozent) oder stark einsam (13 Prozent) zu sein.

54 Prozent der Befragten mit direktem (eigenen) Migrationshintergrund fühlen sich entweder moderat oder stark einsam, gegenüber 34 Prozent der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund.

Soziale Zugehörigkeit als Schlüsselfaktor

Entscheidend für das Erleben von Einsamkeit ist der Grad an sozialer Zugehörigkeit – insbesondere zur unmittelbaren Nachbarschaft und zu persönlichen Netzwerken. Menschen, die sich gut in ihre Umgebung eingebunden fühlen, erleben deutlich weniger Einsamkeit. Eine positive Bewertung sozialer Infrastruktur – etwa von Treffpunkten im Quartier, Beratungsstellen oder Gemeinschaftszentren – korreliert mit einem geringeren Einsamkeitsgefühl. „Wir müssen Einsamkeit als gesamtgesellschaftliches Problem verstehen, das nur gelöst werden kann, wenn alle gesellschaftlichen Akteure Verantwortung übernehmen“, betonte Prof. Dr. Maike Luhmann, eine der Autorinnen der Studie und renommierte Forscherin im Bereich Einsamkeit in Deutschland.

Einsame Menschen berichten hingegen häufiger über fehlende Anlaufstellen, nutzen soziale Angebote seltener und sind politisch weniger aktiv. Auch Mediennutzung unterscheidet sich leicht: Einsame Personen verbringen mehr Zeit mit digitalen Medien.

Gesundheit, Optimismus und Vertrauen stärken

Ein enger Zusammenhang besteht zwischen gesundheitlicher Verfassung, Zukunftsoptimismus und Vertrauen in demokratische Prozesse. Menschen mit einer positiven Lebenseinstellung fühlen sich seltener einsam – unabhängig vom Alter. Die Studie empfiehlt deshalb, Resilienz, psychische Gesundheit und gesellschaftliche Teilhabe gezielt zu fördern.

Die aktuelle Studie knüpft an eine frühere Arbeit der Bertelsmann Stiftung an, die die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Baden-Württemberg thematisiert hatte. Auch die Enquetekommission „Krisenfeste Gesellschaft“ des Landtags von Baden-Württemberg benennt den Kampf gegen Einsamkeit als wichtiges Thema für die Resilienz des Landes.

Körperliche Reaktion auf Einsamkeit

Hinter Statussymbolen und stolzen Posts in sozialen Medien versteckt sich oft eine dicke Schicht Einsamkeit. Jüngere Menschen zwischen 18 und 35 Jahren sind als Ergebnis der Covid-19-Pandemie am häufigsten einsam, danach folgen die Senioren (25 %). Die WHO hat daher Einsamkeit als „Pandemie des 21. Jahrhunderts“ bezeichnet. Ein Zehntel aller Menschen leidet unter Einsamkeit. Diese sind gesundheitlich teilweise nicht mehr in der Lage, Anschluss zu suchen, oder trauern um einen Lebenspartner oder verlorene Freunde.

Menschen sind soziale Wesen. Einsamkeit wirkt auf den Körper wie ein negativer Stressor, daher wird mehr Kortisol ausgeschüttet. Der innere Dauerstress führt zu gesundheitlichen Problemen: Der Körper stellt mehr Zucker bereit, was auf Dauer zum Abbau von Muskel-Eiweiß führt. Das wiederum bewirkt einen erhöhten Blutzuckerspiegel. Ein so angetriebenes Herz-Kreislauf-System erzeugt Bluthochdruck. Die Immunabwehr sinkt, Infektionen können so rascher greifen. Chronischer Stress kann auch zu Magengeschwüren oder Osteoporose führen. Die häufigsten Symptome sind Schlafstörungen, depressive Symptome und Selbstwertprobleme. Soziale Isolierung erhöht das Risiko, einen Schlaganfall oder Herzinfarkt zu erleiden oder an Krebs zu erkranken.

Einsamkeit ist ein Risikofaktor für Herzinsuffizienz

Eine Herzinsuffizienz führt häufig in die Depression – umgekehrt ist eine vorliegende Depression auch ein Risikofaktor für das Auftreten einer Herzinsuffizienz. Wenn beides zusammenkommt, entsteht ein Teufelskreis: Die Depression verstärkt die Symptome der Herzinsuffizienz und umgekehrt. Und welche Menschen sind davon besonders betroffen? „Einsame Menschen, die keine stabilen zwischenmenschlichen Kontakte haben. Die Studienlage ist inzwischen so gut, dass wir sagen können: Einsamkeit ist ein unabhängiger Risikofaktor sowohl für das Auftreten einer Depression als auch einer Herzinsuffizienz“, sagt Psychokardiologin Prof. Dr. Christiane Waller.

Soziale Isolation und Einsamkeit (selbst wahrgenommene Isolation) sind mit negativen gesundheitlichen Folgen verbunden, so das Fazit eines aktuellen Scoping-Reviews. Betroffen ist die Herz-Kreislauf- und die Gehirngesundheit. Besonders überzeugend ist die Evidenz laut der Autoren für einen Zusammenhang zwischen sozialer Isolation oder Einsamkeit mit erhöhtem Risiko für schlechtere Verläufe bei bestehender koronarer Herzkrankheit und einem Schlaganfall. Allerdings ermöglichen die bisherigen Studien keine Aussagen über die Ursachen oder Mechanismen, die den Assoziationen zugrunde liegen.

Schwerhörigkeit macht einsam und ist Alzheimer-Risikofaktor

Wenn altersbedingt oder durch eine Erkrankung die Fähigkeit zu Hören abnimmt, beginnen Betroffene häufig, sich zurückzuziehen. Sie meiden Situationen, in denen sie schlecht verstehen, was um sie herum gesprochen wird. Treffen mit Freunden und Familie, Ausflüge in Gruppen, die Teilnahme an Veranstaltungen – all das wird zunehmend zur Belastung, der Betroffene aus dem Weg gehen. Und das ist dann der Weg in die Einsamkeit.

Das bestätigen Forschungsergebnisse, die auf einen Zusammenhang zwischen Hörverlust und Einsamkeit hinweisen. Besonders schwierig wird die gesellschaftliche Teilhabe, wenn die Hörschädigung so schwer ist, dass herkömmliche Hörgeräte den Verlust nicht mehr ausgleichen können. Doch selbst in solch schweren Fällen von Hörverlust gibt es Hilfe in Form von Cochlea-Implantaten.

Ein nachlassendes Hörvermögen wird oft nicht ernst genommen. Viele scheuen aus Eitelkeit den Gang zum Arzt, weil sie kein Hörgerät tragen möchten. Das kann schwerwiegende Folgen haben. Zum Beispiel die Alzheimer-Krankheit. „Schwerhörigkeit ist der wichtigste Alzheimer-Risikofaktor im mittleren Lebensalter. Tritt sie bei 45- bis 65-Jährigen auf und bleibt unbehandelt, ist das Risiko für eine Alzheimer-Erkrankung im Alter deutlich erhöht“, erklärt Dr. Linda Thienpont, Leiterin Wissenschaft der gemeinnützigen Alzheimer Forschung Initiative (AFI).

 „Ab Mitte 50 kann das Hörvermögen durch altersbedingten Verschleiß schlechter werden. Das sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen, sondern das Gehör regelmäßig von einer Fachärztin oder einem Facharzt untersuchen lassen. In den meisten Fällen können Defizite durch ein Hörgerät ausgeglichen werden“, so Thienpont. Wird eine Hörhilfe ärztlich verordnet, übernimmt die Krankenkasse die Kosten bis zu einer Obergrenze. Ist die Hörschwäche krankheitsbedingt, sollten die Ursachen behandelt werden. Das können zum Beispiel Durchblutungs- und Stoffwechselstörungen oder Schäden an der Halswirbelsäule sein.

Das kann man gegen Einsamkeit tun

Einsamkeit lässt sich auf verschiedenen Wegen überwinden. Eine therapeutische Unterstützung ist oft empfehlenswert. Diese lässt sich über den Hausarzt ermöglichen. In Phasen akuter Einsamkeit ist die Nummer der Telefonseelsorge oder der Chat eine hilfreiche Anlaufstelle. Für junge Menschen bis 25 Jahre gibt es auch „krisenchat“. Für eine längerfristige Überwindung der Einsamkeit ist ein Besuch von zu den eigenen Interessen passenden Gruppen, egal ob in Kultur, Musik, Spiel, Tanz oder Sport sowie thematischen Neigungen empfehlenswert. Es können auch gerne mehrere Gruppen sein, die unbedingt verbindlich besucht werden sollten – egal, ob dazu Lust und Laune angeblich richtig sind. Ein machbares Programm mit wenigen oder keinen Leistungszielen ist sinnvoll.

  • Alte Kontakte auffrischen
    Vielleicht braucht es einen kleinen Ruck – aber warum sich nicht mal wieder bei früheren Bekannten, Freunden oder Arbeitskollegen melden? Ob ein Anruf, eine E-Mail oder eine Facebook-Nachricht – es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, alte Kontakte wieder zu reaktivieren.
  • Nachbarschaftliche Kontakte pflegen
    Eine Unterhaltung über den Gartenzaun oder mal beim Nachbarn klingeln, wenn einem das Salz ausgegangen ist – auch ein guter nachbarschaftlicher Kontakt kann bei Einsamkeit helfen.
  • Ein Ehrenamt übernehmen
    Es gibt viele Möglichkeiten, sich für die Gemeinschaft einzusetzen – und dabei in Kontakt zu kommen. Ein ehrenamtliches Engagement wird oft als erfüllend und sinnvoll erlebt.
  • Ein neues Hobby suchen
    Auch bei Freizeit- und Sportaktivitäten kann man neue Menschen kennenlernen. Volkshochschulen haben zum Beispiel oft ein sehr vielseitiges Programm und viele Sportvereine, Orchester oder Chöre freuen sich über neue Mitglieder.
  • Digitale Möglichkeiten nutzen
    Es gibt viele Online-Börsen oder Internetangebote, in denen man Menschen für gemeinsame Aktivitäten finden kann. Auch über soziale Medien wie Facebook kann man neue Kontakte knüpfen oder mit Menschen in Kontakt kommen, die ähnliche Interessen haben.

Landesregierung fördert Ideen und Projekte für mehr Miteinander

„Die gute Nachricht ist: Wir verfügen bereits über vielfältige Projekte und Netzwerke, um einsame Menschen in ihren jeweiligen, spezifischen Lebenswelten zu erreichen“, so Minister Lucha. „Die Studie kann uns künftig dabei helfen, das vorhandene Potenzial zu bündeln und im Sinne einer einheitlichen Strategie gegen Einsamkeit weiter zu entwickeln.“ Als Auftakt wird das Sozialministerium fünf Ideenwettbewerbe ausrufen, um innovative Projekte gegen Einsamkeit in besonders betroffenen Zielgruppen zu fördern. Auch die 12. Landesgesundheitskonferenz am 19. November wird die Studie zum Anlass nehmen, vertieft auf das Thema Einsamkeit einzugehen. Einen besonderen Fokus auf die jüngere Generation legt das Förderprogramm „Connected Minds“ der Baden-Württemberg Stiftung, das ebenfalls im November startet.

Die komplette Studie finden Sie auf der Website des Sozialministeriums sowie auf der Homepage der Bertelsmann Stiftung unter Einsamkeit und gesellschaftlicher Zusammenhalt. pm/tok