Organspenden retten Menschenleben – aber viel zu selten in Deutschland. Der baden-württembergische Gesundheitsminister Manne Lucha ist zuversichtlich: „Mit der Widerspruchslösung kann auch in Deutschland eine Kultur der Organspende entstehen.“ Foto: Dan Race/stock.adobe.com

Bundesrat für Einführung der Widerspruchslösung bei der Organspende

Der Bundesrat hat am 15. Dezember einer Initiative der Länder Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Hessen zur Einführung einer Widerspruchslösung als künftige Grundlage für die Zulässigkeit der Organentnahme in Deutschland zugestimmt. Der Entschließungsantrag enthält eine Aufforderung an die Bundesregierung, die Widerspruchslösung in das Transplantationsgesetz (TPG) aufzunehmen.

Widerspruchslösung: Jeder gilt zunächst als Organspender

Der baden-württembergische Gesundheitsminister Manne Lucha freut sich als Mitinitiator sehr, dass die Entschließung im Plenum die benötigte Mehrheit erreichen konnte. „Die Entschließung des Bundesrats wird nun der Bundesregierung zugeleitet. Wir erwarten dann, dass diese sich damit befasst. Zuständig ist hier das Bundesministerium für Gesundheit. Die Bundesregierung hat das Initiativrecht für Gesetzesentwürfe“, sagte Lucha am Freitag, 15. Dezember in Stuttgart.

Widerspruchslösung bedeutet, dass jeder automatisch als Organspender gilt – außer man selbst oder Angehörige widersprechen. Bisher sind Entnahmen in Deutschland nur möglich, wenn jemand ausdrücklich zustimmt. Das Ziel einer Neuregelung ist, die Zahl der Organspender zu erhöhen. Die Aufnahme der Widerspruchslösung als Grundlage für die Zulässigkeit der Organentnahme in das Transplantationsgesetz würde die Zustimmungslücken schließen. Minister Lucha ist zuversichtlich: „Mit der Widerspruchslösung kann auch in Deutschland eine Kultur der Organspende entstehen.“

Spenderwille ist bislang oft unbekannt

Trotz einer Sensibilisierungskampagne der Intensivstationen für die Organspende war in Baden-Württemberg zuletzt nur bei 35 Prozent der Fälle möglicher Organspenden der Wille des Verstorbenen bekannt. Eine schriftliche Willensbekundung lag sogar nur bei 15 Prozent der potenziellen Spender vor. Auch im Land kommt es folglich weiterhin zu Ablehnungen durch Angehörige – und dringend benötigte Organe gehen verloren. 

Minister Lucha weiter: „Organspende rettet Menschenleben. Und grundsätzlich, so zeigen Umfragen, ist die Bereitschaft der Menschen bei uns im Land zur Organspende groß. Die Zahl der Organspenden in Deutschland stagniert allerdings seit zehn Jahren auf einem beschämend niedrigen Niveau. Das muss sich dringend ändern, denn zu viele Menschen sterben, bevor sie ein Spenderorgan bekommen. Das große Problem ist, dass nach wie vor von zu wenigen Menschen der Spendenwille dokumentiert ist, weil sie sich zu Lebzeiten dazu nicht geäußert haben. Weder gesetzliche Änderungen noch Aufklärungskampagnen haben daran wirklich etwas geändert. Wir sind in Europa eines der wenigen Länder, das die Widerspruchslösung noch nicht eingeführt hat. Deutsche Patientinnen und Patienten profitieren damit überproportional von Spenderorganen aus anderen Ländern, die eine Kultur der Organspende haben. Ich hoffe und glaube daran, dass wir diesen Paradigmenwechsel auch in Deutschland schaffen können.“

Negativrekord bei den Organspendern

Die zivilgesellschaftliche Initiative „Leben Spenden e. V. – Bündnis für Organspende“ begrüßt dieses Ergebnis ausdrücklich. Die Vorsitzende Jutta Falke-Ischinger bemerkt dazu: „Der Bundestag hatte es ja in der letzten Legislatur versäumt, bei der Organspende tatsächlich wirksame Reformen zu verabschieden – zum Nachteil tausender Menschen, die vergeblich auf eine rettende Transplantation gewartet haben.“ Von der Entscheidung des Bundesrates nun gehe „eine wichtige Signalwirkung aus, dass sich auch der Bund endlich bewegt und die Widerspruchslösung bei der Organspende beschließt“.

Diese Neuregelung sei überfällig. Denn, so beklagt „Leben Spenden e. V.“: Deutschland sei bei der Organspende seit Jahren Schlusslicht in Europa. Aktuell liegen die Zahlen der Transplantationen aktuell niedriger als in den Corona-Jahren 2020/2021. Im Oktober 2023 wurde mit nur 66 Organspendern ein neuer Negativrekord verzeichnet.

Gedanke an Organspende soll Normalfall werden

Die Widerspruchslösung, so Falke-Ischinger, sei ein wichtiger Schritt, um auch in Deutschland eine Kultur der Organspende zu schaffen. Etwaige Befürchtungen, dass es durch eine Widerspruchslösung zu einem Automatismus bei der Organspende kommen könne, seien unbegründet, so Jutta Falke-Ischinger. Auch in Widerspruchsländern werde nie gegen das Votum der Angehörigen gehandelt. Wichtig sei aber: „Eine gesetzliche Regel, die davon ausgeht, dass jeder theoretisch Organspender sein könnte, verpflichtet die Krankenhäuser anders als bisher dazu, auch wirklich jeden Einzelfall zu prüfen.“

Der Gedanke an die Möglichkeit lebensrettender Organspende solle, so Falke-Ischinger, in Gesellschaft wie in den Kliniken zum Normalfall werden. Und nicht die Ausnahme bleiben – so wie es bisher der Fall ist. Das gemeinnützige Bündnis „Leben Spenden e. V.“ setzt sich seit seiner Gründung 2018 für die bessere Verankerung der Organspende in der Gesellschaft ein. Zu den Gründungsmitgliedern und Unterstützern zählen Politiker aus Bundestag und Länderparlamenten, Charité-Chefärzte, Theologen, Wissenschaftler, unmittelbar Betroffene und prominente Einzelpersönlichkeiten wie Eckart von Hirschhausen oder Friede Springer.     pm